Nr. 136S
Zeitschrift für Humor «nd Kunst
189
Indiskrete SchulaufsLtze
„Nein; die Nelke hat nichts dazu gesagt/ gab meine
Tochter zur Auskunft. Sie sagte jetzt nur noch „die Nelke";
mit sicherem weiblichen Instinkt fühlte sie, daß jene Dame
bereits mit Argwohn von mir betrachtet wurde. „Aber
ich weiß schon, was ich schreiben werde," erklärte sie dann.
Sie setzte sich auch gleich an ihr Pult und beschrieb siott
und sicher ein häusliches Intermezzo aus den letzten Tagen,
dessen Leldin ihre jüngere Schwester war. Die hatte mit dem
häufigen Eßeigensinn kleiner Kinder plötzlich beim Mittag-
effen gestreikt, war dann aber auf die gräßliche Drohung
mit Entziehung aller Süßigkeiten auf mindestens drei Wochen
nachgiebig und scheinbar hungrig geworden, während sie tat-
sächlich ihre Bissen heimlich unter dem Tisch dem Laushund
zugesteckt hatte, der auch mit sehr anerkennenswerter Dis-
kretion als Lelfershelfer und Spießgeselle aufgetreten war.
Das wurde eine sehr nett geschriebene Geschichte, und wenn
ich mir auch bewußt war, daß Fräulein Nelkes Absichten
damit nicht ganz getroffen waren, meinte ich doch, daß sie
sehr wohl eine Eins würde darunter setzen können.
Fräulein Nelke schrieb keine Eins und keine Zwei, sie
schrieb überhaupt kein Prädikat unter den Aufsatz. Meine
Tochter kam mit Wut im Lerzen und Tränen in den Augen
aus der Schule. Sie sollte den Aufsatz noch einmal machen.
Sie hätte sich nicht an das Thema gehalten; vom Mittag-
essen selbst sollte die Rede sein, wie der Tisch gedeckt wäre,
wer daran säße, was aufgetragen würde und so weiter.
Oho, Fräulein Nelke ging entschieden zu weit. Sie
schien methodisch zu handeln. Gedeckt durch den Lehrplan,
der „dem häuslichen Leben und der täglichen Amgebung des
Kindes entnommene Stoffe" verlangte, steckte sie ihre Nase
in anderer Leute Angelegenheiten. Sie schnüffelte, sie spio-
nierte. Was andere neugierige Weiber durch Klatsch auf
Gasse und Stiegen herausbringen, wollte sie sich ganz be-
quem durch harmlose Kinder schwarz auf weiß übermitteln
lassen. Dagegen mußte eingeschritten werden. Jch hatte
Lust, Fräulein Nelke einen Brief zu schreiben.
Ich gab aber dieser Lust nicht nach. Es ist niemals
ratsam, daß ein Vater einen zurechtweisenden Brief an
eine Lehrkraft schreibt, die Gewalt über sein Kind hat. Die
Lehrkraft ist in der stärkeren Posttion; sie hat so viele Ge-
legenheiten, schreckliche Rache zu nehmen. Als ich in der
Tertia saß, war ein Mitschüler von mir von einem Lehrer
„junges Rindvieh" genannt worden. Der Vater schrieb
dem Lehrer einen Brief; er beschwerte sich und wies darauf
hin, daß er dann ein „altes Rindvieh" sein müßte. Der
Lehrer steckte den Brief ein, aber fortan nahm er den
Iungen dreimal in jeder Stunde vor, und mindestens ein-
mal fand er dabei Gelegenheit, zu sagen: „Nun, mein Lieber,
ich unterlaffe es, dich gebührend zu charakterisieren, um nicht
den Postfiskus unnötiger Weise zu bereichern." And in der
nächsten Zensur bekam der Iunge eine Vier im Lateinischen.
Ich schrieb also nicht an Fräulein Nelke, meine Tochter
aber einen neuen Aufsatz, mit ungesundem Ehrgeiz leider,
denn sie bestand darauf, nicht ein normales Mittagessen
zu beschreiben, sondern ein prachtvolles Geburtstagsessen.
