— „Was machen denn hier die Kellnerinnen alle für
merkwürdige Gesichter?"
— „Ia, weißt du, jeder Gast darf eigentlich nur zwei
Äalbe kriegen, sie drücken aber alle ein Auge zu."
Das Reimlexikon im Frieden und im Krieg
auf einmal ganz richtig gekämpft und gestritten wurde,
— aber von anderen Leuten.
Eine Satire kann ein prosaisches, sie kann auch ein
poetisches Gewand haben. WMbald Rübesam zieht feinen
Satiren bald dieses, bald jenes Gewand an. „Wie's ge-
rade trifft" erklärte er mir einmal auf meine Frage und be-
lehrte mich dann offenherzig: „Glauben Sie nur ja nicht,
daß es immer vom Stoff abhängt, wie seine satirische
Glossierung gestaltet werden soll, ünd daß der Satiriker
in jedem Fall eine genaue Aeberlegung deshalb anstellt.
Er müßte ein Esel sein, wenn er sich sein Geschäft so er-
schweren wollte. Eine Prosasatire verlangt Witze, Stiche,
Pointen. Die fallen einem manchmal ein, dafür ist man
ja Satiriker. Schön also, — fällt mir bei einem Stoff
was ein, dann schreibe ich Prosa. Manchmal aber bleibt
der Einfall aus. Soll ich ihm etwa stundenlang nach-
jagen? Ich bitte Sie, — wer wird denn heutzutage,
in unserer hastenden Zeit, so die Stunden verschwenden!
Fällt mir gar nicht ein, — dann mache ich eben Verse.
Ein Vers ist ja so wunderleicht an den
andern gehängt, und ehe man sich's versieht,
ist das Gedicht lang genug, und man macht
Schluß, indem man eine Grobheit ausstößt
oder sich einen leicht zu findenden Wortwitz
leistet. Wie geschmiert geht die Leier. And
warum? Dafür sorgen ja die Reime. Eben
habe ich eine Verszeile hingeschrieben, ohne
zu wissen, was danach kommen soll. Aber
auf das letzte Wort muß ja in der nächsten
oder übernächsten Zeile gereimt werden. Reime
weiß man, dafür ist man geübter Dichter, und
unter den Reimen ist immer irgend ein paffen-
des Wort, das zu dem bereits Geschriebenen
einen Zusammenhang konstruieren und eine
Fortsetzung finden läßt. Glauben Sie mir, ich erstaune
manchmal selbst, auf welche originellen Wendungen ich einzig
und allein durch einen Reim komme. Es ist eigentlich kaum
zu begreifen, wie die antiken Dichter ohne den Reim aus-
kommen konnten. Die Leute hätten das Doppelte leisten
können. Wenn Äomer gereimt hätte, und gereimte Lexa-
meter müßten etwas Lerrliches sein, — der Mann hätte
die doppelte Anzahl Gesänge fertig gebracht. Daß nicht
wenigstens die Lateiner darauf verfallen smd.I Irgendwo
ist Ovid einmal ein in sich gereimter Lexameter geglückt,
der auch sonst ein sehr netter Vers ist, nämlich dieser:
)H,uot eoeluin 8t6l1a8) tot badet tua, Nonia xu6l1a.8^. 8t6l1a
xu6l1ki)-ein prächtiger Reim. Aber das ist bei
Ovid mehr eine zufällige rhetorische Spielerei. Erst die
provencalischen Minnesänger haben dem Reim zu seinem
Recht verholfen und ihn unter alle gebildeten Völker
Europas verbreitet. Reimen soll der Dichter, damit kommt
er schon dem Gefühl des Volkes entgegen, das ja auch gern
reimt, wie viele uralten Redensarten beweisen: Sack und
Pack, Stein und Bein, Knall und Fall, mitgegangen, mit-
gefangen, mitgehangen, in Saus und Braus, Borgen macht
Sorgen, — und so weiter."
