114 Meggendorfer-Vlätter, Milnchen
Der neueste Ersatz - „Warum siht
denn der Lehrling auf dem aufgeschlagenen Lauptbuch?"
— „Der hat 'ne Lose aus Löschpapier."
Die störenden Nebenvorstellungen
Den Lerrn Griesler treffe ich schon seit langem
jeden Morgen auf der Trambahn. In der letzten Zeit
gähnt er immer und fieht recht müde aus. „Das kommt
von der verfluchten Sommerzeit," erzählte er mir neulich,
„die hat mich ganz und gar in Anordnung gebracht.
Erst lag ich eine Stunde im Bett, ohne einschlafen zu
können; das hat mich ein bißchen heruntergebracht, und
nun stnd 's schon zwei Stunden, die ich mich umherwälze,
und das wird immer schlimmer. Schlafmittel? Am
Limmels willen, — damit fange ich doch lieber nicht
an, nachher gibt's kein Aufhören. Ich hab's mit Zählen
versucht, aber das wirkt bei mir nicht; sowie ich über
hundert bin, muß ich aufpaffen, daß ich nicht eine Zahl
auslasse, und davon werde ich wieder ganz munter.
„Stimmt, Lerr Griesler," sagte ich, „das ist eine
alte Geschichte. Aber versuchen Sie es doch einmal mit
einer anderen Art, sich selber einzuschläfern. Sie liegen
also im Bett, und nun stellen Sie sich vor, daß Zhr Bett
nicht im Schlafzimmer steht, sondern auf dem
Balkon, so daß Sie auf die Straße sehn können.
And auf der andern Seite der Straße stellen
Sie sich irgend ein großes, von vielen Menschen
besuchtes Gebäude vor. Sie können sich ja
denken, daß Reinhwdt da ein Theater für
hunderttausend Zuschauer gebaut hat. Aber
dieses Theater muß nur eine einzige, ganz
kleine Tür haben, durch die immer nur eine
einzige Person gehen kann. Weiter — nun
stellen Sie sich vor, das Theater, nämlich die
Vorstellung, ist aus; die Zuschauer verlassen
das Laus, und Sie sehen von Jhrem Balkon
aus zu. Einer kommt nach dem andern durch
die kleine Tür heraus. Zählen dürfen Sie die
Leute aber nicht, nur einfach ansehn. Sie
gucken und gucken, und ein Mensch nach dem
andern kommt herausspaziert, und das will gar nicht aufhören,
denn das Theater ist ausverkauft gewesen, und Sie werden
hundemüde davon, diese langsame Prozession und all die gleich-
gttltigen Gesichter anzuschauen, — na, und ehe nur tausend
Leute aus dem Theater sind, schlafen Sie darüber ein."
„Famos, das scheint mir ein prächtiges Mittel zu sein,"
freute sich Lerr Griesler; „das werde ich gleich heute abend
probieren."
Aber am nächsten Morgen gähnte er noch mehr und sah
noch müder aus als gewöhnlich. „Es ist nichts mit Ihrem
schönen Mittel," erklärte er, „ich bin überhaupt erst gegen
Morgen zum Einschlafen gekommen. Erst ließ sich die Sache
ganz gut an, aber dann hatte ich gar zu störende Nebenvor-
stellungen. Also denken Sie fich: ich stelle mir das alles genau
so vor, wie Sie 's mir beschrieben haben, und die Leute kommen
auch richtig aus dem Theater heraus, und ich werde vom Zu-
sehen auch wirklich schon ganz hübsch müde. Aber dann auf
einmal fällt es mir ein, die Gesichter etwas genauer anzusehn,
und da, hol's der Teufel, erscheinen mir allerlei verdrießliche
Physiognomien. Da kommt der Beamte von der Bezugschein-
stelle an, der mir neulich das Paar Stiefel nicht bewilligt hat,
und dann der Mann, der mir so wenig für mein beschlag-
nahmtes Messing bezahlt hat, und dann mein Krämer, der
jetzt so furchtbar unverschämt ist, und die Milchfrau, die so
frech ist, und noch mehr solche Leute. Wer aber folgt dann?
Denken Sie sich, — da kommt auf einmal der Lloyd George
aus dem Theater, und dann der Clemenceau, und dann der
Wilson, und dann — na, ich will keine Namen nennen, aber
dann kamen ein paar nicht seindliche Politiker, und wie ich
nun alle diese Kerle nach einander sehe, da kriege ich solch eine
Wut, daß ich wieder ganz wach werde, als hätte ich eine ganze
Kanne voll Bohnenkaffee getrunken, den es aber jetzt gar nicht
gibt, über welchen Amstand ich mich auch noch ärgere, so daß
von Einschlafen überhaupt nicht mehr die Rede sein konnte."
Ich überlegte. „Mit dem Theater und den Menschen ist
es also für Sie nichts, Lerr Griesler. Also versuchen Sie es
doch einmal mit unschuldigen Tieren. Stellen Sie sich eine
Wiese vor oder ein Feld und im Lintergrunde einen großen
Stall, auch mit einer ganz kleinen Tür, aus der sie dann ein
Tier nach dem andern herausspazieren lassen, gerade so wie
die Leute aus dem Theater. Aber in diesem Fall werden Sie
gewiß keine störenden Nebenvorstellungen haben und schön
einschlafen."
Lerr Griesler sagte, er würde das tun, aber am nächsten
Morgen konnte er kaum auf die Trambahn klettern, so elend
war er. „Ich habe überhaupt nicht geschlafen," berichtete er.
„Und warum nicht? Ein weites Feld habe ich mir vorgestellt
Entweder — oder!
