168 Meggenvyrfer-BlätLer, München
Auf Reisen
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Die Kompanie-Kundschaft
Wir lagen im Ruhequartier. Ich stand vor der Bude,
ließ mir das erste Frühlingslüftl um die Nase wehn und
betrachtete mir den frischeingetroffenen Ersatz, die alten
Knaben in den neuen Röcken. Einer von ihnen kam lang-
sam auf mich zu und musterte mich kritisch durch seine
philosophische Dienstbrille. War es mein Gold-Double-
Zwicker, der ihn einen Geistesverwandten wittern ließ —
genug, er stellte sich neben mich und gedachte, mich in ein
Gespräch zu ziehen. Folgte meinen Blicken und gewahrte
ein idyllisch Bild: den Kompanie-Barbier bei seiner Beruss-
tätigkeit. Den Verschönerungsrat, den mancher, dessen
Betrieb daheim siill steht, weidlich beneidet, obwohl auch
hier die Vorsehung in Gestalt des Kompaniechefs sorgt,
daß die Bäume nicht in den Limmel wachsen. Denn die
vorgeschriebene Taxe ist: süns Pfennig für Rasieren, zehn
Pfennig sür Laarschneiden.
Während ich nun voll Genugtuung feststellte, welch
ritterlicher Kern noch in der rauhen Schale des Kriegers
steckt — jeder gab dem Barbier ein Aufgeld! — schüttelte
mein Nebenmann unmutig das Laupt und brummte:
„Dieser Stümper! Dieser Schwachkopf! Plagt sich
jede freie Viertelstunde wie das Vieh im Ioch — ohne
System — ohne Ideale!"
Ich betrachtste ihn von der Seite.
„Ohne Ideale!" fuhr er fort, „ohne der Zukunft zu
gedenken, ohne zu bedenken, daß die Zukunft unser ist, daß
der Krieg, wenn man Psiichtgefü hl und Vater
landsliebe abzieht, nur Mittel zv m Zweck ist!"
„Zu welchem Zweck?" horchte ich.
„Ansere Zukunft ficherzustellenk Anser Leben
vor den Nöten und kleinlichen Widerwärtigkeiten
des Alltags zu bewahren!" — Anvermittelt fragte
er mich: „Was sind Sie von Beruf?"
„Weinreisender!" erwiderte ich schlagfertig.
Er sah mich durch seine Eulengläser enttäuscht
an. „Weinreisender? Nun gut! Sie haben Ihre
Kundschaft in Pommern oder Provinz Posen
gehabt, haben wohl auch eine Entdeckungsreise
in die schlesischen Gefilde gemacht. Glauben Sie,
daß Ihre Kundschaft Ihnen treu bleiben wird?"
Ich zuckte die Achseln: „Ich muß mir nach
dem Krieg halt neue suchen!"
„Aeberflüssig!" ries er, „Sie haben Jhre Kund-
schaft! Die Kameradschaft ist doch kein leerer
Wahn! Die Kompanie wird Ihre Kundschaft
sein!"
„Die Kompanie?"
„Die Kompanie! Die ganze Kompanie kauft
Ihnen für Lebenszeit Ihre sauren Weine ab!
Sie haben nichts anderes Zu tun, als das ganze
Iahr im Reich umherzureisen und nicht einen
der treuen Kriegskameraden zu überschlagen. Wer
allzu abgeschieden wohnt vom breiten Strom
der Welt, — an der Kurischen Nehrung, in den
Schleswig'schen Watten oder hinter Larlaching —
ist verpsiichtet, Sie für die Extraspesen durch extra-
große Austräge zu entschädigen. Die Kamerad-
schaft ist doch kein leerer Wahn!"
„Ia — aber . . .!"
„Was — aber!" suhr er mich barsch an.
„Nicht jeder Soldat hat den begnadeten
Beruf eines Weinreisenden!"
