Zeitschrift für Hurnor und Kunst 43
Zn Italien
Das Dittchen
Gewohnheil gewesen wäre, jede
Geste zu unterdrücken, dann hätte
er jetzt den Kopf geschüttelt. „So
ein dummer Bengel!" dachte er.
Ein vernünstiger Mensch,der fünf-
zehn Pfennige zu zahlen hat, gibt
doch nicht die gleiche Summe als
Trinkgeld! Protzerei war das,
Verschwendung,ein kleiner Schritt
auf einem üblen Wege, der, wenn
viele solcher kleinen Schritte ge-
macht waren, zur Verschleuderung
ererbten Gutes, unordentlicher
Geschäftsführung und schließli-
chem Bankerott sührte. Zum
Donnerwetter! Zwanzig Pfen-
nige, zwei Dittchen hätte der
dumme Bengel hinlegen müffen,
der dann freilich kein dummer
Benqel gewesen wäre. Aber drei
Dittchen! — Als wollte er zeigen,
wie das hätte gemacht werden
müssen. schob Lerr Iablonski zwei
von den Dittchen auf die andere
von ihm entfernte Seite des
Tisches und zog das dritte näher
zu sich heran. Wenn der Kellner
jetzt gekommen wäre, hätte er
annehmen müffen, daß der junge
Köpke dort auf dem Tisch zwei
Dittchen für ihn hatte liegen
laffen, und daß Lerr Iablonski,
der seine Atzung schon bezahlt hatte, sich zu einem Dittchen
Trinkgeld rühmlichst entschloffen hatte. Aber der Kellner
kam nicht und wußte auch gar ntcht, daß Lerr Köpke
schon gegangen war. Dem Kellner, der erst seit acht
Tagen in Lavalle's Kaffeehaus beschäftigt war und in dieser
als Probefrist bedungenen Zeit fich Lerrn Lavalles Zu-
ftiedenheit mcht erworben hatte, war eben von diesem mit-
geteilt worden, daß er am nächsten Tage nicht wiederzu-
kommen brauchte. Der Kellner war unverschämt geworden,
und Lerr Lavalle hatte geschrien, er sollte das Maul halten,
sonst flöge er auf der Stelle hinaus. Darauf hielt der
Kellner das Maul, aber der Aerger wuchs umsomehr in ihm.
Lerr Iablonski hatte inzwischen noch ein wenig auf
den Marktplatz hinaus gesehn. Da schlug es vier Llhr, und
auf dem Rathausturm begann das Glockenspiel: Aeb' immer
Treu und Redlichkeit! Dieses Lied kam immer um vier Ahr
an die Reihe; da war die auf dem Marktplatz handelnde
Kornbörse nämlich schon lange geschlossen. Lerr Iablonski
sühlte sich an sein Geschäft erinnert und stand auf. Er sah
auf das einsam neben seiner Kaffeetaffe liegende Dittchen.
„So ein dummer Bengel!" brummte er, und dann ergriff
er mit schöner Sicherheit das Dittchen und steckte es in seine
Westentasche. And dann ging Lerr Iablonski. —
Nach einer Weile kam der ärgerliche Kellner auf die
Veranda. Er sah den leeren Tisch und steckte se ne zwei
Dittchen ein. Am Nebentisch saß ein Lerr, der einen
Musterkoffer bei sich hatte; sonst war niemand mebr auf
der Veranda. Dieser Lerr öffnete jetzt seinen Mund sehr
weit. „Lören Sie mal, Ober, Sie haben hier aber dolle
Iäste! Eenen Iroschen hat Ihnen der Mann da eben
jeklaut." And dann erzählte er, — nicht ohne seine scharfe
Beobachtungsgabe wohlgefällig zu unterstreichen.
— „Siehst du, Paul, hier fängt nun die italienische
Kunst an."
— „Ia, bloß die italienische Kriegskunst hat hier aufgehört."
Dem Kellner hätte nichts Befferes widerfahren können.
