46 Meggendorfer-BLätter, München Nr. !477
Metn Angestelltenrat
rat mich zu tyrannisieren in der
Lage wäre. Jm Gegenteil, ich
putze immer noch selber meine
Stiefel, — haben tu ich nur ein
Paar und die find nicht mehr
sehr gut — und die Aufwaschfrau,
die ihrer hohen Ausgabe, meine
Stube durch ihre bezahlte und
Vormittag zwischen 9 und 10 Ahr
ausgeübte schlampige Gegenwart
für den ganzen Tag traulich zu
gestalten, nur ganz unvollkommen
genügt, kann mir gar nicht mehr
aussässiger werden, wie sie das
schon die ganze Zeit über war.
Eine ebenfalls unrichtige und
deshalb zu bekämpfende Ansicht
ist es aber auch, zu meinen, daß
sich ein Dichter lediglich von der
hoch zu Pegasus anreitenden
Muse küssen lassen muß, um dann
— die Stirne noch feucht vom
Kuß mit genial blickenden Augen
aus dem edelgewölbten Schädel
die Schüttelreime und Gedanken-
splitter nur so aufs Papier zu
schmettern.
Im Gegenteil — ich weiß es besser — seit gestern abend.
Sitze ich da am Schreibtisch, wälze und knete im Phan-
tasiespeicher meines Gehirns eine Idee-eine Idee-
Aber davon will ich ja erzählen.
Also plötzlich entstieg es meinem Tintenfaß, erft fein
und grau, wie lichter Rauch, dann sich trennend und ge-
ftaltend zu putzigen, durchsichtigen Persönchen. Gesichtlein
klein und scharf, wie aus Elfenbein geschnitzt, teils jung von
edler Schönheit und Ruhe, teils hager und runzelig mit
lustigen Augen oder ernstem Blick. Einige schwebten in
rhythmischen Schritten, als gingen sie auf fliegenden Wolken,
andere wieder hüpften, als wären sie im Notenheft auf
einen Stakkatolauf getreten und wieder andere zuckten auf
meinem Schreibtisch hin und her, wie der Blitz — von einer
Seite zur andern. Gewänder trugen sie von verschiedenfter
Mode, von der römischen wallenden Toga an bis zum
Schellenkleid des Narren.
Ich kam gar nicht erst zum Fragen — wer mich da
besuche, denn aus der Masse lösten sich einige — eine Ab-
ordnung, scheinbar zusammengesetzt aus den Vertretern jeg-
licher Art. Die traten vor, trippelten in geschlossener Gruppe
auf das vor mir liegende, immer noch leere Manuskript-
blatt, und dann begann der Erste der Knirpse zu reden,
dünn und zirpend, aber hell klingend und deutlich:
„Verehrter Poetl Wir sind deine Ideen. Seit wir
dir dienen müssen, seit wir zum Erscheinen gezwungen sind,
wenn du uns durch den Geruch ftark gebrauten Kaffees oder
durch den Dampf einer schweren Zigarre beschwörst — seit
dieser Zeit hast du «ns auch schlecht behandelt und uns oft
in unerhörter Weise vergewaltigt.
Waren wir klein, so hast du uns lang gestreckt, waren
wir scharf und beißend wie Essig, dann haft du uns ver-
wässert, waren wir einfach und schlicht, haft du uns mit den
Ornamenten deiner Wortkunft überladen — und waren
wir spannend, dann hast du so viel hinten und vorne um
uns herumgeschrieben, daß jeder Leser unser Geheimnis schon
vom erften Augenblick an merken mußte. Wir wollen bs-
handelt werden, wie es uns zukommt und uns nicht mehr von
de» Dichteru uach Belieben in falsche Formen pressen laffen."
„Ich vertrete die Gedanken-
splitter — gilfte so ein zuckender
Blitz. Wir wollen in Zukunft
kurz und klar auftreten, wie wir
find, wir vrrbitten uns, daß man
— wie das vielen Brüdern pas-
siert ist — aus uns einen ganzen
Aufsatz mit lehrreichem Schluß
drechselt."
»3ch spreche für die Witze,
— sprach einer im Narrenkleid —
es paßt uns nicht mehr, daß du
— sobald auch nur ein einziger
von uns eingefangen war, aus
ihm gleich eine längere Lumoreske
gemacht hast, deren überflüssige
lange Geschichte er als Pointe aus
seinem schmalen Rücken schleppen
mußte."
„Jch und die Meinen — rief
— wir reichen
höchstens für achtzeilige Sinn-
gedichte, und wir schämen uns,
wenn wir immer als vielstrophige
Gedichte auftreten müssen, um die
die poetische Form herumschlot-
tert, wie ein Kleid des Niesen,
das vom Zwerg getragen wird."
