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Meggendorfer-Blätter, München
Nr. 1486
Die Zetlung
Ein Monat war vorüber. Das ganze Zeitungspersonal
hatte sich durchgestreikt. Morgen mußte unbedingt der sehn-
süchtigst erwartete Lerold erscheinen. Ich hatte die Berg-
arbeiter unterschätzt. Sie sörderten auf einmal nicht mehr,
sie forderten bloß. Nach den Bergarbeitern streikten die
Kohlenlader, dann die Kohlenschieber, dann die Kohlen-
händler, dann die Fuhrleute, die sie bringen sollten. Es
war eine kohlenlose, schreckliche Zeit. Aber einmal mußte
es doch wieder Kohlen geben, das war meine Loffnung.
Meine Loffnung erfüllte sich: Es gab auch wirklich einmal
wieder Kohlen, aber dann gab's kein Papier. llnd als es
wieder Papier gab, gab's keine Druckerschwärze.
Endlich — das erste Quartal war um — endlich ein
Lichtblick: Eine neue Revolution stand bevor! Sie muß,
sie wird eine noch goldenere, eine noch beffere Zeit bringen!
Das ift ja von einer Nevolution selbstverständlich. Brächte
sie nichts Besseres, dann wäre sie ja überflüssig. Wenn
fie mir wenigfiens meine Zeitung wieder brachte! Das
wäre ja schon ein wesentlicher Fortschritt. Gott, bei den
vielen Nevolutionen heute wird man ja mit der Zeit so
anspruchslos. Flugs bestellte ich das zweite Quartal.
Die neue Nevolution brachte fürs erste einen National-
feiertag. Was soll man darüber aufbegehren? Ich meine,
eine Nation, die befiändig arbeitet, darf auch mal einen
Tag feiern. Sie darf ruhig mehrere Tage feiern. Sie hat's
verdient. Das ist meine persönliche Ansicht, die auch die Män-
ner der neuen Revolution teilten. Drum ergänzten sie den
Nationalfeiertag durch einen Generalfireik. Sie hätten ruhig
den Nationalfeiertag in Permanenz erklären können; denn
ein Feiertag ist immer feierlicher als ein Tag, an dem man
bloß nichts tut. Für mich persönlich war's ja gleich, ob meine
Zeitung unter mehr oder minder großer Feierlichkeit ausblieb.
Endlich, endlich nach langer, langer Zeit ging der Gene-
ralstreik auch zu Ende. Zch hatte nicht mehr gerechnet, diesen
Tag zu erleben. Es ist ganz unglaublich, wie zäh' der
Mensch ift. Sollte es mir am Ende meiner Tage noch ver-
gönnt sein, die zweite Nummer meiner Zeitung zu schauen?
Nein, nach dem Generalfireik wurde das Zeitungs-
gebäude militärisch besetzt und die Redaktion als Maschinen-
gewehrnest ausgebaut.
Das konnte ich nicht mehr überleben. Drum habe ich
wenigstens in meinem Testament Kindern und Kindeskindern
empsohlen, keine Zeitung mehr zu abonnieren, da ich doch
endlich wußte, was Pressefreiheit ist. Jef.
— „Verzeihung, würden Sie mir Ihre Land-
granate abtreten? Ich möchte meinem kleinen
Fritz so gerne ein nettes Spielzeug mitbringen."
Die öeutschen Iarben
Kaum ireibt öer Zreunöschaft -ürrer Ast
Gan; schüchtern neue Blüten,
Bricht sie öer Haß in grimmer Hast,
Die Irüchte zu verhüten.
Und heilt Ler Handel hie unö da,
Was Krieg unö Kampf veröarben —
Schon wehrt man in Amerika
Sich gegen öeutsche Zarben.
Dort fleht öer smarte Proöuzent
Um hohe Ginfuhrzölle
Unö wünscht öen -eutschen Konkurrent'
Peompt in öie tiefste Hölle.
Ia — wer sich einst vsr öeutschem Mut
§ühlt in öer Schlacht erblassen,
Der wird noch heut mit heißem Blut
Die öeutschen §arben haffen.
Unö mag sich öort öie Jnöustne
Auch unerreichbar nennen,
Die öeutschen Iarben zwingen sie
— Selbst §arbe zu bekennen.
L.A.
Mai 1919
— „Was machft du?"
— „Ein Frühlingsgedicht; weißt du
mir keinen Reim auf Landgranale?"
— „Fräulein Lilde — wir kennen uns doch aus dem Gartencafö!"
— . Iawohl, da hat Sie Ihre Mama immer mitgenommen, wenn
sie Kränzchen hattr."
