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27

Zeitschrift für Humor und Kunst

Die Testamentszlege

„Komm, Amaliel"

Das junge Paar machle wort-
los kehrt und schritt wieder dcm
Ausgange zu.

„Ist das aber ein alter Ekel,"
machte Malchen ihrem Anmute
Luft.

„Laß ihn," gab Fritz zur Ant-
wort. „Wie man sich bettet, so
schläft man, und von uns soll er
nicht wieder belästigt werden.

Doch lassen wir uns kein graues
Laar deswegen wachsen."

„Schade um das schöne Be-
sitztum," seuszte die junge Frau.

„Was für ein herrliches Künstler-
heim hätte das abgegeben."

Ihr Gatte war nämlich Kunst-
maler.

„Es wäre ein wahres Para-
dies gewesen," stimmte er bei.

„Aber es ist ein Traum, zu schön
und kühn, um Wirkiichkeit zu
werden."

„!lnd du glaubst nicht, daß
stch unter der rauhen Schale doch
vielleicht ein edler Kern birgt?"

„Nimmermehr, Malchen. So
abstoßend und boshaft kann kein
wahrhaft guter Mensch sein, selbst
wenn ihn Widerwärtigkeiten des
Schicksals geaen Necht und Pflicht-
gefühl abgestumpft haben."

Das war der Epilog zu dem
Debut des Neffen als Verwandter
und mutmasilicher Erbnachfolger
des alten Giftmischers. Das junge Paar kehrte wieder
nach der Leimat zurück; Fritz begrub fein Künstlerparadies
und malte fleißig Porträts von hundert Mark aufwärts.
Frau Malchen, die etwas zäher war, grub zwar den
schönen Traum gelegentlich wieder aus, aber Fritz sargte
ihn im Bewußtsein vollfter Loffnungslosigkeit immer
wieder ein.

Man soll indessen nichts verreden. Eines Tages setzte
der alte Gistmischer seine letzte Retorte auf, und mit dem
letzten giftigen Dämpflein zog auch jeine Seele mit hinaus
zum Schornstein. Fritz Ohnesorg erhielt ein amlliches
Schreiben, in welchem ihm dies, allerdings in geschäfts-
mäßiger Form mitgeteilt wurde mit der gleichzeitigetr
Aufforderung. sich zur Testamentseröffnung einzusinden.

„Du, vielleicht wird doch etwas," jubelte Malchen, die
ganz vergaß, daß sie Trauer hatte.

„Glaube nicht," warf Fritz skeptisch ein. „Meine An°
wesenheit bei der Nachlaßregulierung ift lediglich Form-
sache. Löchstens, daß dafür ein Trinkgeld in Gestalt eines
Miniaturlegätchens füruns herausspringt. Anstandshalber."

Er folgte aber der Ausforderung, und siehe da — es ge-
schehen noch Wunder — er war als einzig lebender Ber-
wandter zum unbestrittenen Erben seines Onkels eingesetzt.

Fritz Ohnesorg sauste und brauste es in den Ohren,
als er diese ganz unerwartete Wendung der Dinge ver-
nahm, und kaum vermochte er dem Vortrage des Testa-
mentsvollstreckers zu folgen. Das war ja ganz unmöglich,


Schwieriger Heimweg „Teufel, heut zieht sich der Weg wieder in d' Längl"

oder wenn es dennoch auf Wahrheit beruhte, so steckte
gewiß eine Teufelei datnnter. Vielleicht war in der Lexen-
küche des alten Giftmischers eine Löllenmaschine aufgestellt,
die in derselben Stunde, wo Fritz mit seiner Gattin das
Laus betrat, dieses mit allem, was darin stand und lebte,
in die Luft gehen ließ.

Schöne Aussicht das!

Ganz so schlimm sollte es aber doch nicht werden; Fritz
hatte indeffen insofern richtig kalkuliert, als das Testament
eine Verklausulierung enthielt, die ihm den Besitz des Erbes
nicht ungeschmälert gönnte. Diese laute:

„Ich bestimme, daß mein Neffe während der nächsten
fünf Iahre keine Ziege halten darf. Nach Ablauf dieser
Zeit wird er erfahren, warum."

Das war alles.

Fritz Ohnesorg atmete auf. Wenn der Onkel sonst
nichts weiter verlangte, das konnte ihm erfüllt werden
Fritz hatte in seinem Leben nicht daran gedacht, sich eine
Ziege zuzulegen, weshalb also gerade jetzt?

Er traf sofort Anstalten, das Landhaus in wohnlichen
Zustand zu versetzen, und kaum nach vier Wochen siedelte
er mit seiner Frau dahin über.

„Keine Ziege sollen wir uns halten, hahaha, köstliche
Idee das von dem alten verstorbenen Kauz," lachte Fritz.

„Der gute Onkel, wie haben wir ihn verkannt," ge-
stand reuig Frau Malchen. Sie trug indessen seit dieser
Zeit ein etwas nachdenkliches Wesen zur Schau.
 
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