184 Meggendorfer-Blätter, München
Der verhängnisvolle Windstoß
Jndiskrete Schulaufsätze Von Peter Robinso»
Als so ziemlich der unangenehmsten Arbeiten meiner
Schulzeit — denn unangenehm waren sie alle — entsinne
ich mich der deutschen Aufsätze. Vielleicht war es ein
dunkles Vorgefühl, ich würde später einmal noch ganz ge-
nügend zu schreiben haben, das mich damals veranlaßte,
immer erst im letzten Augenblick und wenn wirklich meiner
llnlust auch nicht die winzigfte Gnadenfrist mehr zu gewähren
war, an solch einen Aufsatz mich heranzusetzen und dann
in möqlichst schneller, möglichst einfacher und gerade noch
als anständig hingehender Art damit fertig zu werden.
Ich weiß ganz sicher, daß ich niemals an einem Aufsatz mit
Begeisterung gearbeitet habe. Es gibt aber Schüler, die
das tun, und wenn das Thema dazu angetan ist, werfen
sie sich sogar mit einem Feuer darauf, als stände ihnen für
die wohlqelungene Arbeit die Aufnahme in eine bedeutende
literarische Akademie bevor und nicht im besten Falle nur
eine mit roter Tinte gemalte Eins.
Gerade erinnere ich mich solch eines Themas, das ein
für die Natur und ihre poesievolle Verklärung durch die
Feder des Menschen schwärmender Ordinarius seiner Klaffe
regelmäßig für den Probeaufsatz zu Michaelis gab. Es
hieß: „Der Wald im Wechsel der Iahreszeiten", und gewiß
war das ein Thema, das einem mit poetischem Feuer be-
gabten Iünglinge die schönste Gelegenheit bot, dieses Feuer
zu tüchtiger Glut zu schüren und etwas Rechtes daran zu
schmieden. Einer tat das auch vor allen andern, und sein
mit einer Eins ohne alle Einschränkungen gezierter Aufsatz
wurde nachher der ganzen Klaffe als schönes Beispiel vor-
gelesen. Es kamen sogar zwei Gedichte darin vor, Ori-
ginalgedichte des Auisatzschreibers: ein Frühlingsgedicht,
das von Werden, und ein Lerbstqedicht, das von Vergchen
sprach, und der Schluß der Schrift versicherte, daß ein
fühlender Mensch überhaupt nur im Walde sich so recht
wohl befinden könnte. Der Ordinarius spendete dem jungen
Verfasser großes Lob und sagte ihm eine schöne Zukunft
voraus. Das ist auch eingetroffen; er ist wodlbestallter
Stadtbaumeister einer sehr großen Stadt geworden, und
ein Triumph seiner Laufbahn war es, daß es ihm gelang,
trotz vieler Widerstände und übelgesinnter Opposition die
Stadt dahin zu bringen, einen vor ihren Toren liegenden
Wald niederzulegen und „der Bebauung zu erschließen",
wie man in solchem Fall sagt. Aber ein anderer Knabe
war damals, der eine Sudelarbeit ablieferte, eine Fünf
bekam und vom Ordinarius für ein elendes Geschöpf mit
erbärmlich trockenem Temüt erklärt wurde, das sein Leben
jedenfalls ohne die geringste Sehnsucht nach der schönen
Natur in lärmenden Gassen zwischen grauen Mauern ver-
bringen würde. Er ist jetzt übrigens Oberförster.
Ich kann mich nicht mehr entsinnen, wie ich selbst da-
mals den Wald im Wechsel der Iahreszeiten beschrieben
habe. Zu besonderer Freude des poetische Behandlung ver-
langenden Lerrn Ordinarii wird es jedenfalls kaum geschehen
sein. Es ist auch gut, daß der Aufsatz nicht mehr in meinem
Besitz ist. Sonst würde ich ihn doch am Ende aus Neugierde
wieder lesen, und dann könnte es leicht sein, daß ich mich
sehr schämen würde und nie mebr etwas mit Aufsätzen zu
tun haben wollte. Das aber muß ich, denn ich habe eine
schulpflichtige Tochter, die sehr viele Aufsätze zu liefern hat,
und dies schwere Schicksal wünsche ich ihr nach Möglichkeit
zu erleichtern. Nicht, daß ich selbst die Aufsätze für sie
schriebe, das darf natürlich nicht sein, aber die Möglichkeiten
der Bearbeitung dars ich doch mit ihr durchsprechen und
hin und wieder mit einem nühlichen Gedanken einspringen.
