Zeitschrift für Humor und Kunst 11
Weinholds Bekehrung
plöhlich wie gebannt stehen
blieb. Lier hatte sich seit
gestern etwas zugetragen, was
ihm völlig neu war. Ein kleiner
Laden, den früher ein Schuster
innegehabt hatte, und der dann
lange leer gestanden war, er°
strahlte heute im feenhasten
Glanze einer hundertkerzigen
Glühlampe,und auf demSchau-
fenster stand in weißen, weit-
hin leuchtenden Buchstaben:
Elektrische Feinwäscherei und
Plättanstalt von Klärchen
Schulze. Und drinnen im
Laden, inmitten einer Wolke
blendend weißer Wäsche und
selbst vom Kopf bis zum Fuß
in duftiqes Weiß gekleidet,
stand Klärchen Schulze und
flitzte mit einem funkelnden
Bügeleisen nach rechts und
nach links, daß es eine Art
hatte.
„Nanu," murmelte Wein-
hold und vergaß ganz an seiner
Pfeife zu ziehen, „da seh doch
mal einer an! Was ist denn
das? Lm, hm!"
Lange, viel länger, als es
der Anstand gestattet, stand
Weinhold vor dem Laden und
starrte auf das liebliche Bild,
das so unvermutet in sein Ge-
sichtsfeld getreten war. Für
weibliche Neize war er nie be-
sonders empfänglich gewesen,
aber dieses lachende Voll-
mondsgesicht im Zustand ge-
mütlicher Rotglut und das
flinke Spiel der rundlichen
Finger übten einen ganz un-
gekannten, neuartigen Neiz
auf ihn aus.
Kopfschüttelnd riß er sich
endlich aus dem Zustand dieser
fast hypnotischen Erstarrung heraus, bog in die finstere
Terrassengasse ein und stieg die knarrenden Stufen zu seinem
Atelier empor. Lier schmorte über einem schwachen Feuer
eine Käsesuppe, die er sich selbst gekocht hatte und, noch
immer kopfschüttelnd und unter beständigem Murmeln,
verzehrte er sie. Dann setzte er sich über einen abgegriffenen
Schweinslederband und vertiefte sich in das Märchen von
dem bösen Numpelstilzchen, das der Königin ihr Kind fressen
wollte. Denn dieses Thema wollte er zum Gegenstand
seiner nächsten Nadierung wählen.
Am nächsten Tage wiederholte er natürlich seinen
Spaziergang, denn ein täglicher Spaziergang gehört zu
den notwendigen hygienischen Erforderniffen einer sitzenden
Lebensweise. Was aber nicht zu den Gewohnheiten eines
weltabgeschiedenen Künstlers gehört, das war das Stehen-
bleiben vor der Elektrischen Feinwäscherei und Plättanstalt
von Klärchen Schulze. Aber Weinhold tat es doch. Er
pflanzte sich förmlich davor auf, und das war recht auffallend.
Angepaßt
„Aber, Lehmann, wie kommen Sie denn daher?"
„Na, kriegsmäßig. Aus zwee Paar Schuhen eens gemacht."
Latte er gestern sozusagen nur einem mechanischen Neiz
geborcht, so sog er heute mit dem vollen Bewußtsein des
Genießers den freundlichen Anblick in fich ein. And in dem
gleichen Maße, in dem ihm das Bild im großen ganzen
vertrauter wurde, schärfte sich sein Blick für Einzelheiten
darin. Auf einem Tischchen in der rechten Ecke sah er ein
Kaffeegeschirr, mit niedlichen Streublümchen nach Meißner
Art bemalt, und auf einem Teller daneben lagen glattge-
strichene Buttersemmeln, so recht die unermüdlich fleißige
Art Klärchens illustrierend, zwischen Arbeit und leiblicher
Stärkung rastlos hin und her zu pendeln und bei jedem
Schritt und Schluck und Bissen eine immer rötere und
gesundere Farbe anzunehmen.
