Kriegschronik der Meggendorfer-Blätter, München
51
Ein durch die Papierknappheit verursachler lit-
terarischer Vorfall
In allen schriftstellerischen BeLrieben ist es eine alte
Negel, daß bei einem Manuskript das Papier immer nur
auf einer Seite beschrieben werden darf. Es ist dann be-
quemer in der Druckerei zu handhaben, wo es ja in kleinen
Srücken an die Setzer verteilt wird. EigenLlich brauchLen
also nichL alle ManuskripLe so beschaffen zu sein, denn es
kommen ja nichL alle zum Druck. Das sind sogar nur die
wenigsten, und von dieser verhälLnismäßigen Minderzahl,
die an sich freilich gewalLig groß ist, finden wieder nur die
wenigsten eine nennenswerte Anzahl von Lesern. Lieraus
ist zu ersehn, eine wie ungeheure Verschwendung von Pa-
pier mi( dem einseiLigen Schreiben der ManuskripLe be-
gangen wird, und es ist eigenLlich merkwürdig, daß nichL
schon irgend ein Generalkommando den SchrifLstellern be°
sohlen haL, wegen der PapierknappheiL vorläufig keine Nück-
seiLen mehr frei zu lassen. —
MaLLHias Zuberbühl ist einer von jenen neuesten deuL-
schen DichLern, für deren Werke immer noch Druckpapier
übrig sein muß, weil sie KulLurfakLoren sind. Trotzdem
mußLe auch MaLLhias Zuberbühl die PapierknappheiL spüren,
denn als er sich eines Taqes ManuskripLpapier kaufen wollLe,
— siehe, da war der VorraL an jenen schönen BläLLern,
an die er unabwendbar gewöhnL war, stark auf die Neige
gegangen. „Mehr als fünfzig BlaLL darf ich nichL abgeben,"
sagLe das Fräulein in dem PapiergeschäfL und blieb un-
erbiLLlich. Sie wußLe eben nichL, daß der Kunde der DichLer
MaLthias Zuberbühl war. Der ging miL seinen fünfzig
BlätLern ManuskripLpapier nach Lause und begann sein
neues großes Epos „Der violeLLe Tod". Als er aber miL
der ersten SeiLe fertig war — nach fünf MinuLen, denn
bei Matthias Zuberbühl fließen die Verse wie der Niagara
— drehte er das BlatL einfach um. „Es muß auch einmal
so gehn," dachte er. „Warum soll ich denn, da ich von
meinem schönen Papier so wenig kriege, nichL einmal miL
der Tradition brechen und mein ManuskripL doppelseitig
schreiben?" — GewohnheiLsmäßia aber haLLe er, um durch
solche NebensächlichkeiLen den Fluß des DichLens nichL
stören zu laffen — bereits vorher ein Dutzend BläLLer
numerierL, immer nur auf einer SeiLe. Nun, das machte
ja nichts; so waren eben diesmal bei dem ManuskripL statt
der SeiLen die BläLLer numerierL. Es wurden im ganzen
49 Stück. —
Gerade dann geschah MaLthias Zuberbühl etwas sehr
Unangenehmes: er wurde zum Militärdienst eingezogen.
Er konnte das zwar nichL begreifen, und der AnLeroffizier,
der ihn ausbildete, auch nichL, aber beide waren sie ja nichL
um Rat gefragt worden. Der „VioleLLe Tod" war in-
zwischtm an den Verleger gelangt, und von diesem sofort
in die Druckerei gegeben wor-
den. „Ein bißchen wenig,"
dachte der Verleger, als er die
Bürstenabzüge bekam, „aber
das macht nichts, man kann
ja heutzutage auch ein Buch
recken, damit es die nötige
Dicke bekommt." Also wurde
der „VioleLLe Tod" gereckt,
schön gebunden,mit Lärm an-
gezeigt und einige begeisterte
Kritiken erschienen.
Am diese ZeiL wurde
Matthias Zuberbühl wieder
vom Militärdienst entlassen.
Er haLLe sich inzwischen gar
nichL um sein Buch beküm-
mern können, nichL einmal
Korrektur haLLe er gelesen,
— das MiliLärleben hatte ihn
gar zu sehr mitgenommen.
