Meggendorfer-Blätter, München
Me Morgentoilette im Freien
Mißverstanden
Ein Bauer sttzt im Caf6. Auf dem Tische steht der
Teller mit Gebäck. Da kommt cin Gast, sagt „Erlauben"
und nimmt sich ein Slück. „Meinetwegen," sagt der
Bauer, ... „nehmen S' soviel S' wollen, ich bin doch net
der Wirt da!"
Ja so-
Bekannter: „Äunderttausend Mark habe ich zwar von
dem Onkel geerbt, aber Sie können stch darauf verlassen,
daß keiner seinen Tod mehr beklagt als ich; (in Gedanken)
in wenigen Iahren hätte dieser spekulative Kopf mir
mindestens das doppelte hinterlaffen!"
Hyon und seine Gefangenen Von Peter Robin>on
Was für merkwürdigen Äunden man doch im Leben
begegnet! Leute, die Lunde gern haben, wissen die seltsamsten
Geschichten davon zu berichten. Sie lassen sich aber auch
gcrne solche Geschichten erzählen: sie werden ihrsr nie müde,
ja manche hören überhaupt viel lieber Geschichten von
Äunden als von Menschen. Für diese Leute will ich hier eine
Geschichte vom großen Lyon erzählen, der ein wackerer
Biederhund war. Wer sich nicht sür Lunde interessiert
und deshalb nicht besonders darauf erpicht ist, die Geschichte
zu vernehmen, möge sie trotzdem lesen, denn es kommcn auch
genug Menschen darin vor, sogar ein Oberlandesgerichts-
rat, wenn auch nur ein penfionierter.
L>yon war ein Neufundländer und kam zu uns ins
Laus ungefähr um die Zeit, als ich m in zweites Paar
Loscn trug, — samt den dazu gehörigen glänzenden Stulp-
stiefeln. Denn damals war es Mode, kleine Iungen in
Stulpstieseln aus Lackleder herumlaufen zu laffen, daß sie
aussahen wie kleine Postillone, aber nicht wie richtige, sondern
mehr wie Theaterpostillone.
Lyon zählte bei seinem Erscheinen ebenso viele Monate
wie ich Iahre, nämlich drei, und war mit einem unverhältnis-
mäßig großen Kopf und dicken Pfoten grade ein so komischer
Tolpatsch, wie ein rechter Neufundländer das in solchem
Alter sein muß. Äunde wachsen in Monaten mehr als
Menschen in Iahren, und so war denn Lyon, als ich srst
ein nur um eine Nummer größeres Paar Stulpstiesel be-
kam, schon fast am Ende seines Wachstums angelangt,
zeigte Würde und Anstand und besaß ein bereits hoch ent-
wickeltes Pflichtgefühl und ein selbftändig errungenes Ver-
ständnis dafür, was von ihm erwartet wurde.
Anser Lyon nun hatte bald begriffen, daß die im
Lause seiner Familie befindlichen beweglichen Gegenstände
Vermögenssubstanzen darfiellten, deren Entfernen durch An-
befugte eine Schmälerung des Vermögens bedsuten würde,
und war demgemäß, ganz wie sich das sür ihn als Lund ge-
hörte, zu der Aeberzeugung gekommen, daß er jeden Versuch
solchen Entfernens durch seine nicht geringen Kräste ver-
hindern müßte. Gewöhnlich üben Lunde von durchschnittlicher
Veranlagung solchen Schutz des Eigentums dadurch aus,
daß sie jeden nahenden Fremdling durch Bellen oder Knurren
von der Schwelle zu scheuchen suchen und schließlich, wenn
diese Mahnung nicht wirkt, zum Angriff übergehn.
Lyon aber bellte odcr knurrte nicht, wenn jsmand ins
Laus wollte. O nein, er benahm fich ganz anders. Er
mußte einmal diese scharfsinnige Aeberlegung angestellt haben:
„Linaus darf selbflverständlich nicbts aus dem Lause, das
schädigt deine Leute. Aber hinein, - o, das ist etwas ganz
anderes! Das bereichert uns ja. Nur immerzu, — es kann
gar nicht genug hinein getragen wcrden!"
Wenn aber etwas in ein Laus hinein getragen werden
soll, dann müffen auch dis Leute hinein, die ss tragen. Das
war Lyon vollkommen klar, und deshalb wedelte sr jedem,
der ins Laus wollte, mit seinem buschigen Schwanz eine
sreundliche Begrüßung zu. And dabei schaute er ihn lieb-
reich an und ließ auf seinem dicken Neufundländergeficht
unendliche Güte erstrahlen. Es war, als wollte er sagen:
„Bitte, treten Sie doch gefävigst näher. Ich weiß, daß
manche Leute vor so starken Burschen, wis ich einer bin,
leicht Angst haben, aber bei mir ist das ganz und gar un-
angebracht. Ich bin wirklich nicht so. Jch sreue mich
sogar außerordentlich über Ihren werten Besuch. Also
spazieren Sie nur ganz ungenisrt herein!"