„Und wir einfachen Lumoresken — brummte ein fröh-
licher Alter — sind ferner nicht gewillt uns zu abendfüllen-
den Possen und Lustspielen breit treten zu lassen."
Lochverehrte Nedaktion!
So frech haben sich meine Ideen benommen. And so
erging es — wie sie mir mitteilten, um die gleiche Stunde
allen Schriftstellern, außer denen, die überhaupt schon lange
darauf verzichtet haben, mit Ideen zu arbeiten.
Ich bin einfach empört, was sich dieses Gesindel heraus-
nimmt. Einige Zeit noch kceischten und zirpten sie und
schließlich erklärte der erste Sprecher, sie seien auch nicht
mehr gewillt, zu kommen, wenn ich es befehle — um
Mitternacht, oder in aller Frühe. Sie wollen Büroftunden
haben, wie alle Angeftellten, Vormittag von 8—12 Ahr
und Nachmittag von 3—7 Ahr. Llnd endlich möchten sie sich
zunächst einmal alle zwei Wochen ausruhen, nehmen Arlaub
für diese Zeit, und empfehlen mir das Gleiche.
Was soll ich tun? — Wenn die Knirpse nicht da sind,
fällt mir doch nichts ein.
Was sagen Sie zu diesem Vorgehen? Finden Sie es
berechtigt, oder glauben Sie, daß die Leser das tun.
Als ich die Nase aus dem Streusandfaß zog, war der
Spuk verschwunden.
Und nun möchte ich Sie, salls an der Tatsächlichkeit
dieser Begebniffe gezweifelt werden sollte, nicht durch einen
ebenso verbrauchten, wie den aufmerksamen Leser beleidigen-
den Schluß ärgern, indem ich endlich überlegen lächelnd
verrate — das war ja alles nur Traum. Nein — nein —
ich habe die Geschichte erlebt, wirklich und wahrhafttg, —
aber was erlebt denn ein Dichter anderes, denn Träume!
Ferdinand Kahn
Veobachtung
Kellnerin: „Ein sauberer 5>err! Zuerst putzt er mit dem
Sacktuch die Nas, dann die Brille, nachher geht er damit
über die Stiefel, und zuletzt, als ich ihm seine Suppe ge-
bracht, putzt er den Löffel damit aus!"
Wafferkraft
O U
8-
— „Lurra, Karline, es dröppelt, nu
kriegen m'r wieder elektrisch Licht."
ein hübsches Mädel
Metn Angestelltenrat
rat mich zu tyrannisieren in der
Lage wäre. Jm Gegenteil, ich
putze immer noch selber meine
Stiefel, — haben tu ich nur ein
Paar und die find nicht mehr
sehr gut — und die Aufwaschfrau,
die ihrer hohen Ausgabe, meine
Stube durch ihre bezahlte und
Vormittag zwischen 9 und 10 Ahr
ausgeübte schlampige Gegenwart
für den ganzen Tag traulich zu
gestalten, nur ganz unvollkommen
genügt, kann mir gar nicht mehr
aussässiger werden, wie sie das
schon die ganze Zeit über war.
Eine ebenfalls unrichtige und
deshalb zu bekämpfende Ansicht
ist es aber auch, zu meinen, daß
sich ein Dichter lediglich von der
hoch zu Pegasus anreitenden
Muse küssen lassen muß, um dann
— die Stirne noch feucht vom
Kuß mit genial blickenden Augen
aus dem edelgewölbten Schädel
die Schüttelreime und Gedanken-
splitter nur so aufs Papier zu
schmettern.
Im Gegenteil — ich weiß es besser — seit gestern abend.
Sitze ich da am Schreibtisch, wälze und knete im Phan-
tasiespeicher meines Gehirns eine Idee-eine Idee-
Aber davon will ich ja erzählen.
Also plötzlich entstieg es meinem Tintenfaß, erft fein
und grau, wie lichter Rauch, dann sich trennend und ge-
ftaltend zu putzigen, durchsichtigen Persönchen. Gesichtlein
klein und scharf, wie aus Elfenbein geschnitzt, teils jung von
edler Schönheit und Ruhe, teils hager und runzelig mit
lustigen Augen oder ernstem Blick. Einige schwebten in
rhythmischen Schritten, als gingen sie auf fliegenden Wolken,
andere wieder hüpften, als wären sie im Notenheft auf
einen Stakkatolauf getreten und wieder andere zuckten auf
meinem Schreibtisch hin und her, wie der Blitz — von einer
Seite zur andern. Gewänder trugen sie von verschiedenfter
Mode, von der römischen wallenden Toga an bis zum
Schellenkleid des Narren.
