Zeitschrift für Humor und Kunst
153
Das Geheimnts
<Da schreit aus dem Nauch eine Stimme voll Zorn,
Die Stimme ist es des Äerrn Käseborn:
„Du siehst doch, Verruchte, daß ich es nicht kann,
Ich rauch' ja die Pfeife, die neue, grad an!"
L. A. Lennig
Der Vlutegel
zur tröstenden Genossin wurde. Ich glaube, wenn der Mann
pfiff, ließ sich das treue Tier an seinem Faden herunter. ihn zu
erheitern — so ähnlich muß die Geschichte gewesen sein, und als
der rohe, herzlose Schließer eines Tages die Spinne getötet hatte,
starb der arme Gefangene bald darauf vor Kummer.
Mir hat dieser bedauernswerte Gefangene immer sehr leid
getan, seit ich in der dritten Vorschulklaffe in meinem Lesebuch
seine Bekanntschaft machte. And vielleicht war es deshalb, daß
ich Frau Oekonomierat Nognlski aus Dwarschkehmen recht gut
verstehen konnte, als sie ihre Fürsorge einem ?ier zuwandte, das
an Intelliaenz, Lebhastigkeit und Fähigkeit, den Men-
schen zu unterhalten, weit, ganz gewaltig weit unter
einer Spinne steht. Dieses Tier war ein Blutegel. Frau
Oekonomierat Nogalski sagte übrigens nicht Blut-
egel, sondern Blutigel. In den Gegenden östlich des
Weichselfluffes sagt man fast allgemein Blutiqel, und
wenn zugewanderte Leute oder solche Eingeborene,
die zügellos und ohne Ehrfurcht die Grenzen ihrer
Lerkunft überspringen, dagegen Blutegel sprechen,
so wird das für Aeberhebung, Anmaßung und sehr
verdächtiges Vornehmtun gehalten.
Der Blutegel der Frau Oekonomierat nun war
einmal von einem berittenen Knecht aus einer Apo-
theke in der Stadt geholt und im Galopp den zwei
Stunden weiten Weg nach Dwarscbkehmen hinaus
befördert woiden. Der alte Äerr Oekonomierat —
das war Frau Albertine Nogalskis um aut zwanz^g
Iahre älterer Gatte — war von Zahnschmerzen befallen
worden, gegen die eine lokale Blutentziehung an-
gewendet werden sollte, nach Frau Albertines Vor-
schrift, die dafür einen Blutegel am besten geeignet
hielt. Zahnschmerzen stnd ja im allgemeinen ganz
nützlich, da sie den Menschen daran mahnen, beffer
für seine Beiß- und Kauwerkzeuge zu sorgen, aber die
Schmerzen des Äerr Oekonomierat waren damals sehr
überflüssig, denn leider — es ist ja nun so lange her,
daß dies ganz kühl mitgeteilt werden kann — hatte
Doktor Oehlschläger schon am Tage vorher erklärt,
daß mit dem alten Äerrn, der seit drei Wochen
nach einer heftiqen Erkältung im Bett lag, nichts mehr
zu machen wäre. Doktor Oelschläger behielt auch,
zum Ruhme seiner Wiffenschaft, wirklich recht: zwei
Tage später ging der Äerr Oekonomierat dahin,
nachdem er am vorletzten Tage noch ganz unvermutet
munter und fröhlich gewes n war. Da halte ihm
nämlich Frau Albertine den Blutegel unter der rechten
Backe angesetzt, und wahrhaftig, es hatte gehoffen,
und der alte Äerr hatte noch einmal den nicht zu
geringwertig einzuschätzenden Genuß gehabt, den das
Verschwinden, das sogenannte „Wie fortgeblasen sein"
von Zahuweh einem dankbaren Menschen bereitet.-
Gleich nach ihres Mannes Tode verkaufte Frau
Oekonomierat Nogalski Dwarschkehmen und zog nach
der Stadt, wo sie auf der Lostudie ein schönes altes
Äaus bewohnte, mit großen, aber immer recht
dunklen Zimmern. Das dunkelste war das Prunk-
gemach. Äier stand ein Glasschrank mit allerlei
Meißener Lerrlichkeiten darin, die bei dem trüben
Licht kaum zu erkennen waren. Wer aber genauer
hinsah, der bemerkte zu seinem Erftaunen, daß unter
dem kostbaren Porzellan ein ganz unscheinbares Töpf-
chen aus rotem Ton sich befand, statt eines Deckels
versehen mit einem Blatt Pergamentpapier, in das
eine Nadel feine Löchlein gestochen hatte. Es sah
genau so aus wie jene Töpfchen, in denen die Apo°
theker die Blutegel zu bewahren pflegen. And richtig:
es war auch ein solches Töpfchen, und es war auch
wirklich ein Bluteqel darin, — derselbe, der Lerrn
Oekonomierat Nogalski von seinen letzten Zahn-
schmerzen befreit hatte. So viele Tiere waren auf
Dwarschkehmen gewesen: Pferde und Ninder, Schafe
und Schweine, Äunde und Kar;en, Gänse und Enten,
Lühner und Tauben, — aber keines davon hatte
Frau Nogalski mit in die Stadt genommen. Nur
der Blutegel war mitgekommen.
Betrachtung DerKrebs: „Ah, sieh da, jetzt
hat der Mensch auch Scheren."