„Das ist aber mal ein n etter, menschenfreundlicher Lund!"
dachte dann der Besucher und trat ein, wozu ihm Lyon
Me Morgentoilette im Freien
Mißverstanden
Ein Bauer sttzt im Caf6. Auf dem Tische steht der
Teller mit Gebäck. Da kommt cin Gast, sagt „Erlauben"
und nimmt sich ein Slück. „Meinetwegen," sagt der
Bauer, ... „nehmen S' soviel S' wollen, ich bin doch net
der Wirt da!"
Ja so-
Bekannter: „Äunderttausend Mark habe ich zwar von
dem Onkel geerbt, aber Sie können stch darauf verlassen,
daß keiner seinen Tod mehr beklagt als ich; (in Gedanken)
in wenigen Iahren hätte dieser spekulative Kopf mir
mindestens das doppelte hinterlaffen!"
Hyon und seine Gefangenen Von Peter Robin>on
Was für merkwürdigen Äunden man doch im Leben
begegnet! Leute, die Lunde gern haben, wissen die seltsamsten
Geschichten davon zu berichten. Sie lassen sich aber auch
gcrne solche Geschichten erzählen: sie werden ihrsr nie müde,
ja manche hören überhaupt viel lieber Geschichten von
Äunden als von Menschen. Für diese Leute will ich hier eine
Geschichte vom großen Lyon erzählen, der ein wackerer
Biederhund war. Wer sich nicht sür Lunde interessiert
und deshalb nicht besonders darauf erpicht ist, die Geschichte
zu vernehmen, möge sie trotzdem lesen, denn es kommcn auch
genug Menschen darin vor, sogar ein Oberlandesgerichts-
rat, wenn auch nur ein penfionierter.
L>yon war ein Neufundländer und kam zu uns ins
Laus ungefähr um die Zeit, als ich m in zweites Paar
Loscn trug, — samt den dazu gehörigen glänzenden Stulp-
stiefeln. Denn damals war es Mode, kleine Iungen in
Stulpstieseln aus Lackleder herumlaufen zu laffen, daß sie
aussahen wie kleine Postillone, aber nicht wie richtige, sondern
mehr wie Theaterpostillone.
Lyon zählte bei seinem Erscheinen ebenso viele Monate
wie ich Iahre, nämlich drei, und war mit einem unverhältnis-
mäßig großen Kopf und dicken Pfoten grade ein so komischer
Tolpatsch, wie ein rechter Neufundländer das in solchem
Alter sein muß. Äunde wachsen in Monaten mehr als
Menschen in Iahren, und so war denn Lyon, als ich srst
ein nur um eine Nummer größeres Paar Stulpstiesel be-
kam, schon fast am Ende seines Wachstums angelangt,
zeigte Würde und Anstand und besaß ein bereits hoch ent-
wickeltes Pflichtgefühl und ein selbftändig errungenes Ver-
ständnis dafür, was von ihm erwartet wurde.
Anser Lyon nun hatte bald begriffen, daß die im
Lause seiner Familie befindlichen beweglichen Gegenstände
Vermögenssubstanzen darfiellten, deren Entfernen durch An-
befugte eine Schmälerung des Vermögens bedsuten würde,
und war demgemäß, ganz wie sich das sür ihn als Lund ge-
hörte, zu der Aeberzeugung gekommen, daß er jeden Versuch
solchen Entfernens durch seine nicht geringen Kräste ver-
hindern müßte. Gewöhnlich üben Lunde von durchschnittlicher
Veranlagung solchen Schutz des Eigentums dadurch aus,
daß sie jeden nahenden Fremdling durch Bellen oder Knurren
von der Schwelle zu scheuchen suchen und schließlich, wenn
diese Mahnung nicht wirkt, zum Angriff übergehn.
Lyon aber bellte odcr knurrte nicht, wenn jsmand ins
Laus wollte. O nein, er benahm fich ganz anders. Er
mußte einmal diese scharfsinnige Aeberlegung angestellt haben:
„Linaus darf selbflverständlich nicbts aus dem Lause, das
schädigt deine Leute. Aber hinein, - o, das ist etwas ganz
anderes! Das bereichert uns ja. Nur immerzu, — es kann
gar nicht genug hinein getragen wcrden!"
Wenn aber etwas in ein Laus hinein getragen werden
soll, dann müffen auch dis Leute hinein, die ss tragen. Das
war Lyon vollkommen klar, und deshalb wedelte sr jedem,
der ins Laus wollte, mit seinem buschigen Schwanz eine
sreundliche Begrüßung zu. And dabei schaute er ihn lieb-
reich an und ließ auf seinem dicken Neufundländergeficht
unendliche Güte erstrahlen. Es war, als wollte er sagen:
„Bitte, treten Sie doch gefävigst näher. Ich weiß, daß
manche Leute vor so starken Burschen, wis ich einer bin,
leicht Angst haben, aber bei mir ist das ganz und gar un-
angebracht. Ich bin wirklich nicht so. Jch sreue mich
sogar außerordentlich über Ihren werten Besuch. Also
spazieren Sie nur ganz ungenisrt herein!"
„Das ist aber mal ein n etter, menschenfreundlicher Lund!"
dachte dann der Besucher und trat ein, wozu ihm Lyon