Er wußte natürlich, wer da gesessen hatte. Selbstverständlich
kannte er Lerrn Bankier Iablonski, der ihm von Konditor
Lavalle als Stammgast bezeichnet worden war. Sehr un-
angenehm würde das diesem Lavalle sein, wenn jetzt diesem
Stammgast und noch dazu einer so großen Persönlichkeit
der Stadt eine höchst verdrießliche Geschichte eingerübrt
werden würde. Aber das würde geschehn, darauf konnte
sich Lavalle verlaffen! And der Lerr Bankier Iablonski auch!
„Is ja selbstverständlich!" sagte der Lerr mit dem
Musterkoffer, der ein Ge'chäftsreisender aus Berlin war.
„Ich bin Zeuge. Lier haben Sie meine Adresse. Ich komme
zum Termin. Loffenrlich fällt er so, daß ich dann gerade
wieder hier aus der Tour bin." — Der Geschäftsreisende
hatte aber nicht nur die Loffnung, daß dies angenehme
Zusammentreffen sich ergeben würde, — nein, er hatte sogar
die feste Lleberzeugung. Er würde ja ein paar Wochen
vorber geladen werden. Na also! Dann würde er das
bei seinem Prinzipal schon so deichseln, daß der ihn zur
richtigen Z<>it wieder nach dem Osten auf die Tour schickte.
Der Prinzipal würde nalürlich wie immer die Reisespesen
tragen, aber er, der Geschäftsreisende, würde als Zeuge
Ersatz der Reisekosten, Verpflegung, Nachtquartier, Zeit-
versäumnis usw. beanspruchen, und das würde ein feines
Geschäft werden. Dieser Gedanke war dem Geschäfts-
reisenden sofort in jenem Augenblick gekommen, als er
Lerrn Iablonski das Dittchen einstecken sah. Ia, man
findet unter GeschäftSreisenden sehr gescheite Köpfe.
Der Kellner ging mit ungeheurem Vergnügen zu Kon-
ditor Lavalle, der gerade an der Büsettkasse stand. Alle
Gäste konnten hören, wie es der Kellner schreiend erzählte:
Lerr Bankier Iablonski hatte ein Dittchen gestohlen! Lerr
Zn Italien
Das Dittchen
Gewohnheil gewesen wäre, jede
Geste zu unterdrücken, dann hätte
er jetzt den Kopf geschüttelt. „So
ein dummer Bengel!" dachte er.
Ein vernünstiger Mensch,der fünf-
zehn Pfennige zu zahlen hat, gibt
doch nicht die gleiche Summe als
Trinkgeld! Protzerei war das,
Verschwendung,ein kleiner Schritt
auf einem üblen Wege, der, wenn
viele solcher kleinen Schritte ge-
macht waren, zur Verschleuderung
ererbten Gutes, unordentlicher
Geschäftsführung und schließli-
chem Bankerott sührte. Zum
Donnerwetter! Zwanzig Pfen-
nige, zwei Dittchen hätte der
dumme Bengel hinlegen müffen,
der dann freilich kein dummer
Benqel gewesen wäre. Aber drei
Dittchen! — Als wollte er zeigen,
wie das hätte gemacht werden
müssen. schob Lerr Iablonski zwei
von den Dittchen auf die andere
von ihm entfernte Seite des
Tisches und zog das dritte näher
zu sich heran. Wenn der Kellner
jetzt gekommen wäre, hätte er
annehmen müffen, daß der junge
Köpke dort auf dem Tisch zwei
Dittchen für ihn hatte liegen
laffen, und daß Lerr Iablonski,
der seine Atzung schon bezahlt hatte, sich zu einem Dittchen
Trinkgeld rühmlichst entschloffen hatte. Aber der Kellner
kam nicht und wußte auch gar ntcht, daß Lerr Köpke
schon gegangen war. Dem Kellner, der erst seit acht
Tagen in Lavalle's Kaffeehaus beschäftigt war und in dieser
als Probefrist bedungenen Zeit fich Lerrn Lavalles Zu-
ftiedenheit mcht erworben hatte, war eben von diesem mit-
geteilt worden, daß er am nächsten Tage nicht wiederzu-
kommen brauchte. Der Kellner war unverschämt geworden,
und Lerr Lavalle hatte geschrien, er sollte das Maul halten,
sonst flöge er auf der Stelle hinaus. Darauf hielt der
Kellner das Maul, aber der Aerger wuchs umsomehr in ihm.
