120 ÄUeggendorfer-Blätter, V!ünchen
Männlicher Standpunkt
„Gleich Stoff zu einem ganzen Kleid?
Ein Rock wird 's doch auch tun, Frau. Sie werden doch noch Blusen genug haben."
— „Ia, das meinen Sie, Lerr Bezugscheinvorstand, — weil Sie bloß die Äosen zersitzen.
Aber unsereins rührt sich ganz und gar."
Der Bauch des Garfield Pallot Peter Robinson
Professor Pallot hatte immer stolz behauptet, ein
waschechter Amerikaner zu sein. Die Wahrheit dieser Be-
hauptung durch die Tat zu bestätigen, unterließ er indeffen
fast ganz und gar, indem er sich nämlich nicht wusch oder
wenigstens nie so gründlich, daß eine Waschechtheit erprobt
werden konnte. Es gab Leute, die genau wiffen wollten,
daß der Professor schwindelte und seiner Abstammung
nach ein Italiener wäre, der eigentlich den Namen Pallotti
führen müßte. Die beiden letzten Buchstaben dieses Namens
hälte er in den Vereinigten Staaten verloren, wo ja so
viele Leute von dem, was sie aus dem Vaterlande mit-
brachten, noch viel mehr einbüßen, und dadurch einiger-
maßen eine Anglisierung, beziehungsweise, was ja sast das-
selbe ist, Amerikanisierung seines Namens erreicht.
Nun wird man sich vielleicht darüber wundern, daß
ein Profefsor sich selten und ungenügend wusch. Dazu
ist zu erklären, daß Pallot der Titel eines Profefsors nicht
verliehen worden war. Er hätte auch niemals Aussicht
gehabt, ihn zu bekommen, und deshalb hatte er ihn sich
eben selbst genommen. Pallot war Professor der Seil-
tänzerei und höheren Gymnastik; Pallot war ein wandern-
der Artist. Warum aber sollte er sich nicht Professor
nennen?
Dieser Titel, aus einem bunten Plakat der Welt mit-
geteilt, erhöhte das Vertrauen zu seinen Leistungen und
mochte manchen zur Erlegung des Eintrittsgeldes bestimmen,
der einen simplen Mister Pallot nicht des Ansehns für
wert gehalten hätte. Der Prosessor tat aber auch das
seine, den Titel zu rechtfertigen. Er gab sich immer die
ehrlichste Mühe, sein Publikum zufriedenzustellen, und
setzte sein ganzes Können und alle Kräfte dafür ein. Das
aber ist mehr, als manche
wirklichen Profefforen tun, und
deshalb wollen wir es Pallot
weiter nicht übelnehmen, daß
er sich so ohne weiteres das
schöne Prädikat aneignete. Es
war ja auch in Amerika, wo
die prächtigsten Titel nicht nur
verliehen und verkauft werden,
sondern auch wie die Feld-
blumen am Wege wachsen,
die von jedermann abgepflückt
werden können. Bei uns in
Deutschland werden sie nur
verliehen. Das ist das Rich-
tige, und deshalb können wir
bei uns viel mehr Zutrauen
zu Leuten mit Titeln haben.
Denn natürlich verleiht man
etwas nur an zuverlässige
Menschen. —
Profeffor Pallot kam nie
dazu, in seinem Bervf Reich-
tümer zu sammeln; er brachte
es nicht einmal zu Ersparnissen.
Mit seiner kleinen Truppe,
deren Mitgliederzahl selbst in
den besten Zeiten nie über
fünf hinausging, bereiste er
die kleineren Städte des vor-
nehmsten Teils der Anion,
der dreizehn alten Staaten.
Er brachte sich eben gerade
durchs Leben, ein Leben, das jeden Tag auf einem wenig
einträglichen Spiele stand. So war es begreiflich, daß
Pallot, als ihm im März 1881 ein Sohn geboren wurde,
dem er zu Ehren des damals eben gewählten Präsidenten
den Namen Garfield gab, von Lerzen und in treuer Vater-
sorge wünschte, daß es diesem Sohne — der war übrigens
nun wirklich ein echter Amerikaner — einmal besser ergehn
möchte. Nein, Garfield Pallot sollte nicht jeden Abend
darüber sich sreuen müssen, daß er noch mit heilen Knochen
sich zu Bett legen konnte, und wenn er schon — denn das
Wanderdasein ließ kaum eine Erziehung zu einem andern
Beruf zu — Artist wurde, so sollte er wenigstens eine nicht
zu gefährliche Kunst betreiben. Pallot der Aeltere ent-
schied: der Iunge soll Schlangenmensch werden.
Was ein Schlangenmensch ist, wird ja wohl jeder wissen,
und es werden auch manche sein, die kein Vergnügen an
den Windungen und Drehungen eines solchen Künstlers
finden. Es ist auch nicht recht einzusehn, warum ein Mensch
dergleichen tun soll. Die Schlangen, denen er das nachmacht,
besorgen das immer noch weit besser, und es liegt keine
Veranlassung vor, sie nachzuahmen; es gäbe weit schönere
Vorbilder sür den Menschen. Aber man muß die Entschei-
dung des älteren Pallot hinnehmen. Er war der Vater,
er hatte zu bestimmen. Die Mutter hätte freilich ein Wort
darein zu reden gehabt, aber sie war einverstanden. Ihr
Geschäft war es, an der Kasse zu sitzen und Eintrittskarten
zu verkaufen; was danach für das Eintrittsgeld geboten
wurde, ging sie nichts an. Wenn Professor Pallot es für
nützlich hielt, seiner Truppe einen Schlangenmenschen heran-
zubilden, so war das seine Sache.