Uebrigens gab es in der Klaffe einen neuen Zwist. Erna
Oettinger hatte bei diesem Aufsatz wieder surchtbar geprotzt;
sie hatte köstliche Weine und erlesene Delikatessen auf den
Tisch gebracht, — ein Diner beim alten Lukullus war eine
Asketenmahlzeit dagegen. Grete Müller aber, die nur
Suppenfleisch und nachher einen Apfel gegessen hatte, war
gegen die Oettingerschen Orgien als jugendliche Volksred-
nerin aufgetreten. Sie hatte Gefinnungsgenossinnen ge-
funden, Erna Oettinger aber auch, — eine Spaltung hatte
sich in der Klasse vollzogen, die zu einer tiefen Kluft zu
werden drohte.
Fräulein Nelke aber schien nichts davon zu ahnen. Mit
ekiMMli
VIL ClMl6C ^OICOI
6CL-6 lHM E MO70
MI7VI.Us76CO.WWl.IZ7e K057Cl7fOCl
kNiD-XIW-Evtte. OP7150E 6OL7^t7
On. LÄnciow's
^ünstlloliss
Lnissi' 8slL
bei Lrk'ältuux Llldtz^väkrl. — verlaLSa
»uüärilelTlLoä « LalL.
Zögsl
Lrztlich empfohlen gegen:
Oickl, Hexensckuk,
Ukeums, blerven- unä
Isckias» Kopksckmerren.
Hunderte von Anerkennungen. Togal-Tabletten sind
in allen Apotheken erhältlich. Preis Mk. 1.40 u. Mk. 3.50.
I kalalog 20 in Llisfmalken V0N
Die Toten leben!
Eigene Erlebnisse
von H. Ohlhaver
1916
Nicht durch leere Behauptungen, nicht durch kirchliche Tröstungen,
sondern mrt überwältigender Wucht durch eine Fülle von Tatsachen
liefert der Verfafser in greifbarer Deutlichkeit den sicheren Beweis, daß
das bittere Sterben eine leuchtende Kehrfeite hat, daß nur der irdrfche
Körpervernichtetwird, unddaß wir fofortund ohneLlnterbrechung per-
sönlich weiterleben, ausgerüstet mit einem wunderbar orgamsierten
KörpervonätherischerFeinheit. Ia, erbeweiftnochmehr, nämlich:daß
wir gar nicht sterben können, auch wenn wir es wollten, daß die Abge-
schtedenen leben und uns nahe sind, daß sie sich sichtbar machen können,
daß sieinunsereWelt wieder einzugreisenvermögen, unddaß siefogar,
wenn auch nur fürkurzeZeit, sich zu verkörpern imstande sind, ansaßbar
und klar kenntlich als wären sie noch Menschen von Fleisch und Blut.
Dieses Werk ist ein strahlendes Ereignis von unermeßlicher Bedeu-
tung, erregt üverall ungeheures Aussehen, wird täglich in Massen ge-
kauftund istdasmeistgeleseneBuch der Gegenwart. Prospekteumsonst.
Preis M.3.50. In Leinen gebund. Lieserung portofrei unter Nachnahme.
Zu beziehen durch alle Buchhandl. oder direkt von der Verlagsanstalt.
Angnst Karl Tesrner, Berlagsanst., Hambnrg, Alsterdamm 16/19
1369. 22. IVIänr 1917. Ivs«rtiooseedükrei» 4xvsp»tt.I7onparsMe7:viI« I vlarlc. illloinigo In86raten-^.nnadnis bvi I^UlloI^ IVI0886, ämi0NVKN-krpSl!l1l0kI.
Lvrlw, Lreslan, Ovcmnitr, Vrvkäen, vvsseläork. IkrUnLknrt. Lamdurx, Lvlu, I^iprije. LIkeAedurx, läkvvdeim, Lrllnedeu. 8trassdur8 i- L-, Stuttxart, Ludapest, ^Vieu, Lassl, 2Ur!cd.
