Zeitschrift für Humor und Kunst 105
Das Mittel des kletnen Bompard
unschöne Meinung herrschte, daß es zur Zeit weit angenehmer
wäre, einen natürlichen Buckel zu besihen, als einen künstlichen
in Gestalt des Tornisters sich anschnallen zu müssen. Lenri
Bompard lauschte aufmerksam bei allen Gesprächen, die sich
auf die Ausgeschiedenen und ihre Krankheiten bezogen, wie
überhaupt auf die Möglichkeit, durch plötzliches Krankwerden
der Aussicht auf noch ungesundere Zufälle zu entgehen. Er
wollte auch kcank werden, so krank, daß man ihn würde ent-
lassen müssen oder wenigstens nicht an die Front würde schicken
können, gegen die er einen auch durch die schönsten Schilderungen
stanzösischen Waffenruhms nicht zu beseitigenden Widerwillen
hatte.
Er wußte noch nicht, welche Krankheit er bekommen sollte.
Es ist natürlich auch schwer, sich eine Krankheit auszusuchen;
man hat ja auch keine Aebung darin, denn gewöhnlich werden
einem die Krankheiten zugeteilt, so daß man der Wahl ent°
hoben ist. Er mußte sachverständigen Nat einholen, aber in
Lyon konnte er das nicht, da war er zu fremd; das mußte
in Montslimar geschehen. An Arlaub nach Lause war jedoch
vorläufig gar nicht zu denken; da hätte etwas ganz Gewich-
tiges vorfallen müffen, etwa sein Vater oder seine Mutter
sterben, und das wünschte er doch nicht. So entschied er sich
dafür, zunächst einmal die Kasernentreppe hinunterzufallen
und zu sehn, was daraus würde. Es wurde aber nichts daraus,
außer, daß er sich einen Zahn wackelig schlug und außerdem
der Kompagnie für den nächsten Sonntag nachmittag der
Arlaub entzogen wurde, — wegen der Schweinerei, Orangen-
schalen auf die Treppe zu schmeißen, die zu Bein- und Lals-
brüchen führen konnten. Denn Bompard hatte behauptet,
er wäre durch solch eine Schale zu Fall gekommen.
Daß die Kompagnie den Sonntagsurlaub einbüßte, war
ihm ganz gleichgiltig. Er fiel noch einmal. Das erste Mal,
weshalb die Kompagnie bestraft worden war, hatte wahr-
scheinlich gar keine Schale auf der Treppe gelegen; diesmal
hatte er sie, der Sicherheit halber, selbst vorher heimlich aus
gestreut. And diesmal fiel er auch glücklich: er brach eine
Rippe und konnte drei Wochen im Bett liegen. And da er
ja nun ohnehin in seiner Ausbildung etwas zurückgeblieben
war, gab man ihm nachher noch eine Woche Arlaub, — nach
Montslimar. Lenri bezahlte die Fahrt im Schnellzug aus
eigener Tasche; der Bummelzug ging ihm zu langsam, er hatte
keine Zeit zu verlieren. —
Auf der Fahrt wog er die Vorzüge und Nachteile aller
Krankheiten ab, die für seinen Zweck in Frage kommen konnten.
Denn den Verzweiflungsgedanken, der an einem besonders
schlimmen Tage ihn einmal gelockt hatte, sich irgend ein Glied
ohne Narkose eigenhändig abzuhacken, hatte er doch aufgegeben;
das wurde bestraft und ließ sich auch ntemals wieder gut machen,
denn der Mensch ist kein Krebs, dem verlorene Glieder nach-
wachsen, — dem Menschen wächst nur Entbehrliches nach, näm-
lich Laare und Nägel. Nach langem Aeberlegen schien es Lenri
am richtigsten, herzkrank zu werden. Das mußte am wenigsten
schwer sein. Lelfen aber sollte ihm Doktor Coussin, der alte
Lausarzt der Familie Bompard, der schon Lenris Kinderkrank-
heiten von selbst wieder hatte fortgehn sehn und dann jedes
mal für seine Bemühungen liquidiert hatte. Doktor Coussin
würde gewiß kein Esel sein und schon ein passendes Mittelchen
hergeben.
Der Doktor war aber doch ein Esel. Er war nämlich ein
großer Patriot und durchaus einverstanden damit, daß Frank-
reich den Krieg bis zur Vernichtung fortsetzte, — bis zur Ver-
nichtung Deutschlands natürlich. Denn Doktor Coussin war
bereits 67 Jahre alt und brauchte also, wenigstens vorläusig,
nicht zu d«n Waffen eilen. Das Eilen wäre ihm übrigenS auch
Die Versuchunq
schwer geworden. Er empfing Lenri Bompard mit
Freude und Rührung und gab, ehe dieser noch den
Mund auftun konnte, seinem Vergnügen Ausdruck, den
jungen Krieger so vortrefflich aussehend zu finden, im
Vollbesitz jener schneidigen Kraft, die das wohltätige
Resultat militärischer Erziehung sein soll. Das war
Lenri gar nicht recht. Ach Gott, er sähe nur von außen
so wohl aus, erklärte er, aber innen stände es ganz
anders. Das Lerz wolle nicht mehr recht; es arbeite
zu langsam und manchmal setze es ganz aus. And des-
halb möchte er den bewährten alten Lausarzt, — in
das Wort Lausarzt suchte er all das Gewicht jener
Summen zu legen, die der Doktor im Laufe vieler Jahre
bei Bompard senior liquidiert hatte — fragen, ja er
möchte ihn sogar bitten, ob er ihm nicht ein gutes Mttlel
geben könnte, das den Lerzschlag wohltuend zu beschlsu-
nigen vermöchte.