In dem rückwärtigen Teil des Ladens befand sich eine
offene Tür (bei Plätterinnen sind immer alle Türen offen),
die in ein Kochzimmer führte. Gerade gegenüber der Tür
stand ein blitzblanker Lerd, umgeben von einer sinnver-
wirrenden Anzahl andrer Dinge von ebenso blitzblanker
Weinholds Bekehrung
plöhlich wie gebannt stehen
blieb. Lier hatte sich seit
gestern etwas zugetragen, was
ihm völlig neu war. Ein kleiner
Laden, den früher ein Schuster
innegehabt hatte, und der dann
lange leer gestanden war, er°
strahlte heute im feenhasten
Glanze einer hundertkerzigen
Glühlampe,und auf demSchau-
fenster stand in weißen, weit-
hin leuchtenden Buchstaben:
Elektrische Feinwäscherei und
Plättanstalt von Klärchen
Schulze. Und drinnen im
Laden, inmitten einer Wolke
blendend weißer Wäsche und
selbst vom Kopf bis zum Fuß
in duftiqes Weiß gekleidet,
stand Klärchen Schulze und
flitzte mit einem funkelnden
Bügeleisen nach rechts und
nach links, daß es eine Art
hatte.
„Nanu," murmelte Wein-
hold und vergaß ganz an seiner
Pfeife zu ziehen, „da seh doch
mal einer an! Was ist denn
das? Lm, hm!"
Lange, viel länger, als es
der Anstand gestattet, stand
Weinhold vor dem Laden und
starrte auf das liebliche Bild,
das so unvermutet in sein Ge-
sichtsfeld getreten war. Für
weibliche Neize war er nie be-
sonders empfänglich gewesen,
aber dieses lachende Voll-
mondsgesicht im Zustand ge-
mütlicher Rotglut und das
flinke Spiel der rundlichen
Finger übten einen ganz un-
gekannten, neuartigen Neiz
auf ihn aus.
Kopfschüttelnd riß er sich
endlich aus dem Zustand dieser
fast hypnotischen Erstarrung heraus, bog in die finstere
Terrassengasse ein und stieg die knarrenden Stufen zu seinem
Atelier empor. Lier schmorte über einem schwachen Feuer
eine Käsesuppe, die er sich selbst gekocht hatte und, noch
immer kopfschüttelnd und unter beständigem Murmeln,
verzehrte er sie. Dann setzte er sich über einen abgegriffenen
Schweinslederband und vertiefte sich in das Märchen von
dem bösen Numpelstilzchen, das der Königin ihr Kind fressen
wollte. Denn dieses Thema wollte er zum Gegenstand
seiner nächsten Nadierung wählen.
Am nächsten Tage wiederholte er natürlich seinen
Spaziergang, denn ein täglicher Spaziergang gehört zu
den notwendigen hygienischen Erforderniffen einer sitzenden
Lebensweise. Was aber nicht zu den Gewohnheiten eines
weltabgeschiedenen Künstlers gehört, das war das Stehen-
bleiben vor der Elektrischen Feinwäscherei und Plättanstalt
von Klärchen Schulze. Aber Weinhold tat es doch. Er
pflanzte sich förmlich davor auf, und das war recht auffallend.
Angepaßt
„Aber, Lehmann, wie kommen Sie denn daher?"
„Na, kriegsmäßig. Aus zwee Paar Schuhen eens gemacht."
Latte er gestern sozusagen nur einem mechanischen Neiz
geborcht, so sog er heute mit dem vollen Bewußtsein des
Genießers den freundlichen Anblick in fich ein. And in dem
gleichen Maße, in dem ihm das Bild im großen ganzen
vertrauter wurde, schärfte sich sein Blick für Einzelheiten
darin. Auf einem Tischchen in der rechten Ecke sah er ein
Kaffeegeschirr, mit niedlichen Streublümchen nach Meißner
Art bemalt, und auf einem Teller daneben lagen glattge-
strichene Buttersemmeln, so recht die unermüdlich fleißige
Art Klärchens illustrierend, zwischen Arbeit und leiblicher
Stärkung rastlos hin und her zu pendeln und bei jedem
Schritt und Schluck und Bissen eine immer rötere und
gesundere Farbe anzunehmen.
In dem rückwärtigen Teil des Ladens befand sich eine
offene Tür (bei Plätterinnen sind immer alle Türen offen),
die in ein Kochzimmer führte. Gerade gegenüber der Tür
stand ein blitzblanker Lerd, umgeben von einer sinnver-
wirrenden Anzahl andrer Dinge von ebenso blitzblanker