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Zeitschrift für Humor und Kunst »87

Indrstrete Schulaufsätze

na, es soll einfach die ganze Wohnung bc-
schrieben werden."

„Nun, das ist kein schwerer Aufsatz," sagte
ich; „er knüpft gewissermaßen an den An-
schauungsunterricht aus der ersten Schulzeit an.

Fräulein Nelke scheint eine angenehme Lehrerin
zu sein, die keine unbilligen Anforderungen
stellt. Also mach' dich nur gleich an die Arbeit!"

Das tat meine Tochter. Zuerst ging sic
cinmal durch unsere ganze Wohnung und sah
sie sich so genau an, als wäre sie eine ältcrc
vorsichtige Dame und hätte die Absicht, die
Wohnung zu mieten, und dann beschrieb sie
alles mit Fleiß und Eifer, sämtliche Näume
bis auf einen einzigen, den sie stillschweigend
überging. Es bedurfte nicht des 5)inweises,
daß die Erwähnung und noch weniger die ge-
naue Beschreibung dieses einen Raumes nicht
zu empfehlen wäre.

Fräulein Nelke war mit dein Aufsatz zu°
frieden; sic schrieb eine Zwei darunter. Aber
in einer Klammer dahinter stand noch: Du
hast das Stockwerk vergeffen. — Dies wun-
derte mich. Fräulein Nelke nahm es entschie-
den zu genau. Es war für den Aufsatz von
gar keiner Bedeutung, wenn darin erwähnt
wurde, daß wir im Erdgeschoß wohnen. Für
einen Arzt, zum dem ein herzkranker Patient
kommt, ist solche Einzelheit am Ende von Wich-
tigkeit, aber Fräulein Nelke konnte das ganz gleichgiltig
sein. Sie war viel zu pedantisch.

Nachdenklich aber machte mich dann etwas anderes.
Meine Tochter hatte etwas zu erzählen. „Denke dir, es
hat großen Krach in der Klasse gegeben durcki den Aufsatz.
Die Erna Oettinger hat in ihrem Aussatz geschrieben, ihr
Vater bezahlt viertausend Mark Miete für die Wohnung,
und die Grete Müller hat gesagt, sie sollte doch nicht so
dick tun. flnd da hat die Erna Oettinger der Grete Müller
ihr Aufsatzheft weggenommen und hat hineingeguckt, und
dann hat sie geschrien: ,Aetsch, ihr habt ja bloß drei Stuben!/

Deplaziertes Diminutiv

— „3a, Frau Seeliger, ham S' gar
Einquartierung gekriegt?"

— „3 wo, das sind ja meine Enkelchen."

Zweifel

„Der Lerr Baron ist nicht zu Äause."

„So. Der Lerr Baron meint wohl, weil man
schon Gläubiger hcißt, müssc man auch alles glaubcn."

— flnd dann hat die Grete Müller die Erna Oettinger
verhauen."

Dies verdroß mich. Nicht, daß Grete Müller Fräulein
Erna Oeltinger verhauen hatte; nein, dies bereitete mir
sogar großes Wohlgefallen. Aber die inneren Zusammen-
hänge, die zu den Prügeln geführt hatten, schienen mir sehr
bedauerlich. Fräulein Nelke hätte die Erörterung ökono-
mischer Gegensätze, als sie den Aufsatz aufgab, voraussehn
und ihr klug vorbeugen müffen. Aber an diese Möglichkeit
schien sie gar nicht einmal gedacht zu haben, — in jener
Einfalt ihres Lerzens, die wohl auch die Neugierde ver-
anlaßt hatte, gern wissen zu wollen, in welchem Stock-
werk unsere Wohnung lag. Fräulein Nelke hatte
einen Mißgriff getan; ich hoffte, er würde sich nicht
wiederholen.

Das Thema des zweiten Aufsatzes schien dieser
Äoffnung sicheren Boden zu geben; cs lautete: Ein
Ausflug mit den Eltern. — Gut, Fräulein Nelke!
Davon wird jedcs Kind unbefangen plaudern kön-
nen; die Natur ist für jedermann da, für reich und
arm, und mit welchen Mitteln sie genossen wird, —
nun, auf nähere Angaben darüber wird Fräulein
Nelke wohl verständigerweise verzichten.

Aber Fräulein Nelke verzichtcte nicht. Fräulein
Nelke tat etwas, was sich meiner Meinung nach mit
den Zwecken der Schule gar nicht zusammenbringen
ließ. Meine Tochter erzählte: „Fräulein Nelke hat
die besten Aufsätze vorgelesen. Die Erna Oettinger
hat geschrieben, daß sie zweiter Klasse gefahren sind,
und da hat Fräulein Nelke uns alle gefragt, welche
Klasse wir meistens fahren. Za, und wie wir nach
dem Bahnhof fahren? Ob mit der Trambahn oder
mit dem Auto?"

Zch empfand etwas Llnbehagen. Fräulein Nelke
übertricb. Zhrc Schülcrinnen sollten lernen, sich in
 
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