„Tut nichts!" erwiderte er angeregt. „Neh-
men wir meinetwegen einen Ehevermittler. Partien in
den feinsten Kreisen. Welche Perspektiven eröffnen sich
den unvermählten Kameraden! Welch ein großes Arbeits
feld, von den Burschen und Gulaschkanonieren an bis hoch
hinauf in den Offiziersstab den äsus sx mÄellius. zu spielen!
Denn daß es nach dem Kriege keine Junggesellen aus
Prinzip mehr geben wird, liegt klar auf der Äand.
Nehmen wir einen Schuster. Sein Landwerk wird blühen.
In den bequemen Kommißstiefeln hat man die Füße breit-
getreten, sie passen nimmer in die engen Lackschuhe von 1914
hinein! Prompt auf den Tag erfcheint er bei feinen ehe-
maligen Kameraden und versorgt sie mit ihrer Sippe miL
Fußbekleidung. — Nehmen wir einen Rechtsanwalt. Pro--
zesse müffen sein, und mit Steuerreklamationen wird er nach
dem Kriege in der Kompanie alle Lände voll zu tun
kriegen. Ich bitte Sie: ein Nechtsanwalt mit einer Kom-
panie Klienten! Ist das nicht überwältigend? Eine Frau
mit Dreihunderttausend ist ihm sicher. — Nehmen wir einen
Photographen. Alles ist eitel. Wer läßt sich nicht gern
von vorn, von der Seite, schräg von hinten knipsen? Der
Mann mit der Kamera wird nicht schnell genug reisen
können, um jeden Kameraden mit seiner Braut, oder —
so er, wie Goethes Mephisto, die Frauen nur im Plural
denkt, mit seinen Bräuten zu photographieren. — Nehmen
Sie, welchen Beruf Sie immer wollen. Die Kompanie
ist für alle Zukunft von wirtschaftlichen Sorgen erlöst, die
Kompanie ernährt sich gegenseitig! Das große Problem,
über dem sich die großen Nationalökonomen den Schädel
Auf Reisen
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Die Kompanie-Kundschaft
Wir lagen im Ruhequartier. Ich stand vor der Bude,
ließ mir das erste Frühlingslüftl um die Nase wehn und
betrachtete mir den frischeingetroffenen Ersatz, die alten
Knaben in den neuen Röcken. Einer von ihnen kam lang-
sam auf mich zu und musterte mich kritisch durch seine
philosophische Dienstbrille. War es mein Gold-Double-
Zwicker, der ihn einen Geistesverwandten wittern ließ —
genug, er stellte sich neben mich und gedachte, mich in ein
Gespräch zu ziehen. Folgte meinen Blicken und gewahrte
ein idyllisch Bild: den Kompanie-Barbier bei seiner Beruss-
tätigkeit. Den Verschönerungsrat, den mancher, dessen
Betrieb daheim siill steht, weidlich beneidet, obwohl auch
hier die Vorsehung in Gestalt des Kompaniechefs sorgt,
daß die Bäume nicht in den Limmel wachsen. Denn die
vorgeschriebene Taxe ist: süns Pfennig für Rasieren, zehn
Pfennig sür Laarschneiden.
Während ich nun voll Genugtuung feststellte, welch
ritterlicher Kern noch in der rauhen Schale des Kriegers
steckt — jeder gab dem Barbier ein Aufgeld! — schüttelte
mein Nebenmann unmutig das Laupt und brummte:
„Dieser Stümper! Dieser Schwachkopf! Plagt sich
jede freie Viertelstunde wie das Vieh im Ioch — ohne
System — ohne Ideale!"
Ich betrachtste ihn von der Seite.
„Ohne Ideale!" fuhr er fort, „ohne der Zukunft zu
gedenken, ohne zu bedenken, daß die Zukunft unser ist, daß
der Krieg, wenn man Psiichtgefü hl und Vater
landsliebe abzieht, nur Mittel zv m Zweck ist!"
