Zeitschrift für Hurnor und Kunst 105
Bescheidenes Verlungen — „Das ist nicht zum aushalten; können Sie mir
nicht die Äandschellen abnehmen, Äerr Gendarm?"
— „Streng verboten!" — „Ia, dann wedeln Sie mir wenigstens hier im Walde die Fliegen ab!"
Das Reimlexikon im Frieden
und im Krieg
denn es ist eigentlich
wahrhaft erschreckend,
wie viele köstliche Neime
in diesem Lexikon hier
fehlen. Nur ein paar
Proben will ich Ihnen
geben. Zum Beispiel: ich
blute. Darauf reimt das
Lexikon: ich flute, die
Knute, die Minute und
so weiter. Aber die Ne-
doute steht nicht da, und
die kann man doch präch-
tig in manchem Gedicht
anbringen. Das Getute
fehlt auch und vollends
die Schnute. Ich bitte
Sie, wie oft kann der sa-
tirische Dichter nicht aus-
rufen: Lalte die Schnute!
oder: Nun hält er klüglich
seine Schnute, — oder so
ähnlich. Weiter: ober, —
da findet sich Oktober ver-
zeichnet und der Kober,
der Schober und Zinn-
ober. Welcher Neim aber
fehlt, der doch ein kern-
deutscher Ausdruck ist?
Ah, — Sie kommen auch
nicht drauf, aber ich will
es Ihnen sagen: Lerr
Ober! — Famos, nicht
wahr?"
Der Satiriker blät-
tert^jetzt etwas schneller,
während er die im Lexikon
verzeichneten Reime mo°
noton ableierte, seine Er-
gänzungen aber jedesmal
triumphierend heraus-
schrie. „Da: Fältchen,
Wäldchen, Gehältchen, —
fehlt Nechtsanwältchen!
Drechseln, verwechseln
und so weiter, — fehlt
sächseln, was doch häufig
vortrefflich zu verwenden
sein wird. Betrunken, versunken, die Anken, — fehlt gestunken,
was an sich schon ein unschätzbar komisches Wort ist. Leser,
Neichsverweser, die Gläser, — der Satiriker aber muß
manchmal grob sein, und deshalb kann er hier auch noch
den Neim: die Aeser gebrauchen, nämlich den Plural von
Aas. Zu hellenisch gehört unbedingt der Neim neurasthe-
nisch, weil das eine nette Parallele zwischen einst und jetzt
ergibt. Kränzchen, Pflänzchen, Schwänzchen, Gänschen, —
auf Ingredienzien ist der Lexikonmensch natürlich nicht
gekommen. Auf Anna weiß er überhaupt keinen einzigen
Neim, und sie sind doch so einfach zu finden: Manna,
Äosiannah, Lavanna. Daß sich auf Strümpfe Nymphe
reimt, hat er auch übersehen, und es gibt doch eine so pikante
Beziehung. Bei Brille, Stille und so weiter fehlt das schöne
berlinische Destille; das Tollste aber ist, daß der Mann zwar
einige Dutzend Neime auf,et' aufzählt, darunter selbstver-
ständlich auch Poet, daß er aber dann den natürlichsten,
ganz zwingend sich ergebenden Neim nicht bemerkt hat.
Denn was reimt sich leider Gottes auf Poet? Auf Poet
reimt sich Prolet!"-
Willibald Rübesam stieß hierbei einen Seufzer aus,
als hätte die ganze Menschheit ihn gekränkt und wäre ihm
etwas schuldig geblieben. And dabei saß er doch in einem
sehr schönen und teuren Lederseffel vor einem prächtigen
Schreibtisch, trug einen rohseidenen Lausanzug, rauchte eine
importierte Zigarre und hatte sicher ganz vortrefflich zu
Mittag gespeist. Aber manche Dichter haben es nun einmal
an sich, so zu tun, als würden sie von der Welt nicht gut
genug behandelt, und wenn sie sich 'auch ganz annehmbarer
irdischer Umstände erfreuen, können sie es doch nicht unter-
Bescheidenes Verlungen — „Das ist nicht zum aushalten; können Sie mir
nicht die Äandschellen abnehmen, Äerr Gendarm?"
