Zeitschrift für Humor und Kunst
Die Speisekarte
Es war an einem schönen
Sonntagnachmittag. Ich
hatte einen wohlfeilen Spa-
ziergang durch die freund-
liche Natur gemacht und
begab mich sodann in die
einladenden Räume einer
behäbigen Gaststätte, die
am Wege lag, und wo ich
gerade noch ein gemütliches
Plätzchen fand, um meinem
müden Leibebeh aglich eRast
zu gönnen. Ich bestellte mir
ein Glas Bier, nahm ein
paar durstige Schlucke und
studierte hernach die Spei-
sekarte. Denn es war sechs
Llhr, und der Magen ver-
langte sein sogenanntes
Necht.
Ach, was war das für
ein herrlicher Genuß, die
hungrigen Augen die lange
Reihe der leckeren Speisen
hinabgleiten zu laffen!
Wenn ich nicht fürchten
müßte, mich einer Aufrei-
zung schuldig zu machen, so
würde ich all die guten
Sachen hier aufzählen, die
da, teils gedruckt, teils ge-
schrieben standen von der
appetitanregenden Vor-
speise an bis zum magen-
schließendenNachtisch. Aber
ich unterlaffe es, wie gesagt,
und begnügte mich auch an
besagtem Sonntage, die
Karte still für mich durch-
zustudieren und mir einen
Abendtisch zusammenzu-
stellen, der angetan sein
sollte, Magen und Gemüt
gleicherweise zubefriedtgen.
Da fühlte ich plötzlich,
wie mich jemand auf die
Schulter tippte.
„Ist die Speisekarte frei, bitte?" fragte ein Lerr
neben mir.
„Bedaure nein," gab ich zur Antwort.
Nicht lange darauf, so tippte mich jemand von der
anderen Seite auf die Schulter und stellte die gleiche Frage.
Da die Frage die gleiche war, so war auch die Antwort
meinerseits die gleiche.
Dann kam ein Äerr von gegenüber, sodann einer von
weiter her, kurz darauf einer vom Nebentisch und nach einer
kleinen Pause einer aus der Fensterecke. Sie alle wollten
die Speisekarte, sosern ich sie gelesen hätte. Aber ich be-
deutete ihnen allen, daß dies noch nicht der Fall sei, und
beugte zum Beweise deffen mein Gesicht tiefer über das
begehrte Stück Papier. Gleichwohl aber vermochte ich
zu sehen, wie sich drohende Blicke auf mich richteten und
verschiedene Lippen fich in wachsendem Llnmute kräuselten.
Was nur die Leute hatten? Ich kann doch eine Speise-
karte lesen, solange ich will!
Aber aus den drohenden
Zeichen eines verhaltenen
Anwillens wurde allmählich
ein ebenso drohendes Knur-
ren und Brummen, aus dem
sich nach und nach gereizte
Worte und halbe Sätze
wie puffende Explosionen
herauslösten und alle an-
scheinend auf mich und
meine harmlose Beschäfii-
gung gemünzt waren.
„Eine Anverschämtheit!
Eine Frechheit! Rücksichts-
losigkeit sondergleichen!
Der Schubjack tut ja, als
ob wir Luft wären! Er
will sie wohl auswendig
lernen! Reißt ihm doch
den Fetzen aus der Land!"
!lnd so fort. Es war, wie
mir schien, eine richtige
kleine rollende, grollende
Rebellion im Gange, und
Plötzlich sah ich eine braune,
haarige Pfote vor meinen
Augen, und meine Speise-
karte trennte sich auf ge-
waltsame Weise von mir.
Ich wollte reden, prote-
stieren, aufklären, aber mei-
ne Worte gingen in einem
chaotischen Gewirr entzück-
ter Ausrufe verloren. Ein
Knäuel gieriger Menschen
hatte sich um meine Speise-
karte gebildet und suchte
mit wildem Blick eine
hastige Wahl zu treffen.
!lnd dann ging es in un-
aufhaltsamem Sturm aus
ein unglückliches Wesen
los, das eben zur Tür
hereintrat und die Kellnerin
der gastlichen Stätte war.
„Fräulein, mir einen
Kalbsbraten! Aber bald!"
„Mir eine gebratene Äaxe mit Salat!"
„Mir einen Rosenspitz mit Kartoffeln!"
„Mir ein Pickelsteiner!"
„Mir ein das und mir ein jenes!"
Die Kellnerin verlor zunächst den Atem. Dann blickte
sie irr, und zum Schluß ging ihr die Frisur in die Löhe.
Als sie aber Atem und Vernunft wiedergefunden und ihre
Frisur sich wieder gelegt hatte, wurde sie braunrot im Ge-
stcht und ihre runden Augen schoffen Basiliskenblicke.
„Ihrseids wohl alle mitsammen übergeschnappt,"schrillte
ste. „Was soll denn das bedeuten! Wollt ihr euch vielleicht
einen Alk mit mir machen? Welches Kamel phantasiert denn
da von einer Laxen? Llnd einen Rosenspitz wollen Sie?
Einen Affenschwanz können Sie haben."
Sie war, wie man sieht, mehr deutlich, als höflich.
„Aber die Sachen stehen doch alle auf der Karte,"
wandte der Chorus etwas kleinmütig ein.
— „Ich glaube, so muß es Adam zu Mute ge-
wesen sein, als er die Landwirtschaft anfing!"