Es ist übrigens erstaunlich, wieviel Aufsätze heutzutage die
Der verhängnisvolle Windstoß
Jndiskrete Schulaufsätze Von Peter Robinso»
Als so ziemlich der unangenehmsten Arbeiten meiner
Schulzeit — denn unangenehm waren sie alle — entsinne
ich mich der deutschen Aufsätze. Vielleicht war es ein
dunkles Vorgefühl, ich würde später einmal noch ganz ge-
nügend zu schreiben haben, das mich damals veranlaßte,
immer erst im letzten Augenblick und wenn wirklich meiner
llnlust auch nicht die winzigfte Gnadenfrist mehr zu gewähren
war, an solch einen Aufsatz mich heranzusetzen und dann
in möqlichst schneller, möglichst einfacher und gerade noch
als anständig hingehender Art damit fertig zu werden.
Ich weiß ganz sicher, daß ich niemals an einem Aufsatz mit
Begeisterung gearbeitet habe. Es gibt aber Schüler, die
das tun, und wenn das Thema dazu angetan ist, werfen
sie sich sogar mit einem Feuer darauf, als stände ihnen für
die wohlqelungene Arbeit die Aufnahme in eine bedeutende
literarische Akademie bevor und nicht im besten Falle nur
eine mit roter Tinte gemalte Eins.
Gerade erinnere ich mich solch eines Themas, das ein
für die Natur und ihre poesievolle Verklärung durch die
Feder des Menschen schwärmender Ordinarius seiner Klaffe
regelmäßig für den Probeaufsatz zu Michaelis gab. Es
hieß: „Der Wald im Wechsel der Iahreszeiten", und gewiß
war das ein Thema, das einem mit poetischem Feuer be-
gabten Iünglinge die schönste Gelegenheit bot, dieses Feuer
zu tüchtiger Glut zu schüren und etwas Rechtes daran zu
schmieden. Einer tat das auch vor allen andern, und sein
mit einer Eins ohne alle Einschränkungen gezierter Aufsatz
wurde nachher der ganzen Klaffe als schönes Beispiel vor-
gelesen. Es kamen sogar zwei Gedichte darin vor, Ori-
ginalgedichte des Auisatzschreibers: ein Frühlingsgedicht,
das von Werden, und ein Lerbstqedicht, das von Vergchen
sprach, und der Schluß der Schrift versicherte, daß ein
fühlender Mensch überhaupt nur im Walde sich so recht
wohl befinden könnte. Der Ordinarius spendete dem jungen
Verfasser großes Lob und sagte ihm eine schöne Zukunft
voraus. Das ist auch eingetroffen; er ist wodlbestallter
Stadtbaumeister einer sehr großen Stadt geworden, und
ein Triumph seiner Laufbahn war es, daß es ihm gelang,
trotz vieler Widerstände und übelgesinnter Opposition die
Stadt dahin zu bringen, einen vor ihren Toren liegenden
Wald niederzulegen und „der Bebauung zu erschließen",
wie man in solchem Fall sagt. Aber ein anderer Knabe
war damals, der eine Sudelarbeit ablieferte, eine Fünf
bekam und vom Ordinarius für ein elendes Geschöpf mit
erbärmlich trockenem Temüt erklärt wurde, das sein Leben
jedenfalls ohne die geringste Sehnsucht nach der schönen
Natur in lärmenden Gassen zwischen grauen Mauern ver-
bringen würde. Er ist jetzt übrigens Oberförster.
Ich kann mich nicht mehr entsinnen, wie ich selbst da-
mals den Wald im Wechsel der Iahreszeiten beschrieben
habe. Zu besonderer Freude des poetische Behandlung ver-
langenden Lerrn Ordinarii wird es jedenfalls kaum geschehen
sein. Es ist auch gut, daß der Aufsatz nicht mehr in meinem
Besitz ist. Sonst würde ich ihn doch am Ende aus Neugierde
wieder lesen, und dann könnte es leicht sein, daß ich mich
sehr schämen würde und nie mebr etwas mit Aufsätzen zu
tun haben wollte. Das aber muß ich, denn ich habe eine
schulpflichtige Tochter, die sehr viele Aufsätze zu liefern hat,
und dies schwere Schicksal wünsche ich ihr nach Möglichkeit
zu erleichtern. Nicht, daß ich selbst die Aufsätze für sie
schriebe, das darf natürlich nicht sein, aber die Möglichkeiten
der Bearbeitung dars ich doch mit ihr durchsprechen und
hin und wieder mit einem nühlichen Gedanken einspringen.
Es ist übrigens erstaunlich, wieviel Aufsätze heutzutage die