Das Mittel des kletnen Bompard
unschöne Meinung herrschte, daß es zur Zeit weit angenehmer
wäre, einen natürlichen Buckel zu besihen, als einen künstlichen
in Gestalt des Tornisters sich anschnallen zu müssen. Lenri
Bompard lauschte aufmerksam bei allen Gesprächen, die sich
auf die Ausgeschiedenen und ihre Krankheiten bezogen, wie
überhaupt auf die Möglichkeit, durch plötzliches Krankwerden
der Aussicht auf noch ungesundere Zufälle zu entgehen. Er
wollte auch kcank werden, so krank, daß man ihn würde ent-
lassen müssen oder wenigstens nicht an die Front würde schicken
können, gegen die er einen auch durch die schönsten Schilderungen
stanzösischen Waffenruhms nicht zu beseitigenden Widerwillen
hatte.
Er wußte noch nicht, welche Krankheit er bekommen sollte.
Es ist natürlich auch schwer, sich eine Krankheit auszusuchen;
man hat ja auch keine Aebung darin, denn gewöhnlich werden
einem die Krankheiten zugeteilt, so daß man der Wahl ent°
hoben ist. Er mußte sachverständigen Nat einholen, aber in
Lyon konnte er das nicht, da war er zu fremd; das mußte
in Montslimar geschehen. An Arlaub nach Lause war jedoch
vorläufig gar nicht zu denken; da hätte etwas ganz Gewich-
tiges vorfallen müffen, etwa sein Vater oder seine Mutter
sterben, und das wünschte er doch nicht. So entschied er sich
dafür, zunächst einmal die Kasernentreppe hinunterzufallen
und zu sehn, was daraus würde. Es wurde aber nichts daraus,
außer, daß er sich einen Zahn wackelig schlug und außerdem
der Kompagnie für den nächsten Sonntag nachmittag der
Arlaub entzogen wurde, — wegen der Schweinerei, Orangen-
schalen auf die Treppe zu schmeißen, die zu Bein- und Lals-
brüchen führen konnten. Denn Bompard hatte behauptet,
er wäre durch solch eine Schale zu Fall gekommen.
Daß die Kompagnie den Sonntagsurlaub einbüßte, war
ihm ganz gleichgiltig. Er fiel noch einmal. Das erste Mal,
weshalb die Kompagnie bestraft worden war, hatte wahr-
scheinlich gar keine Schale auf der Treppe gelegen; diesmal
hatte er sie, der Sicherheit halber, selbst vorher heimlich aus
gestreut. And diesmal fiel er auch glücklich: er brach eine
Rippe und konnte drei Wochen im Bett liegen. And da er
ja nun ohnehin in seiner Ausbildung etwas zurückgeblieben
war, gab man ihm nachher noch eine Woche Arlaub, — nach
Montslimar. Lenri bezahlte die Fahrt im Schnellzug aus
eigener Tasche; der Bummelzug ging ihm zu langsam, er hatte
keine Zeit zu verlieren. —
Auf der Fahrt wog er die Vorzüge und Nachteile aller
Krankheiten ab, die für seinen Zweck in Frage kommen konnten.
Denn den Verzweiflungsgedanken, der an einem besonders
schlimmen Tage ihn einmal gelockt hatte, sich irgend ein Glied
ohne Narkose eigenhändig abzuhacken, hatte er doch aufgegeben;
das wurde bestraft und ließ sich auch ntemals wieder gut machen,
denn der Mensch ist kein Krebs, dem verlorene Glieder nach-
wachsen, — dem Menschen wächst nur Entbehrliches nach, näm-
lich Laare und Nägel. Nach langem Aeberlegen schien es Lenri
am richtigsten, herzkrank zu werden. Das mußte am wenigsten
schwer sein. Lelfen aber sollte ihm Doktor Coussin, der alte
Lausarzt der Familie Bompard, der schon Lenris Kinderkrank-
heiten von selbst wieder hatte fortgehn sehn und dann jedes
mal für seine Bemühungen liquidiert hatte. Doktor Coussin
würde gewiß kein Esel sein und schon ein passendes Mittelchen
hergeben.
Der Doktor war aber doch ein Esel. Er war nämlich ein
großer Patriot und durchaus einverstanden damit, daß Frank-
reich den Krieg bis zur Vernichtung fortsetzte, — bis zur Ver-
nichtung Deutschlands natürlich. Denn Doktor Coussin war
bereits 67 Jahre alt und brauchte also, wenigstens vorläusig,
nicht zu d«n Waffen eilen. Das Eilen wäre ihm übrigenS auch
Die Versuchunq
schwer geworden. Er empfing Lenri Bompard mit
Freude und Rührung und gab, ehe dieser noch den
Mund auftun konnte, seinem Vergnügen Ausdruck, den
jungen Krieger so vortrefflich aussehend zu finden, im
Vollbesitz jener schneidigen Kraft, die das wohltätige
Resultat militärischer Erziehung sein soll. Das war
Lenri gar nicht recht. Ach Gott, er sähe nur von außen
so wohl aus, erklärte er, aber innen stände es ganz
anders. Das Lerz wolle nicht mehr recht; es arbeite
zu langsam und manchmal setze es ganz aus. And des-
halb möchte er den bewährten alten Lausarzt, — in
das Wort Lausarzt suchte er all das Gewicht jener
Summen zu legen, die der Doktor im Laufe vieler Jahre
bei Bompard senior liquidiert hatte — fragen, ja er
möchte ihn sogar bitten, ob er ihm nicht ein gutes Mttlel
geben könnte, das den Lerzschlag wohltuend zu beschlsu-
nigen vermöchte.