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— „2ch gehe jetzt Besorgungen machen, Erna. Wenn Tante Paula zu Besuch kommt, sage ihr, sie
möchte nicht auf mich warten, ich würde sehr spät nach Lause kommen. And wenn Papa inzwischen
kommt, bestelle ihm, ich wäre in einer halben Stunde zurück, er möchte ja nicht wieder ausgehn."

Der Soldat, der etwas vergaß

bewege sich seines Wiffens eigentlich gar nicht so schnell
fort. Außerdem ließ sich ein nicht ganz gerades Einhalten
seines Kurses erkennen, und Fräulein Karsten, die — auch
von ihrem Bruder her — mit jener alten Probe bekannt
war, dachte bei sich: „Eine Dielenritze entlang würde der
Mann nicht gehen können, — er hat zwar noch nicht zu
viel getrunken, aber doch schon ein wenig mehr als genug." —

Ietzt kam der Soldat an Fräulein Karsten und der
offenen Laustür, die er mit flüchtigem Blick streifte, vorüber,
jetzt war er drei Schriite weiter, — dann aber stand er still.
Er reckte den Kopf etwas vor, — die Mauer des prinzlichen
Gartens war in seinen Gesichtskreis und sein Bewußlsein
getreten. Er hielt einen lauten Monolog. „So 'ne aas'je
Zuchtl Da hab' ich mich ja in 'ner Sackgaß' verbiestert.
Da setzt mir der Deiwel so 'ne verflucht'che Mauer hin,
und nu bin ich schön reinjeschmiert."

Fräulein Karsten vernahm diese Worte mit Teilnahme.
Es war ihr klar, daß der Soldat da ein Ortsfremder war.
Das verriet schon seine Sprache, die auf einen Bewohner
mehr östlicher Bezirke des Vaterlandes deutete, etwa des
Weichselgebietes, dann aber auch seine Ankenntnis mit den
Verhältnissen der Stadt, denn er wußte nicht, daß jene
Mauer, die er so beanstandete und verfluchte, von einem
Prinzen gebaut worden war. Sonst hätte er doch niemals
gesagt, daß der Deiwel die Mauer hingesetzt hätte.

Vielleicht war hier ein Akt der Freundlichkeit ange-
zeigt, übcrlegte Fräulein Karsten, und sie war schon im
Begriff, den Soldaten zu fragen, welches denn eigentlich
sein Ziel wäre, und ihm dann den Weg zu weisen, als ein
nun nach der andern Nichtung gewandter, sehr verdrieß-
licher Blick des Mannes sie über die Arsache belehrte, die
ihn die prinzliche Mauer hatte verfluchen laffen. Der Sol-
dat hatte ganz einfach ausreißen wollen, — vor zwei andern
Soldaten, die, in Landsturmmützen und Gewehre umgehängt,
eben jetzt in die Straße einbogen.

„O weh - die Patrouille!" dachte Fräulein Karsten, und
Mitleid bewegte ihr Lerz. Denn es muß erwähnt werden:
sie fühlte warm für die Soldaten, nicht nur insofern sie
Kämpfer, Sieger und Schützengrabenbewohner waren, nein,
schon wegen des militärischen Verhältniffes an sich. Das
Soldatenleben schien ihr gar zu rauh, und wenn es nach
ihr gegangen wäre, — o, da hätte jeder Soldat womöglich
Lerr genannt werden und alle seine sonstigen Llmstände
dementsprechend beschaffen sein müssen. So dachte Fräulein
Karoline Karsten, und wenn sie damit,was wir zugeben wollen,
unrecht hatte, so darf man es ihr doch weiter nicht verübeln.
Denn sie urteilte eben mit einem guten Lerzen und nicht
mit einem scharfen, strammen Verstande, den aber die fort-
geschrittene Menschheit weit nötiger braucht als das Lerz.—

Vielleicht fühlte der auS dem Osten des Vaterlande«
stammende Soldat Fräulein Karstens Lerz ängstlich für
 
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