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Kriegschronik der Meggendorfer.Blätter, München
Haag
Das Bekanntwerden des zwischen Deutschland und Rußland abgeschlofsenen Wafsensttllstandes
Der Hindenburg-Stern
„Nationaldichter und Schriftsteller" nennt sich Lerr Wilhelm Lall-Lalfen,
der mit einem großartigen Vorschlage vor die Deutschen getreten ist. Dreißig
Milliarden oder noch ein bißchen mehr will er der Kasse des Deutschen Neiches
verschaffen, die dies Geld natürlich recht gut gebrauchen könnte. Aber wie? Eine
besondere Auszeichnung soll geschaffen werden, ein „Lindenburg-Stern," den jeder
tragen kann, der etwas Geld dafür hergegeben hat. Drei Klassen soll der „Linden-
burg-Stern" haben: zu hundert, zu zehntausend und zu einer Million Mark. Der
Stern dieser letzten und feinsten Klaffe soll mit Eichenlaub und Schwertern ver-
ziert sein und am weißen Bande um den Lals getragen werden; außerdem darf
der Inhaber sich auf die Brust noch das „Millionenzeichen" heften.-
Dieser Nationaldichter und Schriftsteller hat viel Phantasie. Phantasie-
volle Leute träumen lebhaft, und da Lerr Wilhelm Lall-Lalfen sich natürlich
tagaus, tagein mit seinem Vorschlag beschäftigt, ist es kein Wunder, daß er neu-
lich träumte, der „Lindenburg-Stern" wäre wirklich schon erstanden. Welch ein
neues Leben ging da durch das ganze deutsche Volk! Ieder dachte nur noch
daran, einen „Lindenburg-Stern" besitzen zu müffen; jeder einzelne wurde un-
geheuer fleißig, strebsam und erfinderisch, nur um das nötige Geld für den Stern
zu verdienen. Selbst die Trambahnschaffner sammelten ihre Fünfer-Trinkgelder
nur noch zu diesem Zweck. Die wütigsten Raucher entsagten ihrer Leidenschaft
und kauften keine einzige der allerdings auch recht teuer gewordenen Zigarren
mehr. Elegante Damen — denn auch dem weiblichen Geschlecht hat der National-
dichter die Auszeichnung zugedacht — veräußerten ihren ganzen Schmuck, und
wenn der Erlös dann noch nicht ganz für die erfie Klasse des „Lindenburg-Sterns"
reichte, fingen sie an, gegen Entgelt Strümpfe zu stricken. Auf der Börse sah
man schon viele Lerren mit dem „Millionenzeichen" des „Lindenburg-Sterns".
Kinder vermögender Väter flehten diese an, doch ja nicht an ihre, der Kinder,
Zukunft zu denken; sie wollten lieber einmal gar nichts erben, aber die Genug-
tuung haben, daß ihr Vater den „Lindenburg-Stern" am weißen Bande um den
Lals getragen hätte. Wenig konnte diesem strahlenden Bilde gegenüber besagen,
daß auch hier und dort etwas unterschlagen wurde. Aber die Gerichte sprachen
die Defraudanten frei, denn sie wiesen nach, daß sie sich ja den „Lindenburg-
Stern" hatten anschaffen wollen.
Ia, und dann träumte der Nationaldichter noch etwas. Das dankbare
deutsche Volk hatte beschloffen, den geistigen Llrheber des „Lindenburg-Sterns"
zu belohnen. Es war sür Wilhelm Lall-Lalsen gesammelt worden; eine ganze
Million war zusammengekommen, und nun erschien eine Deputation bei dem
Nationaldichter. „Verehrter Nationaldichter," redete ihn der Sprecher der Depu-
tation an, „das deutsche Volk erlaubt sich, Ihnen eine Million zu schenken." —
Lier lächelte der Dichter im Traum, — er sah eine schöne Villa vor sich, einen
gefüllten Weinkeller, ein Automobil und andere gute Dinge, die man sich leisten
kann, wenn man eine Million hat.
„Aber nalürlich," fuhr der Spre-
cher der Deputation fort, „werden Sie
für diese Millionen fich sofort den
,Lindenburg-Stern erster Klaffe mit
dem Millionenzeichen" anschaffen wol-
len, und damit Sie keine Amstände
haben, ist er schon von uns besorgt
worden. Lier haben Sie ihn!"
Lier erwachte der Nationaldich-
ter. „Pfui Teufel," sagte er, „wie
kann ein so schöner Traum solch einen
blödsinnigen Schluß haben!" -on.
Vorgefühl
— „Nun werden auch die russischen
Waren bald hereinkommen."
— Dacht' ich's doch. Mir chat heute
nacht schon von ein paar russischen
Iuchtenstiefeln g^träumr."
Mars und die Friedenstriebe
: 87. 1817.
