102 Meggendorfer-Blätter, München
— „Ich glaub' nur die Lälste von dem, was in der Zeitung steht."
— „Ich manchmal das Doppelte. Wenn ich heute im Abendblatt lese, was die Räucher-
fische kosten, nehm' ich an, daß ich morgen grad' noch mal so viel bezahlen muß."
Der vergnügte Barbier
Am es gleich festzustellen: ich rasiere mich natürlich selbst.
Mit einem Sicherheitsapparat, der amerikanisches Fabrikat
ist, was mir aber wohl niemand übel nehmen wird, wenn
ich versichere, daß ich ihn schon vor neun Iahren gekauft
habe. Er ist übrigens sehr gut.
Neulich aber hatte ich kein Bröckchen Rasierseife mehr
im Lause. Ich mußte unrasiert sortgehen und hielt es
deshalb ausnahmsweise für angezeigt, doch bei einem Bar-
bier einzukehren. Angenehmerweise brauchte ich nicht zu
warten; der Barbier, ein junger Gehilfe, war ganz allein
in dem Lokal. Als ich eintrat, tanzte er gerade auf einem
Bein und pfiff in schrillen Wnen: So leben wir, so leben
wir alle Tage. — Ich hoffte, daß der junge Mann damit
unrecht hatte; im Interesse seines Prinzipals hoffte ich das,
denn wie hätte der Mann bestehen können, wenn sein
Geschäst alle Tage so wenig
besucht gewesen wäre.
Der junge Barbier lächelte
mich so ungewöhnlich strahlend
an, daß ich merkte, dies Lächeln
sollte gar nicht mir, dem zu-
fälligen und ganz unbekannten
Kunden gelten, sondern mußte
einer ihn ganz beherrschenden
Freude entspringen. Während
ich mich setzte und er den
Seifenschaum präparierte, pfiff
er wieder: So leben wir. Er
pfiff auch, als er mich einseiste,
abev immerhin mit einiger
Rücksicht etwas gedämpfter.
Doch die Töne schwollen sofort
wieder an, als er sich von mir
entfernte und das Meffer
wetzte. Es schien dem jungen
Mann sehr gut zu gehn.
Als er dann das Messer
bei mir ansetzen wollte, be-
merkte ich, daß ein alkoholischer
Dunst, den ich erst den auf-
gestellten Flaschen zugeschrie-
ben hatte, seinem Munde ent-
strömte, getragen von den
Luftströmen seines noch immer
sortgesetzten Pseifens. Diese
Entdeckung war mir unange-
nehm. Der junge Mann hatte
Schnaps getrunken. Schnaps
stärkt, aber mehr das Gemüt,
nicht die Lände, die dann eher
zittern. Seine Lände zitterten
sogar sehr. „Einen Augenbiick,
bitte," sagte ich, „werden Sie
mich auch nicht schneiden?"
„Ach, wo werd' ich dcnn;
das ist mir schon lange nicht
passiert," sagte er und nickte
mir beruhigend zu. „Wissen
Sie, dafür sorgt der Prin-
zipal, der ist darin höllisch
scharf."
„So, was tut er denn?"
erkundigte ich mich.
Der junge Barbier machte ein wichtiges Gesicht. „Fünf-
zig Pfennige zieht er jedesmal, wenn man jemand geschnitten
hat, vom Lohn ab. Da hat man sich natürlich immer mächtig
in Acht genommen.
Das war ein vernünftiges Prinzip, doch es konnte
mir nichts nützen, denn dieser strenge Prinzipal war ja nicht
zugegen. Aber, o Freude, — der junge Mann sah durch
das Fenster auf die Straße. „Da kommt er!" sagte er.
So, nun war ich beruhigt; das Rasieren konnte be-
ginnen. Aber der junge Barbier hatte noch das Bedürfnis,
mir etwas mitzuteilen. Ganz dicht beugte er sich zu mir,
während er mit dem Messer sorglos herumfuchtelte, und
erzählte: „Der wird sich heut' wundern, mein Prinzipal.
Den Buckel kann mir der Mann 'runterrutschen. Wissen
Sie, warum ich so vergnllgt bin? Fünstausend Mark
hab ich in der Sanitätslolterie gewonnen, sünftausend
Mark!"
0N.