Die Speisekarte
Es war an einem schönen
Sonntagnachmittag. Ich
hatte einen wohlfeilen Spa-
ziergang durch die freund-
liche Natur gemacht und
begab mich sodann in die
einladenden Räume einer
behäbigen Gaststätte, die
am Wege lag, und wo ich
gerade noch ein gemütliches
Plätzchen fand, um meinem
müden Leibebeh aglich eRast
zu gönnen. Ich bestellte mir
ein Glas Bier, nahm ein
paar durstige Schlucke und
studierte hernach die Spei-
sekarte. Denn es war sechs
Llhr, und der Magen ver-
langte sein sogenanntes
Necht.
Ach, was war das für
ein herrlicher Genuß, die
hungrigen Augen die lange
Reihe der leckeren Speisen
hinabgleiten zu laffen!
Wenn ich nicht fürchten
müßte, mich einer Aufrei-
zung schuldig zu machen, so
würde ich all die guten
Sachen hier aufzählen, die
da, teils gedruckt, teils ge-
schrieben standen von der
appetitanregenden Vor-
speise an bis zum magen-
schließendenNachtisch. Aber
ich unterlaffe es, wie gesagt,
und begnügte mich auch an
besagtem Sonntage, die
Karte still für mich durch-
zustudieren und mir einen
Abendtisch zusammenzu-
stellen, der angetan sein
sollte, Magen und Gemüt
gleicherweise zubefriedtgen.
Da fühlte ich plötzlich,
wie mich jemand auf die
Schulter tippte.
„Ist die Speisekarte frei, bitte?" fragte ein Lerr
neben mir.
„Bedaure nein," gab ich zur Antwort.
Nicht lange darauf, so tippte mich jemand von der
anderen Seite auf die Schulter und stellte die gleiche Frage.
Da die Frage die gleiche war, so war auch die Antwort
meinerseits die gleiche.
Dann kam ein Äerr von gegenüber, sodann einer von
weiter her, kurz darauf einer vom Nebentisch und nach einer
kleinen Pause einer aus der Fensterecke. Sie alle wollten
die Speisekarte, sosern ich sie gelesen hätte. Aber ich be-
deutete ihnen allen, daß dies noch nicht der Fall sei, und
beugte zum Beweise deffen mein Gesicht tiefer über das
begehrte Stück Papier. Gleichwohl aber vermochte ich
zu sehen, wie sich drohende Blicke auf mich richteten und
verschiedene Lippen fich in wachsendem Llnmute kräuselten.
Was nur die Leute hatten? Ich kann doch eine Speise-
karte lesen, solange ich will!
Aber aus den drohenden
Zeichen eines verhaltenen
Anwillens wurde allmählich
ein ebenso drohendes Knur-
ren und Brummen, aus dem
sich nach und nach gereizte
Worte und halbe Sätze
wie puffende Explosionen
herauslösten und alle an-
scheinend auf mich und
meine harmlose Beschäfii-
gung gemünzt waren.
„Eine Anverschämtheit!
Eine Frechheit! Rücksichts-
losigkeit sondergleichen!
Der Schubjack tut ja, als
ob wir Luft wären! Er
will sie wohl auswendig
lernen! Reißt ihm doch
den Fetzen aus der Land!"
!lnd so fort. Es war, wie
mir schien, eine richtige
kleine rollende, grollende
Rebellion im Gange, und
Plötzlich sah ich eine braune,
haarige Pfote vor meinen
Augen, und meine Speise-
karte trennte sich auf ge-
waltsame Weise von mir.
Ich wollte reden, prote-
stieren, aufklären, aber mei-
ne Worte gingen in einem
chaotischen Gewirr entzück-
ter Ausrufe verloren. Ein
Knäuel gieriger Menschen
hatte sich um meine Speise-
karte gebildet und suchte
mit wildem Blick eine
hastige Wahl zu treffen.
!lnd dann ging es in un-
aufhaltsamem Sturm aus
ein unglückliches Wesen
los, das eben zur Tür
hereintrat und die Kellnerin
der gastlichen Stätte war.
„Fräulein, mir einen
Kalbsbraten! Aber bald!"
„Mir eine gebratene Äaxe mit Salat!"
„Mir einen Rosenspitz mit Kartoffeln!"
„Mir ein Pickelsteiner!"
„Mir ein das und mir ein jenes!"
Die Kellnerin verlor zunächst den Atem. Dann blickte
sie irr, und zum Schluß ging ihr die Frisur in die Löhe.
Als sie aber Atem und Vernunft wiedergefunden und ihre
Frisur sich wieder gelegt hatte, wurde sie braunrot im Ge-
stcht und ihre runden Augen schoffen Basiliskenblicke.
„Ihrseids wohl alle mitsammen übergeschnappt,"schrillte
ste. „Was soll denn das bedeuten! Wollt ihr euch vielleicht
einen Alk mit mir machen? Welches Kamel phantasiert denn
da von einer Laxen? Llnd einen Rosenspitz wollen Sie?
Einen Affenschwanz können Sie haben."
Sie war, wie man sieht, mehr deutlich, als höflich.
„Aber die Sachen stehen doch alle auf der Karte,"
wandte der Chorus etwas kleinmütig ein.
— „Ich glaube, so muß es Adam zu Mute ge-
wesen sein, als er die Landwirtschaft anfing!"