Lvstvlluneen auk öio ^oedenausxade dei »Hou Lued- unä KunsldLuälunLen, Lvitunes-Lxpeäitionen unä kostLintern. tzuartaisprois (13 ^unnnern) in veutsLdianä Ad. 3.--,
^ostderue Ad. 3.06, untvr Xreurbanä Ad. S.L5. In Oesterroied-IInesrn L 3.60, bostdeLue L 3.85, unter Xreurdanä L 4.—. k'ür äie anäeren d.änäsr äes 'VVeltpyst-
ver«ins unter Lreurbanä »d. 4.30 --- Ipr. 5.50. — »«»vnävr« 1n 8edutrv»vv« vvrpaedte ^usxad«: ?ostd62ue Lld. 3.57, untvr Lreuxdanä Ad. 4.L5; in Oesterrsied-
On^arn unt«r Krvuxdanä R 4.65. d^ür äis anäern d,änä6r äes ^Veltpostvereins unter Kreu^danä 8ld» 5.30 — ^rs» 6.75» — Uinxeine ^iummer 30 oäer «
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Zeitschrift für Humor «nd Kunst
189
Indiskrete SchulaufsLtze
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mit sicherem weiblichen Instinkt fühlte sie, daß jene Dame
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ich weiß schon, was ich schreiben werde," erklärte sie dann.
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dessen Leldin ihre jüngere Schwester war. Die hatte mit dem
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Das wurde eine sehr nett geschriebene Geschichte, und wenn
ich mir auch bewußt war, daß Fräulein Nelkes Absichten
damit nicht ganz getroffen waren, meinte ich doch, daß sie
sehr wohl eine Eins würde darunter setzen können.
Fräulein Nelke schrieb keine Eins und keine Zwei, sie
schrieb überhaupt kein Prädikat unter den Aufsatz. Meine
Tochter kam mit Wut im Lerzen und Tränen in den Augen
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Sie hätte sich nicht an das Thema gehalten; vom Mittag-
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wer daran säße, was aufgetragen würde und so weiter.
Oho, Fräulein Nelke ging entschieden zu weit. Sie
schien methodisch zu handeln. Gedeckt durch den Lehrplan,
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Kindes entnommene Stoffe" verlangte, steckte sie ihre Nase
in anderer Leute Angelegenheiten. Sie schnüffelte, sie spio-
nierte. Was andere neugierige Weiber durch Klatsch auf
Gasse und Stiegen herausbringen, wollte sie sich ganz be-
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Lust, Fräulein Nelke einen Brief zu schreiben.
Ich gab aber dieser Lust nicht nach. Es ist niemals
ratsam, daß ein Vater einen zurechtweisenden Brief an
eine Lehrkraft schreibt, die Gewalt über sein Kind hat. Die
Lehrkraft ist in der stärkeren Posttion; sie hat so viele Ge-
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Tertia saß, war ein Mitschüler von mir von einem Lehrer
„junges Rindvieh" genannt worden. Der Vater schrieb
dem Lehrer einen Brief; er beschwerte sich und wies darauf
hin, daß er dann ein „altes Rindvieh" sein müßte. Der
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Ich schrieb also nicht an Fräulein Nelke, meine Tochter
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Zu beziehen durch alle Buchhandl. oder direkt von der Verlagsanstalt.
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1369. 22. IVIänr 1917. Ivs«rtiooseedükrei» 4xvsp»tt.I7onparsMe7:viI« I vlarlc. illloinigo In86raten-^.nnadnis bvi I^UlloI^ IVI0886, ämi0NVKN-krpSl!l1l0kI.
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^ostderue Ad. 3.06, untvr Xreurbanä Ad. S.L5. In Oesterroied-IInesrn L 3.60, bostdeLue L 3.85, unter Xreurdanä L 4.—. k'ür äie anäeren d.änäsr äes 'VVeltpyst-
ver«ins unter Lreurbanä »d. 4.30 --- Ipr. 5.50. — »«»vnävr« 1n 8edutrv»vv« vvrpaedte ^usxad«: ?ostd62ue Lld. 3.57, untvr Lreuxdanä Ad. 4.L5; in Oesterrsied-
On^arn unt«r Krvuxdanä R 4.65. d^ür äis anäern d,änä6r äes ^Veltpostvereins unter Kreu^danä 8ld» 5.30 — ^rs» 6.75» — Uinxeine ^iummer 30 oäer «
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