(5opynqbt 1917 by 7?. Sclnviber
— „Ich glaub' nur die Lälste von dem, was in der Zeitung steht."
— „Ich manchmal das Doppelte. Wenn ich heute im Abendblatt lese, was die Räucher-
fische kosten, nehm' ich an, daß ich morgen grad' noch mal so viel bezahlen muß."
Der vergnügte Barbier
Am es gleich festzustellen: ich rasiere mich natürlich selbst.
Mit einem Sicherheitsapparat, der amerikanisches Fabrikat
ist, was mir aber wohl niemand übel nehmen wird, wenn
ich versichere, daß ich ihn schon vor neun Iahren gekauft
habe. Er ist übrigens sehr gut.
Neulich aber hatte ich kein Bröckchen Rasierseife mehr
im Lause. Ich mußte unrasiert sortgehen und hielt es
deshalb ausnahmsweise für angezeigt, doch bei einem Bar-
bier einzukehren. Angenehmerweise brauchte ich nicht zu
warten; der Barbier, ein junger Gehilfe, war ganz allein
in dem Lokal. Als ich eintrat, tanzte er gerade auf einem
Bein und pfiff in schrillen Wnen: So leben wir, so leben
wir alle Tage. — Ich hoffte, daß der junge Mann damit
unrecht hatte; im Interesse seines Prinzipals hoffte ich das,
denn wie hätte der Mann bestehen können, wenn sein
Geschäst alle Tage so wenig
besucht gewesen wäre.
Der junge Barbier lächelte
mich so ungewöhnlich strahlend
an, daß ich merkte, dies Lächeln
sollte gar nicht mir, dem zu-
fälligen und ganz unbekannten
Kunden gelten, sondern mußte
einer ihn ganz beherrschenden
Freude entspringen. Während
ich mich setzte und er den
Seifenschaum präparierte, pfiff
er wieder: So leben wir. Er
pfiff auch, als er mich einseiste,
abev immerhin mit einiger
Rücksicht etwas gedämpfter.
Doch die Töne schwollen sofort
wieder an, als er sich von mir
entfernte und das Meffer
wetzte. Es schien dem jungen
Mann sehr gut zu gehn.
Als er dann das Messer
bei mir ansetzen wollte, be-
merkte ich, daß ein alkoholischer
Dunst, den ich erst den auf-
gestellten Flaschen zugeschrie-
ben hatte, seinem Munde ent-
strömte, getragen von den
Luftströmen seines noch immer
sortgesetzten Pseifens. Diese
Entdeckung war mir unange-
nehm. Der junge Mann hatte
Schnaps getrunken. Schnaps
stärkt, aber mehr das Gemüt,
nicht die Lände, die dann eher
zittern. Seine Lände zitterten
sogar sehr. „Einen Augenbiick,
bitte," sagte ich, „werden Sie
mich auch nicht schneiden?"
„Ach, wo werd' ich dcnn;
das ist mir schon lange nicht
passiert," sagte er und nickte
mir beruhigend zu. „Wissen
Sie, dafür sorgt der Prin-
zipal, der ist darin höllisch
scharf."
„So, was tut er denn?"
erkundigte ich mich.
Der junge Barbier machte ein wichtiges Gesicht. „Fünf-
zig Pfennige zieht er jedesmal, wenn man jemand geschnitten
hat, vom Lohn ab. Da hat man sich natürlich immer mächtig
in Acht genommen.
Das war ein vernünftiges Prinzip, doch es konnte
mir nichts nützen, denn dieser strenge Prinzipal war ja nicht
zugegen. Aber, o Freude, — der junge Mann sah durch
das Fenster auf die Straße. „Da kommt er!" sagte er.
So, nun war ich beruhigt; das Rasieren konnte be-
ginnen. Aber der junge Barbier hatte noch das Bedürfnis,
mir etwas mitzuteilen. Ganz dicht beugte er sich zu mir,
während er mit dem Messer sorglos herumfuchtelte, und
erzählte: „Der wird sich heut' wundern, mein Prinzipal.
Den Buckel kann mir der Mann 'runterrutschen. Wissen
Sie, warum ich so vergnllgt bin? Fünstausend Mark
hab ich in der Sanitätslolterie gewonnen, sünftausend
Mark!"
0N.
(5opynqbt 1917 by 7?. Sclnviber