— „Streng verboten!" — „Ia, dann wedeln Sie mir wenigstens hier im Walde die Fliegen ab!"
Das Reimlexikon im Frieden
und im Krieg
denn es ist eigentlich
wahrhaft erschreckend,
wie viele köstliche Neime
in diesem Lexikon hier
fehlen. Nur ein paar
Proben will ich Ihnen
geben. Zum Beispiel: ich
blute. Darauf reimt das
Lexikon: ich flute, die
Knute, die Minute und
so weiter. Aber die Ne-
doute steht nicht da, und
die kann man doch präch-
tig in manchem Gedicht
anbringen. Das Getute
fehlt auch und vollends
die Schnute. Ich bitte
Sie, wie oft kann der sa-
tirische Dichter nicht aus-
rufen: Lalte die Schnute!
oder: Nun hält er klüglich
seine Schnute, — oder so
ähnlich. Weiter: ober, —
da findet sich Oktober ver-
zeichnet und der Kober,
der Schober und Zinn-
ober. Welcher Neim aber
fehlt, der doch ein kern-
deutscher Ausdruck ist?
Ah, — Sie kommen auch
nicht drauf, aber ich will
es Ihnen sagen: Lerr
Ober! — Famos, nicht
wahr?"
Der Satiriker blät-
tert^jetzt etwas schneller,
während er die im Lexikon
verzeichneten Reime mo°
noton ableierte, seine Er-
gänzungen aber jedesmal
triumphierend heraus-
schrie. „Da: Fältchen,
Wäldchen, Gehältchen, —
fehlt Nechtsanwältchen!
Drechseln, verwechseln
und so weiter, — fehlt
sächseln, was doch häufig
vortrefflich zu verwenden
sein wird. Betrunken, versunken, die Anken, — fehlt gestunken,
was an sich schon ein unschätzbar komisches Wort ist. Leser,
Neichsverweser, die Gläser, — der Satiriker aber muß
manchmal grob sein, und deshalb kann er hier auch noch
den Neim: die Aeser gebrauchen, nämlich den Plural von
Aas. Zu hellenisch gehört unbedingt der Neim neurasthe-
nisch, weil das eine nette Parallele zwischen einst und jetzt
ergibt. Kränzchen, Pflänzchen, Schwänzchen, Gänschen, —
auf Ingredienzien ist der Lexikonmensch natürlich nicht
gekommen. Auf Anna weiß er überhaupt keinen einzigen
Neim, und sie sind doch so einfach zu finden: Manna,
Äosiannah, Lavanna. Daß sich auf Strümpfe Nymphe
reimt, hat er auch übersehen, und es gibt doch eine so pikante
Beziehung. Bei Brille, Stille und so weiter fehlt das schöne
berlinische Destille; das Tollste aber ist, daß der Mann zwar
einige Dutzend Neime auf,et' aufzählt, darunter selbstver-
ständlich auch Poet, daß er aber dann den natürlichsten,
ganz zwingend sich ergebenden Neim nicht bemerkt hat.
Denn was reimt sich leider Gottes auf Poet? Auf Poet
reimt sich Prolet!"-
Willibald Rübesam stieß hierbei einen Seufzer aus,
als hätte die ganze Menschheit ihn gekränkt und wäre ihm
etwas schuldig geblieben. And dabei saß er doch in einem
sehr schönen und teuren Lederseffel vor einem prächtigen
Schreibtisch, trug einen rohseidenen Lausanzug, rauchte eine
importierte Zigarre und hatte sicher ganz vortrefflich zu
Mittag gespeist. Aber manche Dichter haben es nun einmal
an sich, so zu tun, als würden sie von der Welt nicht gut
genug behandelt, und wenn sie sich 'auch ganz annehmbarer
irdischer Umstände erfreuen, können sie es doch nicht unter-