Willibald Nübesam hatte sich ordentlich in Feuer ge
redet. Ietzt nahm er von seinem Schreibtisch ein Büchlein
und hielt es mir unter die Nase. „Sehen Sie her, - ein
Reimlexikon. Aha, eine Eselsbrücke, denken Sie jetzt. Weit
gefehltl Ich müßte nicht seit Iahren allwöchentlich mein
halbes Dutzend satirischer Gedichte gemacht haben, wenn
ich nicht selbst die Reime nur so aus dem Aermel oder viel-
mehr — denn ich trage zur Schonung meines Rockärmels
bei der Arbeit einen solchen — aus dem Schreibärmel
schütteln könnte. Ganz im Anfang meiner Laufbahn hab'
ich das Ding wohl manchmal benutzt, aber ich bin bald da-
hinter gekommen, daß es ganz und gar nicht genügt, daß
die besten, die originellsten Reime gar nicht darin stehen.
Für den gewöhnlichen lyrischen Dichter mag es ausreichen,
der Satiriker aber muß eigenartige, ganz unvermutete Reime
finden, für ihn darf es beinahe kein Wort geben, auf das
ihm nicht doch ein Reim zu Gebote steht. Sehen Sie nur
einmall"
Willibald Rübesam schlug sein Reimlexikon auf und
blätterte ein paar Seiten um, — überall fanden sich neben
den Kolonnen der Neime Einträge mit Bleistift und Tinte.
„Das sind meine Ergänzungen," erklärte er nicht ohne Stolz,
„Reime, die mir während der Arbeit zugeflogen sind, und
die ich hier festgehalten habe. Denn vielleicht werde ich,
wenn ich selbst nicht mehr produziere, zum Nutzen strebsamer
junger Talente ein verbessertes Reimlexikon herausgeben,
etwa unter dem Titel: ,Der allzeit fertige und gewandte
satirische Dichter/ Solch ein Werk tut wahrhaftig not.
„Vater, komm schnell, der Lansl bringt sein' Stahlhelm nimmer runter!"
merkwürdige Gesichter?"
— „Ia, weißt du, jeder Gast darf eigentlich nur zwei
Äalbe kriegen, sie drücken aber alle ein Auge zu."
Das Reimlexikon im Frieden und im Krieg
auf einmal ganz richtig gekämpft und gestritten wurde,
— aber von anderen Leuten.
Eine Satire kann ein prosaisches, sie kann auch ein
poetisches Gewand haben. WMbald Rübesam zieht feinen
Satiren bald dieses, bald jenes Gewand an. „Wie's ge-
rade trifft" erklärte er mir einmal auf meine Frage und be-
lehrte mich dann offenherzig: „Glauben Sie nur ja nicht,
daß es immer vom Stoff abhängt, wie seine satirische
Glossierung gestaltet werden soll, ünd daß der Satiriker
in jedem Fall eine genaue Aeberlegung deshalb anstellt.
Er müßte ein Esel sein, wenn er sich sein Geschäft so er-
schweren wollte. Eine Prosasatire verlangt Witze, Stiche,
Pointen. Die fallen einem manchmal ein, dafür ist man
ja Satiriker. Schön also, — fällt mir bei einem Stoff
was ein, dann schreibe ich Prosa. Manchmal aber bleibt
der Einfall aus. Soll ich ihm etwa stundenlang nach-
jagen? Ich bitte Sie, — wer wird denn heutzutage,
in unserer hastenden Zeit, so die Stunden verschwenden!
Fällt mir gar nicht ein, — dann mache ich eben Verse.