Nun las er zuerst die Kritiken,
die ihn freuten, und sah sich
Wilsons Kriegszielprogramm
Wilson: „Diese süße Melodie habe ich extra
für den Iwan präparierL, vielleichL rührL
sie ihn und er kehrL wieder zu uns zurück."
dann ein Exemplar des „VioleLLen Todes" an. „Merk-
würdig, — da scheinL mir etwas zu fehlen," dachte er, als
er die beiden ersten SeiLen überblickt haLLe, und fing an,
genauer zu lesen. „Zum DonnerweLLer, da sind ja ganze
SLücke herausgefallen!" schrie er, als er auf der 15. SeiLe
war. „Limmel, mein Werk ist ja LoLal verstümmelLI"
ächzte er, als er das Buch zuklappte. !lnd dann fuhr er
schleunigst zu seinem Verleger.
Der Verleger ließ das in der Druckerei stark beschmutzte
ManuskripL hervorsuchen und nun wurde verglichen. Wahr-
haftig, es war ein Versehen vorgefallen. Denn was hatten
die Setzer getan? Sie waren an einseitige ManuskripLe
gewöhnt, — sie haLLen immer nur die Vorderseite jedes
BlaLtes gesetzt.-
NaLürlich muß dieser Vorfall geheim gehalten werden.
Weder die Setzer, noch die
Kritiker und auch nicht die
Leser des „VioleLLen Todes"
dürfen erfahren, daß sie gar
nichts von dem fcagmenta-
rischen Zustande des Buches
gemerkt haben.
Schon aus diesem Grunde
nicht: MaLLHias Zuberbühl
läßt nächstens wieder ein
Buch erscheinen. Sein durch
das rauhe MiliLärleben au-
genblicklich etwas gebroche-
ner Geist vermag sich aber
noch nichts abzuringen.
MaLLHias Zuberbühl wird
deshalb einfach die 49 beim
ersten Male nicht gesetzten
RückseiLen seines Manu-
skripts der WelL als eirr
neues Werk schenken. Sein
Verleger hat ihm das ge°
raten. Düo
Ewig verbunden
^ 2.
- „Nichts soll uns Lrennen, bis dein Tod uns scheideLI'
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Ein durch die Papierknappheit verursachler lit-
terarischer Vorfall
In allen schriftstellerischen BeLrieben ist es eine alte
Negel, daß bei einem Manuskript das Papier immer nur
auf einer Seite beschrieben werden darf. Es ist dann be-
quemer in der Druckerei zu handhaben, wo es ja in kleinen
Srücken an die Setzer verteilt wird. EigenLlich brauchLen
also nichL alle ManuskripLe so beschaffen zu sein, denn es
kommen ja nichL alle zum Druck. Das sind sogar nur die
wenigsten, und von dieser verhälLnismäßigen Minderzahl,
die an sich freilich gewalLig groß ist, finden wieder nur die
wenigsten eine nennenswerte Anzahl von Lesern. Lieraus
ist zu ersehn, eine wie ungeheure Verschwendung von Pa-
pier mi( dem einseiLigen Schreiben der ManuskripLe be-
gangen wird, und es ist eigenLlich merkwürdig, daß nichL
schon irgend ein Generalkommando den SchrifLstellern be°
sohlen haL, wegen der PapierknappheiL vorläufig keine Nück-
seiLen mehr frei zu lassen. —
MaLLHias Zuberbühl ist einer von jenen neuesten deuL-
schen DichLern, für deren Werke immer noch Druckpapier
übrig sein muß, weil sie KulLurfakLoren sind. Trotzdem
mußLe auch MaLLhias Zuberbühl die PapierknappheiL spüren,
denn als er sich eines Taqes ManuskripLpapier kaufen wollLe,
— siehe, da war der VorraL an jenen schönen BläLLern,
an die er unabwendbar gewöhnL war, stark auf die Neige
gegangen. „Mehr als fünfzig BlaLL darf ich nichL abgeben,"
sagLe das Fräulein in dem PapiergeschäfL und blieb un-
erbiLLlich. Sie wußLe eben nichL, daß der Kunde der DichLer
MaLthias Zuberbühl war. Der ging miL seinen fünfzig
BlätLern ManuskripLpapier nach Lause und begann sein
neues großes Epos „Der violeLLe Tod". Als er aber miL
der ersten SeiLe fertig war — nach fünf MinuLen, denn
bei Matthias Zuberbühl fließen die Verse wie der Niagara
— drehte er das BlatL einfach um. „Es muß auch einmal
so gehn," dachte er. „Warum soll ich denn, da ich von
meinem schönen Papier so wenig kriege, nichL einmal miL
der Tradition brechen und mein ManuskripL doppelseitig
schreiben?" — GewohnheiLsmäßia aber haLLe er, um durch
solche NebensächlichkeiLen den Fluß des DichLens nichL
stören zu laffen — bereits vorher ein Dutzend BläLLer
numerierL, immer nur auf einer SeiLe. Nun, das machte
ja nichts; so waren eben diesmal bei dem ManuskripL statt
der SeiLen die BläLLer numerierL. Es wurden im ganzen
49 Stück. —
Gerade dann geschah MaLthias Zuberbühl etwas sehr
Unangenehmes: er wurde zum Militärdienst eingezogen.