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Das Geheimnts
<Da schreit aus dem Nauch eine Stimme voll Zorn,
Die Stimme ist es des Äerrn Käseborn:
„Du siehst doch, Verruchte, daß ich es nicht kann,
Ich rauch' ja die Pfeife, die neue, grad an!"
L. A. Lennig
Der Vlutegel
zur tröstenden Genossin wurde. Ich glaube, wenn der Mann
pfiff, ließ sich das treue Tier an seinem Faden herunter. ihn zu
erheitern — so ähnlich muß die Geschichte gewesen sein, und als
der rohe, herzlose Schließer eines Tages die Spinne getötet hatte,
starb der arme Gefangene bald darauf vor Kummer.
Mir hat dieser bedauernswerte Gefangene immer sehr leid
getan, seit ich in der dritten Vorschulklaffe in meinem Lesebuch
seine Bekanntschaft machte. And vielleicht war es deshalb, daß
ich Frau Oekonomierat Nognlski aus Dwarschkehmen recht gut
verstehen konnte, als sie ihre Fürsorge einem ?ier zuwandte, das
an Intelliaenz, Lebhastigkeit und Fähigkeit, den Men-
schen zu unterhalten, weit, ganz gewaltig weit unter
einer Spinne steht. Dieses Tier war ein Blutegel. Frau
Oekonomierat Nogalski sagte übrigens nicht Blut-
egel, sondern Blutigel. In den Gegenden östlich des
Weichselfluffes sagt man fast allgemein Blutiqel, und
wenn zugewanderte Leute oder solche Eingeborene,
die zügellos und ohne Ehrfurcht die Grenzen ihrer
Lerkunft überspringen, dagegen Blutegel sprechen,
so wird das für Aeberhebung, Anmaßung und sehr
verdächtiges Vornehmtun gehalten.
Der Blutegel der Frau Oekonomierat nun war
einmal von einem berittenen Knecht aus einer Apo-
theke in der Stadt geholt und im Galopp den zwei
Stunden weiten Weg nach Dwarscbkehmen hinaus
befördert woiden. Der alte Äerr Oekonomierat —
das war Frau Albertine Nogalskis um aut zwanz^g
Iahre älterer Gatte — war von Zahnschmerzen befallen
worden, gegen die eine lokale Blutentziehung an-
gewendet werden sollte, nach Frau Albertines Vor-
schrift, die dafür einen Blutegel am besten geeignet
hielt. Zahnschmerzen stnd ja im allgemeinen ganz
nützlich, da sie den Menschen daran mahnen, beffer
für seine Beiß- und Kauwerkzeuge zu sorgen, aber die
Schmerzen des Äerr Oekonomierat waren damals sehr
überflüssig, denn leider — es ist ja nun so lange her,
daß dies ganz kühl mitgeteilt werden kann — hatte
Doktor Oehlschläger schon am Tage vorher erklärt,
daß mit dem alten Äerrn, der seit drei Wochen
nach einer heftiqen Erkältung im Bett lag, nichts mehr
zu machen wäre. Doktor Oelschläger behielt auch,
zum Ruhme seiner Wiffenschaft, wirklich recht: zwei
Tage später ging der Äerr Oekonomierat dahin,
nachdem er am vorletzten Tage noch ganz unvermutet
munter und fröhlich gewes n war. Da halte ihm
nämlich Frau Albertine den Blutegel unter der rechten
Backe angesetzt, und wahrhaftig, es hatte gehoffen,
und der alte Äerr hatte noch einmal den nicht zu
geringwertig einzuschätzenden Genuß gehabt, den das
Verschwinden, das sogenannte „Wie fortgeblasen sein"
von Zahuweh einem dankbaren Menschen bereitet.-
Gleich nach ihres Mannes Tode verkaufte Frau
Oekonomierat Nogalski Dwarschkehmen und zog nach
der Stadt, wo sie auf der Lostudie ein schönes altes
Äaus bewohnte, mit großen, aber immer recht
dunklen Zimmern. Das dunkelste war das Prunk-
gemach. Äier stand ein Glasschrank mit allerlei
Meißener Lerrlichkeiten darin, die bei dem trüben
Licht kaum zu erkennen waren. Wer aber genauer
hinsah, der bemerkte zu seinem Erftaunen, daß unter
dem kostbaren Porzellan ein ganz unscheinbares Töpf-
chen aus rotem Ton sich befand, statt eines Deckels
versehen mit einem Blatt Pergamentpapier, in das
eine Nadel feine Löchlein gestochen hatte. Es sah
genau so aus wie jene Töpfchen, in denen die Apo°
theker die Blutegel zu bewahren pflegen. And richtig:
es war auch ein solches Töpfchen, und es war auch
wirklich ein Bluteqel darin, — derselbe, der Lerrn
Oekonomierat Nogalski von seinen letzten Zahn-
schmerzen befreit hatte. So viele Tiere waren auf
Dwarschkehmen gewesen: Pferde und Ninder, Schafe
und Schweine, Äunde und Kar;en, Gänse und Enten,
Lühner und Tauben, — aber keines davon hatte
Frau Nogalski mit in die Stadt genommen. Nur
der Blutegel war mitgekommen.
Betrachtung DerKrebs: „Ah, sieh da, jetzt
hat der Mensch auch Scheren."