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Kriegschronik der Meggendorfer Blätter^ München

Eisenbahnverkehr ab Petersburg

Fünf Tage hatte Pjoter Gruschilin darauf verwenden
müssen, eine Eisenbahnfahrkarte von Petersburg nach
Wyschno-Wolotschok zu ergattern, drei Tage dauerte es
dann, bis er mit einem Zuge mitkam, und am neunten
Tage spät abends klopfte er bei seinem alten Onkel Ssaschka
an, der aus dem Bett herausklettern mußte, ihn einzulassen.
Onkel Ssaschka schlug die Lände über dem Kopf zusammen.
„Ia, wo kommst du denn her?"

„Direkt von Petersburg, Onkelchen. Gott sei Dank,
daß ich glücklich herausgekommen bin. Aber tu mir den
einzigen Gefallen und gib mir schnell etwas Talg, am
besten Lirschtalg, wenn du welchen hast. Ich halte es gar
nicht mehr aus vor Schmerzen, — ganz wund geritten bin ich."

„Sieh da, geritten bist du," sagte Onkel Ssaschka.
„Das ist ja sehr interessant, da mußt du ja eine Menge
unterwegs gesehen haben. Sage mal, wie ift denn die
Stimmung unter den Bauern?"

„Weiß ich! Ich habe doch keinen einzigen Bauern ge-
sprochen."

„Na höre mal, du wirst doch öfters Station gemacht
haben!"

„Unsinn, — warum soll ich denn Station gemacht haben?"

„Na, rim zu schlafen natürlich."

Pjoter Gruschilin wurde ungeduldig. „Aber Onkelchen,
ich babe doch die Neise in einer Tour gemacht."

Da schüttelte Onkel Ssaschka den Kopf. „Äöre, mein
Söhnchen, du wirst mich alten Mann nicht zum Narren
halten wollen! Von Petersburg nach Wyschno-Wolotschok
in einer Tour, — das hält doch kein Mensch aus, und der
Gaul schon gar nicht."

„Aber Onkelchen welcher Gaul denn?"

„Pjoter, dein Verftand scheint gelitten zu haben. Du
hast mir doch erzählt, daß du geritten bist."

Pjoter Gruschilin streckte die §>and nach dem Äirschlalg
aus, den Onkel Ssaschka hervorgesucht hatte. Dann sagte
er mürrisch: „Geritten, — na ja auf dem Puffer vom
letzten Wagen."

4- »

Selbst auf dem Petersburger Nikolaj-Bahnhof und
selbst in diesen Tagen steigt immer ein Mensch als erster
in ein Wagenabteil. Dieses Glück hatte der Schneider-
meister Iakimenko Auf jeden beliebigen Platz hätte er sich
setzen können, aber das tat er nicht, — nein, er legte sich,
schmal und dürr, in das Gepäcknetz über der Bank. „Mas
soll denn das?" fragte ein Schaffner, der gerade dabei stand,
„warum setzen Sie sich nicht vernünftig hin?"

— „Na, Iwan, dir scheint's ja gut anzuschlagen. Vei deiner
Kompagnie hast du dich dünn gemacht, und bei uns wirst du dick."

Der Präsidentenstuhl


Kerenski: „So schön ist er ja nicht,
wie Ex-Väterchens, aber dafür ist er neu."

Aber der Schneidermeister Iakimenko entgegnete resi-
gniert: „Ach, lassen Sie mich nur gleich hier oben. Ich
bin ja doch derjenige, den die andern Neisenden nachher
hier hinlegen würden."

4- *

Eine Viertelminute, ehe der Zug nach Moskau — vier
Stunden zu spät — wirklich abging, sprangen noch zwei
Lerren auf die Lokomotive. Das hätten sie eigentlich nicht
gedurft, aber jeder hielt eine Lundertrubelnote bereit, und
deshalb ging es doch. Sie nahmen auf dem Kohlenwagen
Platz, der eine auf einem Stapel Äolz, der andere auf den
Kohlen. Dann führ der Zug ab.

Der Lokomotivführer war Iwan Dimitrenko, der ein
Mann von unerschütterlichem Gerechtigkeitsgefühl ist, seit-
dem Nußland eine Nepublik ist. Diesem Iwan Dimitrenko
fiel auf der ersten Station hinter Petersburg etwas ein,
— er erkundigte sich, was fiir Fahrkarten seine Gäste eigent-
lich hätten. Darauf wies der Äerr, der auf den Kohlen
saß, eine Fahrkarte erster, der andere eine solche zweiter
Klasse vor.

Darauf entschied der gerechte Iwan Dimitrenko: „So
geht das nicht, Sie müssen die Plätze tauschen. Auf dem
Lolz ist hier erster und auf den Kohlen zweiter Klaffe."

4- 4-

Nikifor Dowgotschin hatte schon die Loffnung auf-
gegeben, mit dem Zuge mitzukommen, denn der bot nur
für 700 Personen Platz, es saßen aber schon 3500 darin.
Oder vielmehr: sie befanden stch darin, und Trittbretter
und Dächer waren auch besetzt. Schließlich fand Nikifor
Dowgotschin aber doch noch ein Plätzchen, — er hängte
sich einfach an das Bremsgestänge und den Kopf konnte
er dabei ganz bequem auf den Leuchtgasbehälter legen.
Auf dem Gasbehälter aber lag schon ein anderer Fahrgast.
„Geben Sie nur acht", riet der, „daß Ihnen nicht irgend
etwas abgequetscht wird, wenn unterwegs die Bremse an-
gezogen wird,"

„Ich werde schon aufpaffen" meinte Nikifor Dowgot
schin, „aber können Sie mir nicht sagen, ob ich nach Bolo-
goje umsteigen muß?"

„Nein, da brauchen Sie nicht umzusteigen."

„Gott sei Dankl" sagte da Nikifor Dowgotschin. „Das
Umsteigen ist immer eine so unangenehme Sache, - man weiß
nie, ob man nachher einen guten Platz bekommt. «edanensts
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