Lerr Iablonski hatte inzwischen noch ein wenig auf
den Marktplatz hinaus gesehn. Da schlug es vier Llhr, und
auf dem Rathausturm begann das Glockenspiel: Aeb' immer
Treu und Redlichkeit! Dieses Lied kam immer um vier Ahr
an die Reihe; da war die auf dem Marktplatz handelnde
Kornbörse nämlich schon lange geschlossen. Lerr Iablonski
sühlte sich an sein Geschäft erinnert und stand auf. Er sah
auf das einsam neben seiner Kaffeetaffe liegende Dittchen.
„So ein dummer Bengel!" brummte er, und dann ergriff
er mit schöner Sicherheit das Dittchen und steckte es in seine
Westentasche. And dann ging Lerr Iablonski. —
Nach einer Weile kam der ärgerliche Kellner auf die
Veranda. Er sah den leeren Tisch und steckte se ne zwei
Dittchen ein. Am Nebentisch saß ein Lerr, der einen
Musterkoffer bei sich hatte; sonst war niemand mebr auf
der Veranda. Dieser Lerr öffnete jetzt seinen Mund sehr
weit. „Lören Sie mal, Ober, Sie haben hier aber dolle
Iäste! Eenen Iroschen hat Ihnen der Mann da eben
jeklaut." And dann erzählte er, — nicht ohne seine scharfe
Beobachtungsgabe wohlgefällig zu unterstreichen.
— „Siehst du, Paul, hier fängt nun die italienische
Kunst an."
— „Ia, bloß die italienische Kriegskunst hat hier aufgehört."
Dem Kellner hätte nichts Befferes widerfahren können.
Er wußte natürlich, wer da gesessen hatte. Selbstverständlich
kannte er Lerrn Bankier Iablonski, der ihm von Konditor
Lavalle als Stammgast bezeichnet worden war. Sehr un-
angenehm würde das diesem Lavalle sein, wenn jetzt diesem
Stammgast und noch dazu einer so großen Persönlichkeit
der Stadt eine höchst verdrießliche Geschichte eingerübrt
werden würde. Aber das würde geschehn, darauf konnte
sich Lavalle verlaffen! And der Lerr Bankier Iablonski auch!
„Is ja selbstverständlich!" sagte der Lerr mit dem
Musterkoffer, der ein Ge'chäftsreisender aus Berlin war.
„Ich bin Zeuge. Lier haben Sie meine Adresse. Ich komme
zum Termin. Loffenrlich fällt er so, daß ich dann gerade
wieder hier aus der Tour bin." — Der Geschäftsreisende
hatte aber nicht nur die Loffnung, daß dies angenehme
Zusammentreffen sich ergeben würde, — nein, er hatte sogar
die feste Lleberzeugung. Er würde ja ein paar Wochen
vorber geladen werden. Na also! Dann würde er das
bei seinem Prinzipal schon so deichseln, daß der ihn zur
richtigen Z<>it wieder nach dem Osten auf die Tour schickte.
Der Prinzipal würde nalürlich wie immer die Reisespesen
tragen, aber er, der Geschäftsreisende, würde als Zeuge
Ersatz der Reisekosten, Verpflegung, Nachtquartier, Zeit-
versäumnis usw. beanspruchen, und das würde ein feines
Geschäft werden. Dieser Gedanke war dem Geschäfts-
reisenden sofort in jenem Augenblick gekommen, als er
Lerrn Iablonski das Dittchen einstecken sah. Ia, man
findet unter GeschäftSreisenden sehr gescheite Köpfe.
Der Kellner ging mit ungeheurem Vergnügen zu Kon-
ditor Lavalle, der gerade an der Büsettkasse stand. Alle
Gäste konnten hören, wie es der Kellner schreiend erzählte:
Lerr Bankier Iablonski hatte ein Dittchen gestohlen! Lerr