Meggendorfer-Blätter, München
Kriegslist — „Zucker willst, Kleine?
Wo hast denn die Marke?"
— „Die soll ich nicht eher geben, als bis Sie sie haben
wollen, hat die Multer gesagt, — am End' vergessen Sie 's."
Der Soldat, der etwas vergaß VonPeterRobinson
Fräulein Karoline Karsten geht jeden Abend spät,
etwa um elf Ahr, einige Minuten auf der Straste vor
ihrer Wohnung spazieren, bei gutem und schlechtem Wetter,
zu jeder Iabreszeit, ohne Ausnahme. Sie tut das, weil
sie ein Lündchen besiht und diesem die besonders vor dem
Schlafengehen so notwendige Gelegenheit zu einiger Be-
wegung im Freien verscbaffen muß. Lundebesitzer auf
dem Lande mit Lof und Garten haben es nicht so nötig,
sich diese Mllhe zu machen, da sie ihren Lunden in dieser
Beziehung größere Selbständigkeit gewähren können, und
das ist entschieden ein Vorteil. Dafür sind sie aber auch
nicht so genau über die Gesundheitsverhältnisse ihrer Lunde
orientiert, und das ist wieder ein Nachteil, wie eben bei
den meisten Dingen in dieser Welt irgend ein schönes Plus
durch ein bcdauerliches Minus wieder aufgehoben wird. —
An einem schönen Abend zu Ansang des drilten Kriegs-
septembers passierle die Geschichte. Fräulein Karoline
Karsten spazierte etwas länger als gswöhnlich die stille
Straße hinauf und hinunter, die nach der einen Seite in
einen etwas lebhafteren Verkebrsweg mündet, nach der andern
aber durch eine hohe Mauer abgeschlossen wird, die den
Grenzwall eines prinzlichen Gartens bildet. Eben das Dasein
dieses prinzlichen Gartens hat die Straße dazu verurteilt,
eine Sackgasse zu bleiben. Denn man hatte dem Prinzen
doch nicht zumuten können, daß er mitten durch seinen
schönen Garten, in dem er jedes Iahr zwei- oder dreimal
spazierengeht, eine ganz gewöhnliche Straße führen ließ.
Aber vielleicht verkauft er später einmal, wenn die Grund-
stückspreise in jener Gegend tüchtig gestieaen sind, das ganze
Anwesen, und dann wird man die hohe Mauer niederreißen
und die Straße verlängern können. Vorläufig aber steht
die Mauer noch fest und unerschüttert da, und eben dieser
llmstand bescherte Fräulein Karoline Karsten an jenem
Abend ein besonderes Erlebnis.
Sie hielt sich also etwas länger als gewöhnlich auf der
Straße auss womit auch ihr Lündchen ganz einverstanden
war, da es einen verirrten Knochen von zwar nicht be-
sonderer, in der Kriegszeit aber doch sehr zu schätzender
Güte gefunden hatte. Die Luft war so schön warm, die
Sterne am klaren Limmel so freundlich hell und ringsum
alles so beschaulich still. Fräulein Karsten vergaß beinahe,
daß Krieg in der Welt war. Sonst beschäftigte sie dieser
peinliche Zeitumstand vielleicht mehr als viele andere Damen.
Sie könnte kaum die Morgen- und Abendzeitung erwarten;
sie las die Tagesberichte, bis sie sie auswendig wußte, sie
konnte alle Kriegserklärungen herzählen, — vor allem aber
bewies sie ein großes praktisches Interesse für das Wohl
derjenigen, die dem erwähnten mißlichen Zeitumstand zumeist
ausgesetzt waren, nämlich die Soldaten. Kaum ein Tag
verging, an dem sie nicht einige Liebesgabenpäckchen an in
Lazaretten und Mafsenquartieren sorglich erfragte Feld-
adressen solcher schickte, die es brauchen konnten, und es
waren nicht, wie ältere unverheiratete Damen das oft tun,
unnütze Dinge, die sie spendete, sondern sehr geschätzte und
gewiß mit Dank begrüßte. Denn Fräulen Karoline Karsten
wußte sehr wohl, was ein Mann gebrauchen kann und gern
hat. Sie wußte das von ihrem jüngeren Bruder, mit dem
sie zusammen wohnt?. Zur Zeit freilich war er nicht da,
sondern in Brüssel, wo er als Verwaltungsbeamter bei
schönem Gehalt tätig war und hin und wieder auch Zeit
fand, durchaus zufriedene Briefe an seine Schwester zu
schreiben.
Eine nahe Turmuhr hatte eben elf geschlagen, mit
grämlichem Tone, als wäre sie dieser seit vielen Iahrzehnten
geübten Pflicht überdrüffig und hätte keine Lust mehr, der
gegenwärtigen Menschheit zu dienen. Fräulein Karsten
schloß die Äaustüre auf und wartete auf ihr Äündchen,
das noch überlegte, ob es etwa den Versuch machen sollte,
den Knochen mit ins Laus zu nehmen, — wobei es jeden-
falls auf den Widerstand der Äerrin gestoßen wäre. Da
wurden harte Schritte auf dem Pflaster laut. Fräulein
Karsten schaute aus der Türnische auf die Straße hinaus.
Ein Soldat kam daher. Er ging eilig, aber in jener Art,
die einem aufmerksamen Beobachter zeigt, daß der Betref-
fende dabei so tun will, als habe er sehr viel Zeit und
— „Warum nennst du das Bild ,Rätsell?"
— „Na, weißt du vielleicht, was es vorstellen soll?"
