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Meggendorfer-Blätter, Mttnchen o

Kapitulation

Wie ich Detektiv wurde Von C. A. Lennig

Nach mancherlei Jrrfahrten in dem großen Tohuwabohu
des Lebens hatte ich endlich ein Zimmer gefunden, von dem
ich hoffen durfte, daß es mir die so heiß ersehnte Ruhe
und Sammlung gewähren würde, üm mein vielversprechendes
Werk über das Lusten der Maikäfer ungestört vollenden
zu können. Denn wo ich bisher auch noch gewohnt hatte,
überall hatten sich die Dämonen des Lärms in Verbindung
mit den Genien der Mufik an meine Fersen geheftet und
mein Nervensystem allmählich zu einem wirren Knäuel
zuckender, zappelnder Spinnenbeine verwandelt.

Das neue Zimmer, das einen recht freundlichen und
stillen Eindruck machte, lag völlig isoliert am Ende eines
langen Lausganges und hieß das Gartenzimmer. Das
Gartenzimmer hieß es deshalb, weil sein Fenster auf einen
schmalen Lof mündete, in dem zwischen zerfallenen Tonnen
und sonstigem Gerümpel ein melancholischer Lolunderbaum
wucherte und der kiesige Boden mit einem deutlich erkenn-

baren, bräunlichen Graswuchs überzogen war. Das Pseudo-
gärtchen aber machte bei aller Bescheidenheit so sehr den
Eindruck des guten Willens mit der stummen Bitte, fich
über seine dürftigen Schönheiten zu freuen, daß man gern
geneigt war, es so lieb wie möglich zu gewinnen. Gegen-
über dem Fenster besand sich eine hohe Mauer, die den
„Garten" von einem einftöckigen Nachbarhaus schied, von
dem man lediglich das Dach sah, ein Llmstand, der mir
Gewähr bot, daß man auch mir nicht in die Suppenschüfsel
gucken konnte. Nach vorn zu stieß mein Zimmer an eine
Art verwunschenes Kontor, in welchem einige alte Schreiber
saßen, die aber so geräuschlos arbeiteten, daß man nicht
einmal ihre Federn kritzeln hörte. Das ganze obere Stock-
werk wurde von einem Magazin eingenommen, das zur
Lagerung von irgend etwas diente, das mit dem Geschäft
unten in Beziehung stand. And über diesem erst kamen
die Wohnungen der übrigen Lausinsassen, was indessen
für mich ohne Bedeutüng war. Mein neues Zimmer war
somit ein ideales Quartier, und ich gratulierte mir dazu
wie zu einem Laupttreffer in der Lotterie.

And dennoch-! Es gibt eben kein vollkommenes

Glück auf der Welt. Am Morgen, als ich einzog, war mein
Gemüt eine blumige Wiese, gemalt von Ludwig Richter,
und bereits am Mittag waren all die zarten, hoffnungs-
scohen Blümchen geknickt und zerstampft, zertreten und ver°
nichtet. And das durch einen Lund und zwar ein so elendes,
niederträchtiges Wesen, wie nur je eines im Plane der
Schöpfung fich zwecklos umhertrieb. Er befand sich im Neben°
hofe und schien also zu dem damit in Verbindung stehenden
Lause zu gehören. Zu verschiedenen Zeiten am Tage wurde
er von seiner Lerrschaft in diesen hinuntergelassen, offenbac
um dort seine notwendigen Verdauungsspaziergänge zu
machen, was ihm äußerstes Anbehagen zu schaffen schien.
Denn gewiß verbrachte er seine ganze übrige Zeit, wenn
er nicht gerade ein gespicktes Rebhühnchen oder eine delikate
Kalbspastete verzehrte, damit zu, sich auf seidenüberzogenen

— „Nun, gib mir doch das Ländchen! Aber das ist ja
die linke."

— „Laff' ihn nur, Onkel; er soll sich daran gewöhnen. Es
heißt ja: die Deutschen werden in Zukunft alle Lände
brauchen müffen."
 
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