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Zeitschrift für Humor und Kunst 87

Der schäbige Gaft

In eine große Gaststätte feineren Stils
trat an einem Sonntag nachmittag ein Lerr.

Das ganze, geräumige Lokal war noch voll-
ständig leer bis auf einige Damen mittleren
Alters mit schwarzen Schürzen und umge-
hängten Geldtaschen, die verstreut an einzelnen
Tischen saßen und in illustrierten Zeitschristen,

Romanhesten und sonstigen Bildungsschristen
lasen, was als lobenswerte und erfreuliche
Erscheinung zu bezeichnen ift.

Der Äerr setzte fich an einen der leer-
stehenden Tische und blickte sich erwartungsvoll
um. Er hätte gern ein Glas Bier gehabt,
denn er hatte einen gewaltigen Durft. Aber
niemand kam, der ihm ein solches brachte oder
auch nur nach seinem Begehr gefragt hätte.

„Die Kellnerinnen scheinen Ausgang zu
haben, weil es Sonntag ist," dachte er. „Oder
vielleicht find sie krank geworden oder gar ver-
reist. Ob ich wohl mal auf den Tisch klopse?

Vielleicht kommt dann ein anderer dienstbarer
Geist."

Aber als gebildeter Mensch verschmähte
er es, sich auf so lärmhafte Art bemerkbar zu
machen, und so wartete er weiter. Einmal
würde wohl der Zufall jemand herbeiführen.

So verging eine halbe Stunde. Plötzlich
schrak der Gast zusammen. Ein Schatten war
auf seinen Tisch gefallen, und aufblickend sah
er, wie eine der mit Lesen beschäftigten Damen
mit langen, ruhigen Schritten direkt auf ihn
zukam.

„Was kann die Dame von mir wollen?"
dachte er. „Ich kann mich doch nicht erinnern,
daß ich sie kenne. Aber vielleicht geht sie nur
an mir vorüber."

Doch nein, sie blieb an dem Tische des
Gastes stehen und sah ihn mit einem großen,
müden Blick an.

„Guten Tag, Fräulein," stotterte der Lerr verlegen.
„Was verschafft-"

„-winschen?" erwiderte die Dame.

Mißverständnis — „Der Doktor hat mir heute seine Liebe erklärt, Tante."

— „Lm, hat er Praxis?"

— „Ich denke; er machte es wenigstens ganz gut."

„Wie bitte?" fragte der Gast.

„— — winschen?" kam es abermals von den Lippen
der Dame.

wird's doch nichts werden. Die Völker sind doch gar zu verschieden.
Ünser Franzos hat noch am letzten Tag auf unsere Knödel geschimpft."

Ietzt konnte es für den Gast kein Zweifel
mehr sein, er wurde nach seinen Wünschen
gesragt.

„O, Fräulein," sagte er mit leuchtenden
Blicken, „wenn Sie die Güte haben wollten,
mir ein Glas Bier zu besorgen, so würden
Sie mich sehr zu Dank verpflichten."
ibts noch nicht."

„Wie bitte?"

„-bts noch — ch —"

Der etwas schleppendeTonfall ihrer zephyr-
hauchartigen Stimme verhinderte leider ein
sofortiges Verfiehen, weshalb fich der Lerr in
die peinliche Lage versetzt sah, seine Frage zu
wiederholen.

„Bier gibt's noch — ch —," gab jetzt die
Dame mit leichter Lebung im Tone zurück.
„-leicht — affee?"

„Ah! Bier gibtesnoch keins," rief derLerr,
erfreut über den nunmehr ersaßten Sinn des Be-
scheides. „And ob ich Kaffee will, fragen Sie?"
 
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