Meggendorfer-Blätter, München
Nr. 1486
Die Zetlung
Ein Monat war vorüber. Das ganze Zeitungspersonal
hatte sich durchgestreikt. Morgen mußte unbedingt der sehn-
süchtigst erwartete Lerold erscheinen. Ich hatte die Berg-
arbeiter unterschätzt. Sie sörderten auf einmal nicht mehr,
sie forderten bloß. Nach den Bergarbeitern streikten die
Kohlenlader, dann die Kohlenschieber, dann die Kohlen-
händler, dann die Fuhrleute, die sie bringen sollten. Es
war eine kohlenlose, schreckliche Zeit. Aber einmal mußte
es doch wieder Kohlen geben, das war meine Loffnung.
Meine Loffnung erfüllte sich: Es gab auch wirklich einmal
wieder Kohlen, aber dann gab's kein Papier. llnd als es
wieder Papier gab, gab's keine Druckerschwärze.
Endlich — das erste Quartal war um — endlich ein
Lichtblick: Eine neue Revolution stand bevor! Sie muß,
sie wird eine noch goldenere, eine noch beffere Zeit bringen!
Das ift ja von einer Nevolution selbstverständlich. Brächte
sie nichts Besseres, dann wäre sie ja überflüssig. Wenn
fie mir wenigfiens meine Zeitung wieder brachte! Das
wäre ja schon ein wesentlicher Fortschritt. Gott, bei den
vielen Nevolutionen heute wird man ja mit der Zeit so
anspruchslos. Flugs bestellte ich das zweite Quartal.
Die neue Nevolution brachte fürs erste einen National-
feiertag. Was soll man darüber aufbegehren? Ich meine,
eine Nation, die befiändig arbeitet, darf auch mal einen
Tag feiern. Sie darf ruhig mehrere Tage feiern. Sie hat's
verdient. Das ist meine persönliche Ansicht, die auch die Män-
ner der neuen Revolution teilten. Drum ergänzten sie den
Nationalfeiertag durch einen Generalfireik. Sie hätten ruhig
den Nationalfeiertag in Permanenz erklären können; denn
ein Feiertag ist immer feierlicher als ein Tag, an dem man
bloß nichts tut. Für mich persönlich war's ja gleich, ob meine
Zeitung unter mehr oder minder großer Feierlichkeit ausblieb.
Endlich, endlich nach langer, langer Zeit ging der Gene-
ralstreik auch zu Ende. Zch hatte nicht mehr gerechnet, diesen
Tag zu erleben. Es ist ganz unglaublich, wie zäh' der
Mensch ift. Sollte es mir am Ende meiner Tage noch ver-
gönnt sein, die zweite Nummer meiner Zeitung zu schauen?
Nein, nach dem Generalfireik wurde das Zeitungs-
gebäude militärisch besetzt und die Redaktion als Maschinen-
gewehrnest ausgebaut.
Das konnte ich nicht mehr überleben. Drum habe ich
wenigstens in meinem Testament Kindern und Kindeskindern
empsohlen, keine Zeitung mehr zu abonnieren, da ich doch
endlich wußte, was Pressefreiheit ist. Jef.
— „Verzeihung, würden Sie mir Ihre Land-
granate abtreten? Ich möchte meinem kleinen
Fritz so gerne ein nettes Spielzeug mitbringen."
Die öeutschen Iarben
Kaum ireibt öer Zreunöschaft -ürrer Ast
Gan; schüchtern neue Blüten,
Bricht sie öer Haß in grimmer Hast,
Die Irüchte zu verhüten.
Und heilt Ler Handel hie unö da,
Was Krieg unö Kampf veröarben —
Schon wehrt man in Amerika
Sich gegen öeutsche Zarben.
Dort fleht öer smarte Proöuzent
Um hohe Ginfuhrzölle
Unö wünscht öen -eutschen Konkurrent'
Peompt in öie tiefste Hölle.
Ia — wer sich einst vsr öeutschem Mut
§ühlt in öer Schlacht erblassen,
Der wird noch heut mit heißem Blut
Die öeutschen §arben haffen.
Unö mag sich öort öie Jnöustne
Auch unerreichbar nennen,
Die öeutschen Iarben zwingen sie
— Selbst §arbe zu bekennen.
L.A.
Mai 1919
— „Was machft du?"
— „Ein Frühlingsgedicht; weißt du
mir keinen Reim auf Landgranale?"
— „Fräulein Lilde — wir kennen uns doch aus dem Gartencafö!"
— . Iawohl, da hat Sie Ihre Mama immer mitgenommen, wenn
sie Kränzchen hattr."