Meggendorfer-Blätter, München
Der Zauberkünstler an der Grenze
Ein gemeiner Mensch
T Äerr Schmalmeyer, der frühere Delikatefsenhändler —
jetzt nämlich heißt er Feinkosthändler — wollte gerade
seinen Laden schließen, als noch ein Kunde kam, der Äerr
Nechnungerat Seiberlich. Früher hat ver §>err Rechnungs-
rat niemals Lebensmittel für sich und seine Familie cinge-
kauft, aber jetzt — nun, wir wiffen ja, wie das ist. Wir
kausin jetzt ja selbst alles Mögliche zum Essen ein — wo
wir nur was kriegen können.
Käse wollte Lerr Seiberlich haben. „Ist zu haben,"
erklärte Schmalmeyer, „aber nur Auslandsware." Er
deutcte auf einen stattlichen Käselaib, der nach einem
Zwischenglied zwischen Lolländer und Tilsiter Käse aussah.
„Zwei Mark acbtzig das Pfund."
Der L>err Rechnungsrat hätte beinahe geseufzt, aber
er besann sich noch auf seine Würde. „Na ja, — wenn's
denn nicht anders ist."
Schmalmcyer nahm das große Messer und schnitt ein
entsprechendes Ctück von dem Käse ab. Gerade aber war
die Trennung vollzogen, da siel ein kleiner blanker Gegen-
stand aus der Käsemasse heraus und rollte den Ladentisch
entlang. Es war ein vernickeltes Büchschen, so eines, worin
Schulkinder ihre Schreibfedern zu haben Pflegen. „Nanu,"
sagte der Feinkosthändler, „wie kommt denn das da herein?"
„Auslandsware, mein lieber Lerr Schmalmeyer!"
meinte Lerr Seiberlich. „Fa, die Neutralen — wenn man
denen jetzt was zu essen abkauft, da kann man manchmal
was erleben."
„Ich schneide Ihnen ein Stück von der andern Seite
ab," erklärte der Geschästsmann brummig. Als der Äerr
Rechnungsrat dann getn wollte, fiel ihm noch etwas ein.
„Vielleicht steckt etwas in dem Büchschen."
Schmalmeyer hatte es schon zwischen den Fingern.
Mit Mühe nur — es hatte ja schon längere Zeit in dem
Käse gesteckt — konnte er es össnen: ein Zettclchen lag
darin. Er ging damit unter die Gaslampe, sah es eine Weile
an — ja, und dann fiel ihm das Blältchen plönlich aus
der Land, hinter den Ladentisch, wo es der Äerr Rcch-
nungsrat nicht mehr sehen konnte. Der war neugierlg
geworden. „Stand elwas darauf?"
Schmalmcyer sah schief nach der Seite. „Ia, — aber
ich hab's nicht lesen können."
„Schade, schade!" bedauerte Lerr Seiberlich. „Ich muß
jetzt gehn. Aber sehn Sie doch noch einmal nach, lieber
Lerr Schmalmeyer; das Zettelchen interessiert mich sehr.
Na, ich komme ja bald wieder mal heran."
Kaum war der Äerr Rechnungsrat aus dem Laden
hinaus, da verschloß Schmalmeyer die Tür und ließ die
Rolljalousie herab. Dann nahm er den Zertel wieder vom
Boden auf und las noch einmal, was er schon vorhin sehr
wohl gelesen hatte, nämlich das folgende:
Denjenigen Käsekäufer, der dies Papier findet, bitte
ich um gefällige Mitteilung, ob er den Käse als inländischen
gekauft hat, oder ob er ihm als teure Auslandsware ange-
schwindelt worden ift.
Gottfried Nogalski, Molkereibesitzer,
Groß-Klamauken bei Tilsit.
„Donnerwetter!" brummte der Feinkosthändler Schmal-
meyer, „das hätte eine schöne Geschichte werden können."
Mit der schönen Geschichte meinte er natürlich jene Folgen,
die sich ergeben hätten, wenn nicht ihm das Büchschen in
die Lände gefallen wäre, sondern einem Kunden, am Ende
gar dem Lerrn Rechnungsrat Seiberlich. -
l^ortsetzung auf S. 152.)