— „Liasl, entweder du steigst
vder du laßt unsern Wagen hi
aus, daß wir weiter fahren kön
Copyright 1918 by I. F. Schreiber
Der neueste Ersatz - „Warum siht
denn der Lehrling auf dem aufgeschlagenen Lauptbuch?"
— „Der hat 'ne Lose aus Löschpapier."
Die störenden Nebenvorstellungen
Den Lerrn Griesler treffe ich schon seit langem
jeden Morgen auf der Trambahn. In der letzten Zeit
gähnt er immer und fieht recht müde aus. „Das kommt
von der verfluchten Sommerzeit," erzählte er mir neulich,
„die hat mich ganz und gar in Anordnung gebracht.
Erst lag ich eine Stunde im Bett, ohne einschlafen zu
können; das hat mich ein bißchen heruntergebracht, und
nun stnd 's schon zwei Stunden, die ich mich umherwälze,
und das wird immer schlimmer. Schlafmittel? Am
Limmels willen, — damit fange ich doch lieber nicht
an, nachher gibt's kein Aufhören. Ich hab's mit Zählen
versucht, aber das wirkt bei mir nicht; sowie ich über
hundert bin, muß ich aufpaffen, daß ich nicht eine Zahl
auslasse, und davon werde ich wieder ganz munter.
„Stimmt, Lerr Griesler," sagte ich, „das ist eine
alte Geschichte. Aber versuchen Sie es doch einmal mit
einer anderen Art, sich selber einzuschläfern. Sie liegen
also im Bett, und nun stellen Sie sich vor, daß Zhr Bett
nicht im Schlafzimmer steht, sondern auf dem
Balkon, so daß Sie auf die Straße sehn können.
And auf der andern Seite der Straße stellen
Sie sich irgend ein großes, von vielen Menschen
besuchtes Gebäude vor. Sie können sich ja
denken, daß Reinhwdt da ein Theater für
hunderttausend Zuschauer gebaut hat. Aber
dieses Theater muß nur eine einzige, ganz
kleine Tür haben, durch die immer nur eine
einzige Person gehen kann. Weiter — nun
stellen Sie sich vor, das Theater, nämlich die
Vorstellung, ist aus; die Zuschauer verlassen
das Laus, und Sie sehen von Jhrem Balkon
aus zu. Einer kommt nach dem andern durch
die kleine Tür heraus. Zählen dürfen Sie die
Leute aber nicht, nur einfach ansehn. Sie
gucken und gucken, und ein Mensch nach dem
andern kommt herausspaziert, und das will gar nicht aufhören,
denn das Theater ist ausverkauft gewesen, und Sie werden
hundemüde davon, diese langsame Prozession und all die gleich-
gttltigen Gesichter anzuschauen, — na, und ehe nur tausend
Leute aus dem Theater sind, schlafen Sie darüber ein."
„Famos, das scheint mir ein prächtiges Mittel zu sein,"
freute sich Lerr Griesler; „das werde ich gleich heute abend
probieren."
Aber am nächsten Morgen gähnte er noch mehr und sah
noch müder aus als gewöhnlich. „Es ist nichts mit Ihrem
schönen Mittel," erklärte er, „ich bin überhaupt erst gegen
Morgen zum Einschlafen gekommen. Erst ließ sich die Sache
ganz gut an, aber dann hatte ich gar zu störende Nebenvor-
stellungen. Also denken Sie fich: ich stelle mir das alles genau
so vor, wie Sie 's mir beschrieben haben, und die Leute kommen
auch richtig aus dem Theater heraus, und ich werde vom Zu-
sehen auch wirklich schon ganz hübsch müde. Aber dann auf
einmal fällt es mir ein, die Gesichter etwas genauer anzusehn,
und da, hol's der Teufel, erscheinen mir allerlei verdrießliche
Physiognomien. Da kommt der Beamte von der Bezugschein-
stelle an, der mir neulich das Paar Stiefel nicht bewilligt hat,
und dann der Mann, der mir so wenig für mein beschlag-
nahmtes Messing bezahlt hat, und dann mein Krämer, der
jetzt so furchtbar unverschämt ist, und die Milchfrau, die so
frech ist, und noch mehr solche Leute. Wer aber folgt dann?
Denken Sie sich, — da kommt auf einmal der Lloyd George
aus dem Theater, und dann der Clemenceau, und dann der
Wilson, und dann — na, ich will keine Namen nennen, aber
dann kamen ein paar nicht seindliche Politiker, und wie ich
nun alle diese Kerle nach einander sehe, da kriege ich solch eine
Wut, daß ich wieder ganz wach werde, als hätte ich eine ganze
Kanne voll Bohnenkaffee getrunken, den es aber jetzt gar nicht
gibt, über welchen Amstand ich mich auch noch ärgere, so daß
von Einschlafen überhaupt nicht mehr die Rede sein konnte."
Ich überlegte. „Mit dem Theater und den Menschen ist
es also für Sie nichts, Lerr Griesler. Also versuchen Sie es
doch einmal mit unschuldigen Tieren. Stellen Sie sich eine
Wiese vor oder ein Feld und im Lintergrunde einen großen
Stall, auch mit einer ganz kleinen Tür, aus der sie dann ein
Tier nach dem andern herausspazieren lassen, gerade so wie
die Leute aus dem Theater. Aber in diesem Fall werden Sie
gewiß keine störenden Nebenvorstellungen haben und schön
einschlafen."
Lerr Griesler sagte, er würde das tun, aber am nächsten
Morgen konnte er kaum auf die Trambahn klettern, so elend
war er. „Ich habe überhaupt nicht geschlafen," berichtete er.
„Und warum nicht? Ein weites Feld habe ich mir vorgestellt
Entweder — oder!
— „Liasl, entweder du steigst
vder du laßt unsern Wagen hi
aus, daß wir weiter fahren kön
Copyright 1918 by I. F. Schreiber