Ich kam gar nicht erst zum Fragen — wer mich da
besuche, denn aus der Masse lösten sich einige — eine Ab-
ordnung, scheinbar zusammengesetzt aus den Vertretern jeg-
licher Art. Die traten vor, trippelten in geschlossener Gruppe
auf das vor mir liegende, immer noch leere Manuskript-
blatt, und dann begann der Erste der Knirpse zu reden,
dünn und zirpend, aber hell klingend und deutlich:
„Verehrter Poetl Wir sind deine Ideen. Seit wir
dir dienen müssen, seit wir zum Erscheinen gezwungen sind,
wenn du uns durch den Geruch ftark gebrauten Kaffees oder
durch den Dampf einer schweren Zigarre beschwörst — seit
dieser Zeit hast du «ns auch schlecht behandelt und uns oft
in unerhörter Weise vergewaltigt.
Waren wir klein, so hast du uns lang gestreckt, waren
wir scharf und beißend wie Essig, dann haft du uns ver-
wässert, waren wir einfach und schlicht, haft du uns mit den
Ornamenten deiner Wortkunft überladen — und waren
wir spannend, dann hast du so viel hinten und vorne um
uns herumgeschrieben, daß jeder Leser unser Geheimnis schon
vom erften Augenblick an merken mußte. Wir wollen bs-
handelt werden, wie es uns zukommt und uns nicht mehr von
de» Dichteru uach Belieben in falsche Formen pressen laffen."
„Ich vertrete die Gedanken-
splitter — gilfte so ein zuckender
Blitz. Wir wollen in Zukunft
kurz und klar auftreten, wie wir
find, wir vrrbitten uns, daß man
— wie das vielen Brüdern pas-
siert ist — aus uns einen ganzen
Aufsatz mit lehrreichem Schluß
drechselt."
»3ch spreche für die Witze,
— sprach einer im Narrenkleid —
es paßt uns nicht mehr, daß du
— sobald auch nur ein einziger
von uns eingefangen war, aus
ihm gleich eine längere Lumoreske
gemacht hast, deren überflüssige
lange Geschichte er als Pointe aus
seinem schmalen Rücken schleppen
mußte."
„Jch und die Meinen — rief
— wir reichen
höchstens für achtzeilige Sinn-
gedichte, und wir schämen uns,
wenn wir immer als vielstrophige
Gedichte auftreten müssen, um die
die poetische Form herumschlot-
tert, wie ein Kleid des Niesen,
das vom Zwerg getragen wird."
„Und wir einfachen Lumoresken — brummte ein fröh-
licher Alter — sind ferner nicht gewillt uns zu abendfüllen-
den Possen und Lustspielen breit treten zu lassen."
Lochverehrte Nedaktion!
So frech haben sich meine Ideen benommen. And so
erging es — wie sie mir mitteilten, um die gleiche Stunde
allen Schriftstellern, außer denen, die überhaupt schon lange
darauf verzichtet haben, mit Ideen zu arbeiten.
Ich bin einfach empört, was sich dieses Gesindel heraus-
nimmt. Einige Zeit noch kceischten und zirpten sie und
schließlich erklärte der erste Sprecher, sie seien auch nicht
mehr gewillt, zu kommen, wenn ich es befehle — um
Mitternacht, oder in aller Frühe. Sie wollen Büroftunden
haben, wie alle Angeftellten, Vormittag von 8—12 Ahr
und Nachmittag von 3—7 Ahr. Llnd endlich möchten sie sich
zunächst einmal alle zwei Wochen ausruhen, nehmen Arlaub
für diese Zeit, und empfehlen mir das Gleiche.
Was soll ich tun? — Wenn die Knirpse nicht da sind,
fällt mir doch nichts ein.
Was sagen Sie zu diesem Vorgehen? Finden Sie es
berechtigt, oder glauben Sie, daß die Leser das tun.
Als ich die Nase aus dem Streusandfaß zog, war der
Spuk verschwunden.
Und nun möchte ich Sie, salls an der Tatsächlichkeit
dieser Begebniffe gezweifelt werden sollte, nicht durch einen
ebenso verbrauchten, wie den aufmerksamen Leser beleidigen-
den Schluß ärgern, indem ich endlich überlegen lächelnd
verrate — das war ja alles nur Traum. Nein — nein —
ich habe die Geschichte erlebt, wirklich und wahrhafttg, —
aber was erlebt denn ein Dichter anderes, denn Träume!
Ferdinand Kahn
Veobachtung
Kellnerin: „Ein sauberer 5>err! Zuerst putzt er mit dem
Sacktuch die Nas, dann die Brille, nachher geht er damit
über die Stiefel, und zuletzt, als ich ihm seine Suppe ge-
bracht, putzt er den Löffel damit aus!"
Wafferkraft
O U
8-
— „Lurra, Karline, es dröppelt, nu
kriegen m'r wieder elektrisch Licht."
ein hübsches Mädel