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24 L

Meggendorfer-Blätter, München

Das merkwürdige gnädige

Fräulein Von Peter Robinson

„Diese Geschichte hat den Vor-
zug, buchstäblich wahr zu sein."

So fangen manche Schriftstel-
ler gern eine Erzählung an, aber
fie haben unrecht damit. Denn
es ist wirklich nicht einzusehn, wa-
rum eine wahre Geschichte einer
erfundenen vorgezogen werden
soll. Der Vorzug eines Schrift-
stellers ist es jedenfalls nicht, nur
wahre Geschichten zu erzählen.

Solch ein Mann ist doch gerade
dazu da, sich etwas auszudenken
und sich elwas einfallen zu laffen.

Das ist einsach seine verdammte
Pflicht und Schuldigkeit. Wenn
die wahren Gescbichten vorgezo-
gen werden sollten, dann wären
ja gerade die Schriftsteller im
Vorteil, denen nichts einfällt, und
das wäre doch sehr ungerecht.

Dann käme es für einen Schrift
steller ja gar nicht darauf an, eine
tüchtige Phantasie zu haben, son-
dern möglichst viele Verwandte
und Bekannte, die recht viel an°
stellen, was er dann alles einfach
nacherzahlt und in einer Reihe
stattlicher Bände vor das Volk
stellt, das ihn dafür seinen großen
Epiker nennt.

Es muß also richtiger folgen-
dermaßen angefangen werden:

Diese Geschichte ist wahr, womit
sich jeder gefälliast abfinden möge.

Sie steht sogar in den Prozeß-
akten des Falles Rogatzki. Es
stehen manchmal Geschichten in
Akten, und sie sind gewöhnlich das
Beste von allem, was in dieser
Art von Dokumenten steckt. Der
Äerr Amtsrichter Schönert war
auch immer, schon seit seiner Re-
ferendarzeit, dieser Meinung, und
deshalb ist er wobl auch sein Le-
- ben lang Amtsrichter geblieben.

Kaum eine andere Aktengeschichte aber hat ihm so viel Ver
gnügen gemacht, wie jene, die ihm Zoseph Rogatzki unbe-
holfen und sehr verschämt erzählte, als er vor Gericht stand.
Auch der gnädige Lerr von Borsow, der erst so furchtbar
wütend auf den Ioseph Rogatzki gewesen war, freute sich
darüber so sehr, daß er dem Zoseph verzieh und ihn in
Gnaden wieder aufnahm. Ia, sogar Fräulein Schulze, —
in Firma Maison Schulze — verzieh Rogatzki, daß er ihr
die Schaufensterscheibe eingeschlagen hatte, — weshalb er
vor Gericht gekommen war. Nur die Versicherungsgesell
schaft, bei der die Scheibe versichert gewesen war, verzieh
nicht. O nein, Ioseph Rogatzki musite ihr die Scheibe be-
zahlen, in Naten, was ein schweres Stück Arbeit für ihn war.

Ioseph Rogatzki hatte die Scheibe zerschlagen einen Tag,
nachdem er von dem gnädigen Lerrn von Borsow auf Äoch-
Zempien zum Tor hinausgeschmiffen worden war, und genau

eine Stunde, nachdem er die Stadt
erreicht hatte, wo er sich um einen
Posten bei der Pferdebahngesell-
schaft bewerben wollte. Denn die
Geschichte ereignete sich noch zur
Pferdebahnzeit. Kutscher werden
zu wollen, so hoch ging sein
Ehrgeiz nicht, das hälte er sich
gar nicht getraut, denn er hatte
Angst vor den Straßen der gro-
ßen Stadt, in die er noch niemals
hineingekommen war. Er hatte
niemals die Nase weit über Äoch-
Zempien hinaus gesteckt und war
dessen ganze 39 Iahre lang zu-
frieden gewesen. Dort war er
geboren worden unter der Re-
gierung des Vaters des gnädigen
Äerrn von Borsow, — dort hatte
er die wackere Kuhmagd Iule ge-
ehelicht, und dort hatte er sterben
wollen. Nie und nimmer hatte er
gedacht, daß er mit Schimpf und
Schande würde abziehn müffen.

Der gnädige Äerr von Bor-
sow hatte das auch nicht gedacht.
Er war immer sehr zufrieden ge-
wesen mit dem Ioseph, der brav
den Stall auskehrte, frische Streu
schüttete, Läcksel schnitt und mit
Lafer vermengte, Pferdefelle
ftriegelte und sonst noch tat, was
für die Gäule nötig war, mit
angeborenem Talent, voll Pflicht-
gefühl und auch mit Freude. Mit
ganz besonderer Freude aber über-
nommen hatte er die Wartung
des schönen Borkshire-Milchschim-
mels, den Lerr von Borsow an-
schaffte, als er sein Fräulein Toch-
ter aus dem mit ihrer Erziehung
beauftragt gewesenen Schweizer
Institut zurück erwartete. Drei
Wochen lang hegte und pflegte
er den Milchschimmel, sührte ihn
aus und erforschte seine Seele,
ob er auch wirklich ein so frommes
Tier wäre, wie Blumenthal Söhne
garantiert hatten. Denn von Blu-
menthal Söhne war er gekauft worden, und wenn diese auch
im allgemeinen recht reelle Leute waren, - ganz trauen soll
man einer Pferdegarantie nie. Aber diesmal schienen sie
wirklich nicht zu viel versprochen zu haben. Ioseph erklärte
dem gnädigen Lerrn auf deffen von väterlicher Sorge be-
stimmte Frage, das wäre ein Prachtgaul, da könnte sogar
ein ganz kleines Mädchen ohne Gefahr hinaufgesetzt werden.
Aber das gnädige Fräulein, na, das ritt ja überhaupt wie der
Deiwel! Das wußte Ioseph aus den Ferien der jungen Dame.

Dann kam das gnädige Fräulein. Der Lerr Papa
holte sie aus der Stadt ab, aber nicht ganz, nur halb, indem
er sie zwar am Bahnbof empfing, dann aber die Equipage
allein mit ihr hinauöschickte. Das war zuerst nicht seine
Absicht gewesen, aber er hatte in der Stadt ein paar Nach.
barn vom Lande getroffen und ein Abendeffen mit an-
schließendem Abendtrinken verabredet. And wenn das

Pech — „Jesses na, für 'n Buam, der wo
fich auf Arlaub ang'meld't hat, richt'
ich dös Kranzerl z'samm', und wer
kimmt? D' Frau Schwiegermama!"
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