104 Meggendorfer-Blätter, München
Die Versuchung
Das Mittel des kleinen Bompard P^er R°obins°n
Lenri Bompard war eingezogen worden, Lenri Bompard
aus Montälimar, den seine Freunde den „Kleinen" zu nennen
pflegten. Er war auch wirklich etwas klein geraten, aber das
lag in der Familie; sein Vater war auch beinahe nur ein
Zwerg, und doch hatte ihn das nicht gehindert, ein sehr tlich-
tiger Zuckerbäcker zu sein, einer der angesehensten in Monts-
limar, wo dieses Gewerbe bekanntlich besonders stark vertreten
ist und vornehmlich mit der Lerstellung jenes „Nougat" ge-
nannten Mandelgebäcks sich beschästigt, das zwar vortrefflich
schmeckt. aber leicht den Magen verdirbt, wie das ja bei guten
Eßdingen meistens so ist. Bompard senior hatte viele Zentner
„Nougat de Montölimar" gemacht und ein hübsches Vermögen
damit erworben; Bompard junior sollte weiter Nougat machen
und das Vermögen vergrößern, und das war eine ganz an-
genehme Bestimmung und ein so sicheres Schicksal, wie man
in diesem Leben voll gesährlicher Zufälligkeiten es sich nur
wünschen kann.
Lenri war auch ganz einverstanden damit gewesen und
deshalb umso weniger zufrieden, daß er auf einmal den grau-
blauen Rock des französischen Kriegsknechtes anziehen und
die angenehme Bestimmung und das sichere Schicksal mit einer
sehr unangenehmen Bestimmung, nämlich der des Soldaten,
und einem höchst unsicheren Schicksal, nämlich dem des Schützen-
grabenbewohners und vielleicht auch Offensiventeilnehmers,
vertauschen sollte. Gerade etwas über achtzehn Iahre war
er alt, als dies von ihm verlangt wurde und er mit andern
Leidensgenoffen aus Montslimar auf dem Brotteaux Bahnhos
in Lhon aus der Eisenbahn klettern und nach den Oa^srnss
Nai-Agrou marschieren mußte.
Lenri war fest entschloffen, seine Person der Nougatindu-
strie von Montslimar zu erhalten; die Löchstleistung, die er
dem Staate zu bewilligen gedachte, sollte die Bewachung von
Gefangenen oder etwas überflüssige Schreibarbeit in einem
Bureau sein. Ein Vierteljahr etwa hatte er noch vor sich, in
dieser Zeit wollte er den Kopf aus der Schlinge ziehn. Aber
ganz. ganz vorsichtig mußte das geschehn; wer unklug ist und
sich wild aufführt, dem zieht sich die Schlinge nur noch fester
um den Lals. And deshalb betrug der kleine Bompard sich
ganz bescheiden und schien eifrig bestrebt, alle jene Fähigkeiten
des Körpers und Geistes sich anzueignen, die das Wohl der
französischen Republik von ihm verlangte, in jener Schule, in
der nicht gerade für das Leben, sondern eher für den Tod
gelernt wird, und die man den militärischen Dienst nennt.
Sehr hart war der Dienst, wenigstens im Vergleich zu nor-
malen Verhältnissen, nun eigentlich nicht. Man ging mit diesen
noch allzu jungen Mannschaften vorsichtig um; sie sollten bei-
leibe nicht überanstrengt werden, sonst klappten am Ende gar
zu viele von ihnen zusammen, ehe sie hinausgeschickt werden
konnten, und dann war ja der Zweck der ganzen Veranstaltung
verfehlt. Trohdem fiel dieser und jener schon nach kurzer Zeit
ab und bezog die Krankenstation, wo er nach der alten volks-
tümlichen Erfahrung, daß die einfachsten Mittel auch immer
die besten sind, behandelt und auch sonst zweckentsprechende
Versuche an ihm angestellt wurden, ihm sein Leiden schnell
und gründlich auszutreiben. Ein paar Leute aber waren da,
die nach dem Eintritt in das neue Leben von Krankheiten
befallen wurden, vor denen die Aerzte Respekt hatten; diese
wenigen ließ man nach einigen langweiligen Formalitäten
wieder laufen. Frankreich konnte sie nicht gebrauchen; sie
mochten sterben, wie es ihnen beliebte.