Eopvriabr 1917 bv I. A. Scbreiber
Der Zauberkünstler an der Grenze
Ein gemeiner Mensch
T Äerr Schmalmeyer, der frühere Delikatefsenhändler —
jetzt nämlich heißt er Feinkosthändler — wollte gerade
seinen Laden schließen, als noch ein Kunde kam, der Äerr
Nechnungerat Seiberlich. Früher hat ver §>err Rechnungs-
rat niemals Lebensmittel für sich und seine Familie cinge-
kauft, aber jetzt — nun, wir wiffen ja, wie das ist. Wir
kausin jetzt ja selbst alles Mögliche zum Essen ein — wo
wir nur was kriegen können.
Käse wollte Lerr Seiberlich haben. „Ist zu haben,"
erklärte Schmalmeyer, „aber nur Auslandsware." Er
deutcte auf einen stattlichen Käselaib, der nach einem
Zwischenglied zwischen Lolländer und Tilsiter Käse aussah.
„Zwei Mark acbtzig das Pfund."
Der L>err Rechnungsrat hätte beinahe geseufzt, aber
er besann sich noch auf seine Würde. „Na ja, — wenn's
denn nicht anders ist."
Schmalmcyer nahm das große Messer und schnitt ein
entsprechendes Ctück von dem Käse ab. Gerade aber war
die Trennung vollzogen, da siel ein kleiner blanker Gegen-
stand aus der Käsemasse heraus und rollte den Ladentisch
entlang. Es war ein vernickeltes Büchschen, so eines, worin
Schulkinder ihre Schreibfedern zu haben Pflegen. „Nanu,"
sagte der Feinkosthändler, „wie kommt denn das da herein?"
„Auslandsware, mein lieber Lerr Schmalmeyer!"
meinte Lerr Seiberlich. „Fa, die Neutralen — wenn man
denen jetzt was zu essen abkauft, da kann man manchmal
was erleben."
„Ich schneide Ihnen ein Stück von der andern Seite
ab," erklärte der Geschästsmann brummig. Als der Äerr
Rechnungsrat dann getn wollte, fiel ihm noch etwas ein.
„Vielleicht steckt etwas in dem Büchschen."
Schmalmeyer hatte es schon zwischen den Fingern.
Mit Mühe nur — es hatte ja schon längere Zeit in dem
Käse gesteckt — konnte er es össnen: ein Zettclchen lag
darin. Er ging damit unter die Gaslampe, sah es eine Weile
an — ja, und dann fiel ihm das Blältchen plönlich aus
der Land, hinter den Ladentisch, wo es der Äerr Rcch-
nungsrat nicht mehr sehen konnte. Der war neugierlg
geworden. „Stand elwas darauf?"
Schmalmcyer sah schief nach der Seite. „Ia, — aber
ich hab's nicht lesen können."
„Schade, schade!" bedauerte Lerr Seiberlich. „Ich muß
jetzt gehn. Aber sehn Sie doch noch einmal nach, lieber
Lerr Schmalmeyer; das Zettelchen interessiert mich sehr.
Na, ich komme ja bald wieder mal heran."
Kaum war der Äerr Rechnungsrat aus dem Laden
hinaus, da verschloß Schmalmeyer die Tür und ließ die
Rolljalousie herab. Dann nahm er den Zertel wieder vom
Boden auf und las noch einmal, was er schon vorhin sehr
wohl gelesen hatte, nämlich das folgende:
Denjenigen Käsekäufer, der dies Papier findet, bitte
ich um gefällige Mitteilung, ob er den Käse als inländischen
gekauft hat, oder ob er ihm als teure Auslandsware ange-
schwindelt worden ift.
Gottfried Nogalski, Molkereibesitzer,
Groß-Klamauken bei Tilsit.
„Donnerwetter!" brummte der Feinkosthändler Schmal-
meyer, „das hätte eine schöne Geschichte werden können."
Mit der schönen Geschichte meinte er natürlich jene Folgen,
die sich ergeben hätten, wenn nicht ihm das Büchschen in
die Lände gefallen wäre, sondern einem Kunden, am Ende
gar dem Lerrn Rechnungsrat Seiberlich. -
l^ortsetzung auf S. 152.)
Eopvriabr 1917 bv I. A. Scbreiber