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Der Soldat, der etwas vergaß
ihn schlagen, vielleicht hälte erden Schritt sowie-
so getan, auch wenn nicht das milde Fräulein,
sondern ein rauher Türhüter dort gestanden
hätte, — genug, er war mit einem Sprung in
der geöffneten Tür und sprach Fräulein Karsten
hastig, doch nicht ohne Löflichkeit an. „Ach
Gottchen, liebes Madamchen, kann ich nich' mal
schnell ein bißchen hier 'reinkommen? Bloß,
bis die beiden verflucht'chen Kerls da draußen
wieder wech sind."

Fräulein Karsten hatte zwar Mitleid mit
Soldaten, aber sie war auch eine gute Staats-
bürgerin. Einen Augenblick zögerte sie. Tat
sie nicht vielleicht unrecht, durfte sie in eine
militärische Aktion sich einmischen? Aber die
vierbeinigen Schritte der Patrouille kamen
näher, fest erschollen sie und drohend, — Fräu-
lein Karsten stieß die Tür völlig auf, und der
Soldat schlüpste ins Laus, verfolgt von dem
bellenden Lündchen, das einen Eindringling
witterte, was aber Fräulein Karsten sehr an-
genehm war, denn wenn sie erst noch das
Lündchen hätte locken müffen, hätte das am
Ende eine unheilvolle Verzögerung gegeben.

Nun aber konnte sie die Tür zuwerfen und
zweimal den Schlüssel umdrehn. Dann schaltete
sie die Flur- und Treppenbeleuchtung ein und
sah sich ihren Schützling an.

Er war kein Iüngling mehr; die Mitte
der Dreißiger mochte er schon erreicht haben,
und sein Bart war, wie bei so vielen Soldaten
dieser Zeit, schon etwas angegraut. Ach ja, er
mochte schon mancherlei im Felde auszustehn
gehabt haben. Aber brav und ehrlich sah er
aus, und Fräulein Karsten hatte Vertrauen
zu ihm. Bieder streckte er ihr die Land hin.

„Ich dank' Ihnen auch schön, Madamchen!"
sagte er und tat einen langen Atemzug der
Befreiung. „Das is' ja noch mal glicklich abjegangen.
Die verflucht'chen Kerls hätten mir beinah am Schlafittchen
jekriecht."

Fräulein Karften nahm die gebotene Land; sie bemerkte
dabei mit Befriedigung, daß der Soldat einen bereits etwas
abgewetzten Trauring trug. Es war ihr doch angenehm,
daß der Mann, mit dem sie da um elf !lhr nachts im Laus-
flur stand, verheiratet war. „Sie dürfen wohl um diese
Zeit nicht mehr auf der Straße sein?" erkundigte sie sich.

„I wo, Madamchen," sagte der Soldat, der jetzt vergnügt
lächelte, wozu er ja alle Arsache hatte. „Am zehn Ahr soll
ich im Quatier sein. Ich bin hier auf Arlaub, Madamchen,
bei meiner Schwester. Von wejen einer Erbschaft, Madam-
chen. Leit' morjen haben wir sie ausjezahlt jekriecht. Na,
und da bin ich denn heit' ein bißchen' rumjebummelt,—allein,
denn meine Schwester muß bei ihre kleinen Bäljer bleiben.
Na, und wie das so is, Madamchen, da hab' ich denn
auch'n paar Töppchen jetrunken, und da is es denn auf
einmal so spät jewesen. Ich hab' jedacht, ich käm' sicher
nach Laus, aber dem Deiwel soll einer trauen, — auf
einmal kommt so 'ne verflucht'che Patrouille-"

„Pst!" machte Fräulein Karften. Auf der Straße
hörte man Stimmen. „Verschwunden kann er doch nicht
sein," sagte jemand. Das waren die Läscher.

Der Soldat machte ein ängstliches Gesicht. Fräulein
Karsten überlegte. Gleich würde das Treppenlicht wieder

ausgehn. Sie hatte keine Lust, hier noch lange stehen-
zubleiben; auch bestand hier keine Möglichkeit, sich zu ver-
gewiffern, wann die ^datrouille wieder abzog, was aber am
Fenster ihrer im Erdgeschoß gelegenen Wohnung sich sehr
gut machen ließ. And der Verfolgte lehnte sich so matt und
erholungsbedürftig gegen die Wand, daß ihr Mitleid noch
stärker wurde. „Kommen Sie und setzen Sie sich einen
Augenblick!" sagte sie.

In Fräulein Karstens Wohnztmmer stand ein herrlich
bequemer Seffel, ein rechter Schlummerstuhl. „Na, denn
bin ich so frei, Madamchen," sagte der Soldat und setzte
sich in diesen Seffel hinein. Fräulein Karsten fand es jetzt
angemessen, sich nach den persönlichen Verhältnissen des
Mannes zu erkundigen. „Sie sind verheiratet?"

Der Soldat gähnte. Dann nickte er. „Aber ja, Ma-
damchen, — all zehn Iahre. And fünf Bäljer. Das is'
keine Kleinichkeit, dann in den verflucht'chen Kriech müssen.
And denn jetzt noch so 'ne Ieschichten! Wenn mich die Schorf-
kräten da auf der Gaß' erwischt hätten, hätt' ich am End'
Kasten jekriecht, wie der allerjüngste Bowke, den sie eben
erst einjezogen haben."

„Sie haben ganz recht," sagte Fräulein Karsten und
freute sich jetzt wirklich, daß sie den Soldaten vor den
Konsequenzen einer ihrer Meinung nach allzu strengen
Disziplin bewahrt hatte. Sie ging ans Fenster und sah
hinaus. Die beiden Landsturmleute standen auf der andern
 
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