Ein Vers ist ja so wunderleicht an den
andern gehängt, und ehe man sich's versieht,
ist das Gedicht lang genug, und man macht
Schluß, indem man eine Grobheit ausstößt
oder sich einen leicht zu findenden Wortwitz
leistet. Wie geschmiert geht die Leier. And
warum? Dafür sorgen ja die Reime. Eben
habe ich eine Verszeile hingeschrieben, ohne
zu wissen, was danach kommen soll. Aber
auf das letzte Wort muß ja in der nächsten
oder übernächsten Zeile gereimt werden. Reime
weiß man, dafür ist man geübter Dichter, und
unter den Reimen ist immer irgend ein paffen-
des Wort, das zu dem bereits Geschriebenen
einen Zusammenhang konstruieren und eine
Fortsetzung finden läßt. Glauben Sie mir, ich erstaune
manchmal selbst, auf welche originellen Wendungen ich einzig
und allein durch einen Reim komme. Es ist eigentlich kaum
zu begreifen, wie die antiken Dichter ohne den Reim aus-
kommen konnten. Die Leute hätten das Doppelte leisten
können. Wenn Äomer gereimt hätte, und gereimte Lexa-
meter müßten etwas Lerrliches sein, — der Mann hätte
die doppelte Anzahl Gesänge fertig gebracht. Daß nicht
wenigstens die Lateiner darauf verfallen smd.I Irgendwo
ist Ovid einmal ein in sich gereimter Lexameter geglückt,
der auch sonst ein sehr netter Vers ist, nämlich dieser:
)H,uot eoeluin 8t6l1a8) tot badet tua, Nonia xu6l1a.8^. 8t6l1a
xu6l1ki)-ein prächtiger Reim. Aber das ist bei
Ovid mehr eine zufällige rhetorische Spielerei. Erst die
provencalischen Minnesänger haben dem Reim zu seinem
Recht verholfen und ihn unter alle gebildeten Völker
Europas verbreitet. Reimen soll der Dichter, damit kommt
er schon dem Gefühl des Volkes entgegen, das ja auch gern
reimt, wie viele uralten Redensarten beweisen: Sack und
Pack, Stein und Bein, Knall und Fall, mitgegangen, mit-
gefangen, mitgehangen, in Saus und Braus, Borgen macht
Sorgen, — und so weiter."
Willibald Nübesam hatte sich ordentlich in Feuer ge
redet. Ietzt nahm er von seinem Schreibtisch ein Büchlein
und hielt es mir unter die Nase. „Sehen Sie her, - ein
Reimlexikon. Aha, eine Eselsbrücke, denken Sie jetzt. Weit
gefehltl Ich müßte nicht seit Iahren allwöchentlich mein
halbes Dutzend satirischer Gedichte gemacht haben, wenn
ich nicht selbst die Reime nur so aus dem Aermel oder viel-
mehr — denn ich trage zur Schonung meines Rockärmels
bei der Arbeit einen solchen — aus dem Schreibärmel
schütteln könnte. Ganz im Anfang meiner Laufbahn hab'
ich das Ding wohl manchmal benutzt, aber ich bin bald da-
hinter gekommen, daß es ganz und gar nicht genügt, daß
die besten, die originellsten Reime gar nicht darin stehen.
Für den gewöhnlichen lyrischen Dichter mag es ausreichen,
der Satiriker aber muß eigenartige, ganz unvermutete Reime
finden, für ihn darf es beinahe kein Wort geben, auf das
ihm nicht doch ein Reim zu Gebote steht. Sehen Sie nur
einmall"
Willibald Rübesam schlug sein Reimlexikon auf und
blätterte ein paar Seiten um, — überall fanden sich neben
den Kolonnen der Neime Einträge mit Bleistift und Tinte.
„Das sind meine Ergänzungen," erklärte er nicht ohne Stolz,
„Reime, die mir während der Arbeit zugeflogen sind, und
die ich hier festgehalten habe. Denn vielleicht werde ich,
wenn ich selbst nicht mehr produziere, zum Nutzen strebsamer
junger Talente ein verbessertes Reimlexikon herausgeben,
etwa unter dem Titel: ,Der allzeit fertige und gewandte
satirische Dichter/ Solch ein Werk tut wahrhaftig not.
„Vater, komm schnell, der Lansl bringt sein' Stahlhelm nimmer runter!"