Ein Schlangenmensch muß sehr früh mit der Vorberei-
tung für seinen Beruf beginnen und schon in ganz jungen
Männlicher Standpunkt
„Gleich Stoff zu einem ganzen Kleid?
Ein Rock wird 's doch auch tun, Frau. Sie werden doch noch Blusen genug haben."
— „Ia, das meinen Sie, Lerr Bezugscheinvorstand, — weil Sie bloß die Äosen zersitzen.
Aber unsereins rührt sich ganz und gar."
Der Bauch des Garfield Pallot Peter Robinson
Professor Pallot hatte immer stolz behauptet, ein
waschechter Amerikaner zu sein. Die Wahrheit dieser Be-
hauptung durch die Tat zu bestätigen, unterließ er indeffen
fast ganz und gar, indem er sich nämlich nicht wusch oder
wenigstens nie so gründlich, daß eine Waschechtheit erprobt
werden konnte. Es gab Leute, die genau wiffen wollten,
daß der Professor schwindelte und seiner Abstammung
nach ein Italiener wäre, der eigentlich den Namen Pallotti
führen müßte. Die beiden letzten Buchstaben dieses Namens
hälte er in den Vereinigten Staaten verloren, wo ja so
viele Leute von dem, was sie aus dem Vaterlande mit-
brachten, noch viel mehr einbüßen, und dadurch einiger-
maßen eine Anglisierung, beziehungsweise, was ja sast das-
selbe ist, Amerikanisierung seines Namens erreicht.
Nun wird man sich vielleicht darüber wundern, daß
ein Profefsor sich selten und ungenügend wusch. Dazu
ist zu erklären, daß Pallot der Titel eines Profefsors nicht
verliehen worden war. Er hätte auch niemals Aussicht
gehabt, ihn zu bekommen, und deshalb hatte er ihn sich
eben selbst genommen. Pallot war Professor der Seil-
tänzerei und höheren Gymnastik; Pallot war ein wandern-
der Artist. Warum aber sollte er sich nicht Professor
nennen?
Dieser Titel, aus einem bunten Plakat der Welt mit-
geteilt, erhöhte das Vertrauen zu seinen Leistungen und
mochte manchen zur Erlegung des Eintrittsgeldes bestimmen,
der einen simplen Mister Pallot nicht des Ansehns für
wert gehalten hätte. Der Prosessor tat aber auch das
seine, den Titel zu rechtfertigen. Er gab sich immer die
ehrlichste Mühe, sein Publikum zufriedenzustellen, und
setzte sein ganzes Können und alle Kräfte dafür ein. Das
aber ist mehr, als manche
wirklichen Profefforen tun, und
deshalb wollen wir es Pallot
weiter nicht übelnehmen, daß
er sich so ohne weiteres das
schöne Prädikat aneignete. Es
war ja auch in Amerika, wo
die prächtigsten Titel nicht nur
verliehen und verkauft werden,
sondern auch wie die Feld-
blumen am Wege wachsen,
die von jedermann abgepflückt
werden können. Bei uns in
Deutschland werden sie nur
verliehen. Das ist das Rich-
tige, und deshalb können wir
bei uns viel mehr Zutrauen
zu Leuten mit Titeln haben.
Denn natürlich verleiht man
etwas nur an zuverlässige
Menschen. —
Profeffor Pallot kam nie
dazu, in seinem Bervf Reich-
tümer zu sammeln; er brachte
es nicht einmal zu Ersparnissen.
Mit seiner kleinen Truppe,
deren Mitgliederzahl selbst in
den besten Zeiten nie über
fünf hinausging, bereiste er
die kleineren Städte des vor-
nehmsten Teils der Anion,
der dreizehn alten Staaten.
Er brachte sich eben gerade
durchs Leben, ein Leben, das jeden Tag auf einem wenig
einträglichen Spiele stand. So war es begreiflich, daß
Pallot, als ihm im März 1881 ein Sohn geboren wurde,
dem er zu Ehren des damals eben gewählten Präsidenten
den Namen Garfield gab, von Lerzen und in treuer Vater-
sorge wünschte, daß es diesem Sohne — der war übrigens
nun wirklich ein echter Amerikaner — einmal besser ergehn
möchte. Nein, Garfield Pallot sollte nicht jeden Abend
darüber sich sreuen müssen, daß er noch mit heilen Knochen
sich zu Bett legen konnte, und wenn er schon — denn das
Wanderdasein ließ kaum eine Erziehung zu einem andern
Beruf zu — Artist wurde, so sollte er wenigstens eine nicht
zu gefährliche Kunst betreiben. Pallot der Aeltere ent-
schied: der Iunge soll Schlangenmensch werden.
Was ein Schlangenmensch ist, wird ja wohl jeder wissen,
und es werden auch manche sein, die kein Vergnügen an
den Windungen und Drehungen eines solchen Künstlers
finden. Es ist auch nicht recht einzusehn, warum ein Mensch
dergleichen tun soll. Die Schlangen, denen er das nachmacht,
besorgen das immer noch weit besser, und es liegt keine
Veranlassung vor, sie nachzuahmen; es gäbe weit schönere
Vorbilder sür den Menschen. Aber man muß die Entschei-
dung des älteren Pallot hinnehmen. Er war der Vater,
er hatte zu bestimmen. Die Mutter hätte freilich ein Wort
darein zu reden gehabt, aber sie war einverstanden. Ihr
Geschäft war es, an der Kasse zu sitzen und Eintrittskarten
zu verkaufen; was danach für das Eintrittsgeld geboten
wurde, ging sie nichts an. Wenn Professor Pallot es für
nützlich hielt, seiner Truppe einen Schlangenmenschen heran-
zubilden, so war das seine Sache.
Ein Schlangenmensch muß sehr früh mit der Vorberei-
tung für seinen Beruf beginnen und schon in ganz jungen