Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZeiLschrift für Humor und Kuuft ^



^2^2 7

Der Trauerbesuch

Von Alfred Manns

Der Bauer Wiard Farken hakte
mit Weib, Tochter, Magd und dem
Nussen Iwan einen schweren Tag hin-
ter sich. Alle hatten von früh bis spät
aus dem Äexenmoore Torf gegraben.
Als die füns spät um 10 Uhr zu Lause
anlangten, waren sie sehr müde.

Der Viehfütterer, ein sechzehn-
jähriger Iünglina, der aus den Namen
Ocke Rammklotz hörte, wachte ordnungs-
gemäß. Er hatte das Pech gehabt, daß
ihm seit seinen Säuglingsjahren der
Verstand nur zur Lälfte mitgewachsen
war, doch von der guten Äälfte ließ
fich auch nicht viel rühmen.

Alle begaben sich sofort zu den
Schlafstellen; auch der Bauer und
Zaphie, sein Weib, zogen sich zurück.

Während des Auskleidens öffnete
sich einmal die Tür, und Ocke stierte
herein, zog sich aber gleich wieder zu-
rück. Dasselbe Manöver wiederholte
er noch einmal. Ietzt sah es der Bauer
und wollte auf den Burfchen zu. Aber
er war zu müde. Als Zaphie lag,
wollte Wiard ebensalls in den Alko-
ven steigen. Da stürzte Ocke Namm-
klotz herein, reichte dem Bauern einen
Zettel und meldete:

„Was Krischan Puhlmann is, der
Gemeindediener, der war hier, und weil
daß Ihr nich hier wart, hat er sich
einen Zettel ausgerissen und da was
aufgeschrieben, und vorn Zubettgehen
soll ich das dem Farkeubauer geben,
und das hab' ich nu abgewartet und
tu das nu."





-r-.7 <-r


Damit verschwand Ocke.

„Weißt du, Vadder, was ein gutes
Kalb is, das is ein ganz Teil vernünf-
tiger als Ocke," murmelte Zaphie aus
den Kissen.

Farken anwortete nicht. Er war sehr erregt. Er war
ftets erregt, wenn etwas Geschriebenes an ihn kam, erstens
des Außergewöhnlichen wegen, und zweitens, weil es sür
ihn eine Anfirengung bedeutete, zehnmal so schwer wie
Torfgraben.

Fluchend stapfte er hinaus und holte fich die Stall-
laterne, denn daß dieses etwas von Wichtigkeit war, sagte
ihm ein ahnendes Gesühl.

Äeute ging die Sache flink. Nach zehn Minuten hatte
er bereits die zwei Zeilen fertig gelesen.

Und nun liesen die Gesühle verschiedenfter Art Sturm
gegen seine Seele. Die Aeberraschung wurde zuerst abge-
schlagen. Das tiefe Bedauern machte nur Scheinangriff.
Aber Wiard war es seiner Ehre als Mensch schuldig, sich
ihm eine Minute zu stellen. Indessen das Bedauern konnte
nicht standhalten, denn Oetker Slaukopp hatte sich nie durch
die Ausübung der bürgermeisterlichen Tätigkeit zu Gunsten
Farkens Vorzugsrechte aus dessen Mitleid bei seinem mög-
lichen Tode verdient. Als drittes Gefühl endlich stürmte
der Ehrgeiz. Gegen den brachte der Bauer keine Äilss-
völker auf, und es gab eine glatte Kapitulation.

— ,.Wo willst denn noch hin, Bäuerin, mit den
Paketen? Die Post ist doch schon zu."

— „Da geb' ich's hinten herum ab, — der Posthaltsr
hat fchon so viel hinten herum von mrr bekommen."

„Is das wegen den neuen Pastor oder die Gicht von
den Gemeindebullen?" sragte Zaphie scblaftrunken.

Wiard antwortete wieder nicht. Nachdenklich ging er
zum Schapp, holte einen mäcktigen Röhrenhut heraus, der
aussah, als wenn der Kürschner zum Ueberziehen anstatt
Laarfilz den Balg eines Stachelschweines genommen hätte.
Andächtig spuckte der Bauer vielmals aus diesen Äut und
begann ihn zu polieren, ein Verfahren, das der Äut mit
Lohn und dmchschlagendem Erfolg mißachtete.

„Nu is er gut," sagte Farken, in maßloser Bescheidenheit
durch das Ergebnis seiner Tätigkeit vollkommen befriedigt,
„und über Nacht zieht er sich noch besser zurecht von alleine."

Ietzt wandte er sich seinem Weibe zu, das versuchte, sich
erstaunt im Bette aufzusetzen. Wäre sie vollkommen munter
gewesen, so hätte sie den Versuch, sich gegen sechs mit Lühner-
sedern vollgeftopste Bettdecken hochzukämpfen, garnicht ge°
macht. Schließlich kam ihr die Einsicht, und sie legte sich wieder.

„Vadder, laust dir der Affe?"

„Ne, mir nich, sondern den Lut, den muß ich in Ord-
nung haben wegen Oetker Slaukopp sein Totbleiben von
die Sucht."
 
Annotationen