Sie wurden von den Zurückgebliebenen beneidet, und nicht
wenige hätten gern mit ihnen getauscht, wie ja überhaupt
bei diesem letzten Rekrutenmaterial der großen Republik dic
Die Versuchung
Das Mittel des kleinen Bompard P^er R°obins°n
Lenri Bompard war eingezogen worden, Lenri Bompard
aus Montälimar, den seine Freunde den „Kleinen" zu nennen
pflegten. Er war auch wirklich etwas klein geraten, aber das
lag in der Familie; sein Vater war auch beinahe nur ein
Zwerg, und doch hatte ihn das nicht gehindert, ein sehr tlich-
tiger Zuckerbäcker zu sein, einer der angesehensten in Monts-
limar, wo dieses Gewerbe bekanntlich besonders stark vertreten
ist und vornehmlich mit der Lerstellung jenes „Nougat" ge-
nannten Mandelgebäcks sich beschästigt, das zwar vortrefflich
schmeckt. aber leicht den Magen verdirbt, wie das ja bei guten
Eßdingen meistens so ist. Bompard senior hatte viele Zentner
„Nougat de Montölimar" gemacht und ein hübsches Vermögen
damit erworben; Bompard junior sollte weiter Nougat machen
und das Vermögen vergrößern, und das war eine ganz an-
genehme Bestimmung und ein so sicheres Schicksal, wie man
in diesem Leben voll gesährlicher Zufälligkeiten es sich nur
wünschen kann.
Lenri war auch ganz einverstanden damit gewesen und
deshalb umso weniger zufrieden, daß er auf einmal den grau-
blauen Rock des französischen Kriegsknechtes anziehen und
die angenehme Bestimmung und das sichere Schicksal mit einer
sehr unangenehmen Bestimmung, nämlich der des Soldaten,
und einem höchst unsicheren Schicksal, nämlich dem des Schützen-
grabenbewohners und vielleicht auch Offensiventeilnehmers,
vertauschen sollte. Gerade etwas über achtzehn Iahre war
er alt, als dies von ihm verlangt wurde und er mit andern
Leidensgenoffen aus Montslimar auf dem Brotteaux Bahnhos
in Lhon aus der Eisenbahn klettern und nach den Oa^srnss
Nai-Agrou marschieren mußte.
Lenri war fest entschloffen, seine Person der Nougatindu-
strie von Montslimar zu erhalten; die Löchstleistung, die er
dem Staate zu bewilligen gedachte, sollte die Bewachung von
Gefangenen oder etwas überflüssige Schreibarbeit in einem
Bureau sein. Ein Vierteljahr etwa hatte er noch vor sich, in
dieser Zeit wollte er den Kopf aus der Schlinge ziehn. Aber
ganz. ganz vorsichtig mußte das geschehn; wer unklug ist und
sich wild aufführt, dem zieht sich die Schlinge nur noch fester
um den Lals. And deshalb betrug der kleine Bompard sich
ganz bescheiden und schien eifrig bestrebt, alle jene Fähigkeiten
des Körpers und Geistes sich anzueignen, die das Wohl der
französischen Republik von ihm verlangte, in jener Schule, in
der nicht gerade für das Leben, sondern eher für den Tod
gelernt wird, und die man den militärischen Dienst nennt.
Sehr hart war der Dienst, wenigstens im Vergleich zu nor-
malen Verhältnissen, nun eigentlich nicht. Man ging mit diesen
noch allzu jungen Mannschaften vorsichtig um; sie sollten bei-
leibe nicht überanstrengt werden, sonst klappten am Ende gar
zu viele von ihnen zusammen, ehe sie hinausgeschickt werden
konnten, und dann war ja der Zweck der ganzen Veranstaltung
verfehlt. Trohdem fiel dieser und jener schon nach kurzer Zeit
ab und bezog die Krankenstation, wo er nach der alten volks-
tümlichen Erfahrung, daß die einfachsten Mittel auch immer
die besten sind, behandelt und auch sonst zweckentsprechende
Versuche an ihm angestellt wurden, ihm sein Leiden schnell
und gründlich auszutreiben. Ein paar Leute aber waren da,
die nach dem Eintritt in das neue Leben von Krankheiten
befallen wurden, vor denen die Aerzte Respekt hatten; diese
wenigen ließ man nach einigen langweiligen Formalitäten
wieder laufen. Frankreich konnte sie nicht gebrauchen; sie
mochten sterben, wie es ihnen beliebte.
Sie wurden von den Zurückgebliebenen beneidet, und nicht
wenige hätten gern mit ihnen getauscht, wie ja überhaupt
bei diesem letzten Rekrutenmaterial der großen Republik dic