Er konnte das zwar nichL begreifen, und der AnLeroffizier,
der ihn ausbildete, auch nichL, aber beide waren sie ja nichL
um Rat gefragt worden. Der „VioleLLe Tod" war in-
zwischtm an den Verleger gelangt, und von diesem sofort
in die Druckerei gegeben wor-
den. „Ein bißchen wenig,"
dachte der Verleger, als er die
Bürstenabzüge bekam, „aber
das macht nichts, man kann
ja heutzutage auch ein Buch
recken, damit es die nötige
Dicke bekommt." Also wurde
der „VioleLLe Tod" gereckt,
schön gebunden,mit Lärm an-
gezeigt und einige begeisterte
Kritiken erschienen.
Am diese ZeiL wurde
Matthias Zuberbühl wieder
vom Militärdienst entlassen.
Er haLLe sich inzwischen gar
nichL um sein Buch beküm-
mern können, nichL einmal
Korrektur haLLe er gelesen,
— das MiliLärleben hatte ihn
gar zu sehr mitgenommen.
Nun las er zuerst die Kritiken,
die ihn freuten, und sah sich
Wilsons Kriegszielprogramm
Wilson: „Diese süße Melodie habe ich extra
für den Iwan präparierL, vielleichL rührL
sie ihn und er kehrL wieder zu uns zurück."
dann ein Exemplar des „VioleLLen Todes" an. „Merk-
würdig, — da scheinL mir etwas zu fehlen," dachte er, als
er die beiden ersten SeiLen überblickt haLLe, und fing an,
genauer zu lesen. „Zum DonnerweLLer, da sind ja ganze
SLücke herausgefallen!" schrie er, als er auf der 15. SeiLe
war. „Limmel, mein Werk ist ja LoLal verstümmelLI"
ächzte er, als er das Buch zuklappte. !lnd dann fuhr er
schleunigst zu seinem Verleger.
Der Verleger ließ das in der Druckerei stark beschmutzte
ManuskripL hervorsuchen und nun wurde verglichen. Wahr-
haftig, es war ein Versehen vorgefallen. Denn was hatten
die Setzer getan? Sie waren an einseitige ManuskripLe
gewöhnt, — sie haLLen immer nur die Vorderseite jedes
BlaLtes gesetzt.-
NaLürlich muß dieser Vorfall geheim gehalten werden.
Weder die Setzer, noch die
Kritiker und auch nicht die
Leser des „VioleLLen Todes"
dürfen erfahren, daß sie gar
nichts von dem fcagmenta-
rischen Zustande des Buches
gemerkt haben.
Schon aus diesem Grunde
nicht: MaLLHias Zuberbühl
läßt nächstens wieder ein
Buch erscheinen. Sein durch
das rauhe MiliLärleben au-
genblicklich etwas gebroche-
ner Geist vermag sich aber
noch nichts abzuringen.
MaLLHias Zuberbühl wird
deshalb einfach die 49 beim
ersten Male nicht gesetzten
RückseiLen seines Manu-
skripts der WelL als eirr
neues Werk schenken. Sein
Verleger hat ihm das ge°
raten. Düo
Ewig verbunden
^ 2.
- „Nichts soll uns Lrennen, bis dein Tod uns scheideLI'