Kriegschronik der Meggendorfer.Blätter, München
Haag
Das Bekanntwerden des zwischen Deutschland und Rußland abgeschlofsenen Wafsensttllstandes
Der Hindenburg-Stern
„Nationaldichter und Schriftsteller" nennt sich Lerr Wilhelm Lall-Lalfen,
der mit einem großartigen Vorschlage vor die Deutschen getreten ist. Dreißig
Milliarden oder noch ein bißchen mehr will er der Kasse des Deutschen Neiches
verschaffen, die dies Geld natürlich recht gut gebrauchen könnte. Aber wie? Eine
besondere Auszeichnung soll geschaffen werden, ein „Lindenburg-Stern," den jeder
tragen kann, der etwas Geld dafür hergegeben hat. Drei Klassen soll der „Linden-
burg-Stern" haben: zu hundert, zu zehntausend und zu einer Million Mark. Der
Stern dieser letzten und feinsten Klaffe soll mit Eichenlaub und Schwertern ver-
ziert sein und am weißen Bande um den Lals getragen werden; außerdem darf
der Inhaber sich auf die Brust noch das „Millionenzeichen" heften.-
Dieser Nationaldichter und Schriftsteller hat viel Phantasie. Phantasie-
volle Leute träumen lebhaft, und da Lerr Wilhelm Lall-Lalfen sich natürlich
tagaus, tagein mit seinem Vorschlag beschäftigt, ist es kein Wunder, daß er neu-
lich träumte, der „Lindenburg-Stern" wäre wirklich schon erstanden. Welch ein
neues Leben ging da durch das ganze deutsche Volk! Ieder dachte nur noch
daran, einen „Lindenburg-Stern" besitzen zu müffen; jeder einzelne wurde un-
geheuer fleißig, strebsam und erfinderisch, nur um das nötige Geld für den Stern
zu verdienen. Selbst die Trambahnschaffner sammelten ihre Fünfer-Trinkgelder
nur noch zu diesem Zweck. Die wütigsten Raucher entsagten ihrer Leidenschaft
und kauften keine einzige der allerdings auch recht teuer gewordenen Zigarren
mehr. Elegante Damen — denn auch dem weiblichen Geschlecht hat der National-
dichter die Auszeichnung zugedacht — veräußerten ihren ganzen Schmuck, und
wenn der Erlös dann noch nicht ganz für die erfie Klasse des „Lindenburg-Sterns"
reichte, fingen sie an, gegen Entgelt Strümpfe zu stricken. Auf der Börse sah
man schon viele Lerren mit dem „Millionenzeichen" des „Lindenburg-Sterns".
Kinder vermögender Väter flehten diese an, doch ja nicht an ihre, der Kinder,
Zukunft zu denken; sie wollten lieber einmal gar nichts erben, aber die Genug-
tuung haben, daß ihr Vater den „Lindenburg-Stern" am weißen Bande um den
Lals getragen hätte. Wenig konnte diesem strahlenden Bilde gegenüber besagen,
daß auch hier und dort etwas unterschlagen wurde. Aber die Gerichte sprachen
die Defraudanten frei, denn sie wiesen nach, daß sie sich ja den „Lindenburg-
Stern" hatten anschaffen wollen.
Ia, und dann träumte der Nationaldichter noch etwas. Das dankbare
deutsche Volk hatte beschloffen, den geistigen Llrheber des „Lindenburg-Sterns"
zu belohnen. Es war sür Wilhelm Lall-Lalsen gesammelt worden; eine ganze
Million war zusammengekommen, und nun erschien eine Deputation bei dem
Nationaldichter. „Verehrter Nationaldichter," redete ihn der Sprecher der Depu-
tation an, „das deutsche Volk erlaubt sich, Ihnen eine Million zu schenken." —
Lier lächelte der Dichter im Traum, — er sah eine schöne Villa vor sich, einen
gefüllten Weinkeller, ein Automobil und andere gute Dinge, die man sich leisten
kann, wenn man eine Million hat.
„Aber nalürlich," fuhr der Spre-
cher der Deputation fort, „werden Sie
für diese Millionen fich sofort den
,Lindenburg-Stern erster Klaffe mit
dem Millionenzeichen" anschaffen wol-
len, und damit Sie keine Amstände
haben, ist er schon von uns besorgt
worden. Lier haben Sie ihn!"
Lier erwachte der Nationaldich-
ter. „Pfui Teufel," sagte er, „wie
kann ein so schöner Traum solch einen
blödsinnigen Schluß haben!" -on.
Vorgefühl
— „Nun werden auch die russischen
Waren bald hereinkommen."
— Dacht' ich's doch. Mir chat heute
nacht schon von ein paar russischen
Iuchtenstiefeln g^träumr."
Mars und die Friedenstriebe
: 87. 1817.