Kriegslist — „Zucker willst, Kleine?
Wo hast denn die Marke?"
— „Die soll ich nicht eher geben, als bis Sie sie haben
wollen, hat die Multer gesagt, — am End' vergessen Sie 's."
Der Soldat, der etwas vergaß VonPeterRobinson
Fräulein Karoline Karsten geht jeden Abend spät,
etwa um elf Ahr, einige Minuten auf der Straste vor
ihrer Wohnung spazieren, bei gutem und schlechtem Wetter,
zu jeder Iabreszeit, ohne Ausnahme. Sie tut das, weil
sie ein Lündchen besiht und diesem die besonders vor dem
Schlafengehen so notwendige Gelegenheit zu einiger Be-
wegung im Freien verscbaffen muß. Lundebesitzer auf
dem Lande mit Lof und Garten haben es nicht so nötig,
sich diese Mllhe zu machen, da sie ihren Lunden in dieser
Beziehung größere Selbständigkeit gewähren können, und
das ist entschieden ein Vorteil. Dafür sind sie aber auch
nicht so genau über die Gesundheitsverhältnisse ihrer Lunde
orientiert, und das ist wieder ein Nachteil, wie eben bei
den meisten Dingen in dieser Welt irgend ein schönes Plus
durch ein bcdauerliches Minus wieder aufgehoben wird. —
An einem schönen Abend zu Ansang des drilten Kriegs-
septembers passierle die Geschichte. Fräulein Karoline
Karsten spazierte etwas länger als gswöhnlich die stille
Straße hinauf und hinunter, die nach der einen Seite in
einen etwas lebhafteren Verkebrsweg mündet, nach der andern
aber durch eine hohe Mauer abgeschlossen wird, die den
Grenzwall eines prinzlichen Gartens bildet. Eben das Dasein
dieses prinzlichen Gartens hat die Straße dazu verurteilt,
eine Sackgasse zu bleiben. Denn man hatte dem Prinzen
doch nicht zumuten können, daß er mitten durch seinen
schönen Garten, in dem er jedes Iahr zwei- oder dreimal
spazierengeht, eine ganz gewöhnliche Straße führen ließ.
Aber vielleicht verkauft er später einmal, wenn die Grund-
stückspreise in jener Gegend tüchtig gestieaen sind, das ganze
Anwesen, und dann wird man die hohe Mauer niederreißen
und die Straße verlängern können. Vorläufig aber steht
die Mauer noch fest und unerschüttert da, und eben dieser
llmstand bescherte Fräulein Karoline Karsten an jenem
Abend ein besonderes Erlebnis.
Sie hielt sich also etwas länger als gewöhnlich auf der
Straße auss womit auch ihr Lündchen ganz einverstanden
war, da es einen verirrten Knochen von zwar nicht be-
sonderer, in der Kriegszeit aber doch sehr zu schätzender
Güte gefunden hatte. Die Luft war so schön warm, die
Sterne am klaren Limmel so freundlich hell und ringsum
alles so beschaulich still. Fräulein Karsten vergaß beinahe,
daß Krieg in der Welt war. Sonst beschäftigte sie dieser
peinliche Zeitumstand vielleicht mehr als viele andere Damen.
Sie könnte kaum die Morgen- und Abendzeitung erwarten;
sie las die Tagesberichte, bis sie sie auswendig wußte, sie
konnte alle Kriegserklärungen herzählen, — vor allem aber
bewies sie ein großes praktisches Interesse für das Wohl
derjenigen, die dem erwähnten mißlichen Zeitumstand zumeist
ausgesetzt waren, nämlich die Soldaten. Kaum ein Tag
verging, an dem sie nicht einige Liebesgabenpäckchen an in
Lazaretten und Mafsenquartieren sorglich erfragte Feld-
adressen solcher schickte, die es brauchen konnten, und es
waren nicht, wie ältere unverheiratete Damen das oft tun,
unnütze Dinge, die sie spendete, sondern sehr geschätzte und
gewiß mit Dank begrüßte. Denn Fräulen Karoline Karsten
wußte sehr wohl, was ein Mann gebrauchen kann und gern
hat. Sie wußte das von ihrem jüngeren Bruder, mit dem
sie zusammen wohnt?. Zur Zeit freilich war er nicht da,
sondern in Brüssel, wo er als Verwaltungsbeamter bei
schönem Gehalt tätig war und hin und wieder auch Zeit
fand, durchaus zufriedene Briefe an seine Schwester zu
schreiben.
Eine nahe Turmuhr hatte eben elf geschlagen, mit
grämlichem Tone, als wäre sie dieser seit vielen Iahrzehnten
geübten Pflicht überdrüffig und hätte keine Lust mehr, der
gegenwärtigen Menschheit zu dienen. Fräulein Karsten
schloß die Äaustüre auf und wartete auf ihr Äündchen,
das noch überlegte, ob es etwa den Versuch machen sollte,
den Knochen mit ins Laus zu nehmen, — wobei es jeden-
falls auf den Widerstand der Äerrin gestoßen wäre. Da
wurden harte Schritte auf dem Pflaster laut. Fräulein
Karsten schaute aus der Türnische auf die Straße hinaus.
Ein Soldat kam daher. Er ging eilig, aber in jener Art,
die einem aufmerksamen Beobachter zeigt, daß der Betref-
fende dabei so tun will, als habe er sehr viel Zeit und
— „Warum nennst du das Bild ,Rätsell?"
— „Na, weißt du vielleicht, was es vorstellen soll?"