„Zu welchem Zweck?" horchte ich.
„Ansere Zukunft ficherzustellenk Anser Leben
vor den Nöten und kleinlichen Widerwärtigkeiten
des Alltags zu bewahren!" — Anvermittelt fragte
er mich: „Was sind Sie von Beruf?"
„Weinreisender!" erwiderte ich schlagfertig.
Er sah mich durch seine Eulengläser enttäuscht
an. „Weinreisender? Nun gut! Sie haben Ihre
Kundschaft in Pommern oder Provinz Posen
gehabt, haben wohl auch eine Entdeckungsreise
in die schlesischen Gefilde gemacht. Glauben Sie,
daß Ihre Kundschaft Ihnen treu bleiben wird?"
Ich zuckte die Achseln: „Ich muß mir nach
dem Krieg halt neue suchen!"
„Aeberflüssig!" ries er, „Sie haben Jhre Kund-
schaft! Die Kameradschaft ist doch kein leerer
Wahn! Die Kompanie wird Ihre Kundschaft
sein!"
„Die Kompanie?"
„Die Kompanie! Die ganze Kompanie kauft
Ihnen für Lebenszeit Ihre sauren Weine ab!
Sie haben nichts anderes Zu tun, als das ganze
Iahr im Reich umherzureisen und nicht einen
der treuen Kriegskameraden zu überschlagen. Wer
allzu abgeschieden wohnt vom breiten Strom
der Welt, — an der Kurischen Nehrung, in den
Schleswig'schen Watten oder hinter Larlaching —
ist verpsiichtet, Sie für die Extraspesen durch extra-
große Austräge zu entschädigen. Die Kamerad-
schaft ist doch kein leerer Wahn!"
„Ia — aber . . .!"
„Was — aber!" suhr er mich barsch an.
„Nicht jeder Soldat hat den begnadeten
Beruf eines Weinreisenden!"
„Tut nichts!" erwiderte er angeregt. „Neh-
men wir meinetwegen einen Ehevermittler. Partien in
den feinsten Kreisen. Welche Perspektiven eröffnen sich
den unvermählten Kameraden! Welch ein großes Arbeits
feld, von den Burschen und Gulaschkanonieren an bis hoch
hinauf in den Offiziersstab den äsus sx mÄellius. zu spielen!
Denn daß es nach dem Kriege keine Junggesellen aus
Prinzip mehr geben wird, liegt klar auf der Äand.
Nehmen wir einen Schuster. Sein Landwerk wird blühen.
In den bequemen Kommißstiefeln hat man die Füße breit-
getreten, sie passen nimmer in die engen Lackschuhe von 1914
hinein! Prompt auf den Tag erfcheint er bei feinen ehe-
maligen Kameraden und versorgt sie mit ihrer Sippe miL
Fußbekleidung. — Nehmen wir einen Rechtsanwalt. Pro--
zesse müffen sein, und mit Steuerreklamationen wird er nach
dem Kriege in der Kompanie alle Lände voll zu tun
kriegen. Ich bitte Sie: ein Nechtsanwalt mit einer Kom-
panie Klienten! Ist das nicht überwältigend? Eine Frau
mit Dreihunderttausend ist ihm sicher. — Nehmen wir einen
Photographen. Alles ist eitel. Wer läßt sich nicht gern
von vorn, von der Seite, schräg von hinten knipsen? Der
Mann mit der Kamera wird nicht schnell genug reisen
können, um jeden Kameraden mit seiner Braut, oder —
so er, wie Goethes Mephisto, die Frauen nur im Plural
denkt, mit seinen Bräuten zu photographieren. — Nehmen
Sie, welchen Beruf Sie immer wollen. Die Kompanie
ist für alle Zukunft von wirtschaftlichen Sorgen erlöst, die
Kompanie ernährt sich gegenseitig! Das große Problem,
über dem sich die großen Nationalökonomen den Schädel