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Meggendorfer-Blätter, München

Die gescheiten Huvderln

— „Die zwei Dackerln, die Sie da haben, Lerr Mayer, scheinen

recht gescheite Tierchen zu sein!"

— „Das glaub' ich, wenn ich zum Beispiel sag': ,So, jetzt gehn wir

Gasfi, so kommen's gleich-

-mit meinen Stiefeln daherl"-

Fräulein Ministerpräsidentin

Ich war Steuerbeamter, draußen in irgendeinem ver-
lorenen Provinzfiädtchen. And diente dem Staat ehrlich und
redltch, wie es sich eben für einen Steuerbeamten gehört.
Ich war ein eingefleischter Iunggeselle, ohne Sorgen für
Frau und Familie. Drum waren alle meine Sorgen und
Gedanken auf Steueramt und Staat gerichtet, wie es stch
eben für einen unverheirateten Steuerbeamten gehört. Von
Morgen bts Abend saß ich in meiner Kanzlei über meinen
Steuerlisten, und von Abend bis Morgen saß ich zu Lause
im Lehnstuhl oder lag im Bett und dachte an die Steuer-
listen, träumte von den Steuerlisten. So saß ich über den
Steuerlisten, dachte an die Steuerlisten, träumte von den
Steuerlisten, seit fast vierzig Iahren. Die Steuerlisten er-
setzten mir Familie, Gesellschaft, ste waren die Berkörperung
der Pflicht, des Berufes, ste waren mein Leben.

Da kam die Revolution, fie warf alles um; nur die
Steuerlisten blieben erhalten. Gort sei Dank! Sie waren
das Unerschütterliche, die Grundlage, das Fundament des
Staates. Lerr Kleebauer wurde Ministerpräsident. Ich
diente also Lerrn Kleebauer und meinen Steuerlisten. Die
zweite Revolution kam, sie warf wieder alles um; nur die

Steuerlisten blieben unberührt. Lerr Lolzhuber wurde
Ministerpräfident. Ich diente also Lerrn Lolzhuber
und meinen Steuerlisten. Dann kam die dritte Re-
volution; die stellte alles auf den Kopf, außer den
Steuerlisten. Lerr Grünmaier wurde Ministerpräst-
dent. Ich diente also Lerrn Grünmaier und meinen
Steuerlisten. Bei der fünfundfünfzigsten Revolution
kam Fräulein Säuerling ans Staatsruder. Trotzdem
blieben die Steuerlisten. Ich diente also auch Fräulein
Säuerling und meinen Steuerlisten. Fräulein Säuer-
ling? Der Name kam mir bekannt vor, so wie eine
ganz ferne Erinnerung. Gleich einer alten, längst
verklung'nen Sage ...., fingt Goethe. Wenn mich
meine Erinnerung nicht betrog, war Fräulein Säuer-
ling auch so eine alte Sage. Doch alte Sagen interes-
fieren mich prinzipiell nicht, nur alte Steuerlisten.
Ich ging also über Fräulein Säuerling hinweg zu
meinen Steuerakten über.

Es mochte noch nicht acht Tage sein, daß Fräulein
Säuerling die Zügel der Regierung in ihre sagen-
haften Lände genommen hatte, da erhielt ich ein
amtliches Schreiben mit dem Siegel der Minister-
präfidentin. Also von Fräulein Säuerling. Ich pflege
sonst nicht Beziehungen zu Ministern, auch nicht zu
weiblichen. Ich riß das Schreiben in nervöser Last
auf. Sie find zu einer Audienz bei Fräulein Minister-
präfident Säuerling geladen, hieß es. Was die von
mir will? Ich pflege sonst nicht zu Audienzen geladen
zu werden, am wenigsten zu weiblichen. Die Audienz
stürzte mich in furchtbare Ankosten. Ich brauchte
eine ganze AuSstattung: Besuchsanzug, Besuchshemd,
Besuchsschuhe, Besuchszylinder, BesuchSkrawatte.
Meine ganzen kärglichen Ersparnisse gingen drauf
für die Ministerpräsidentin. Aber die Loffaungen,
die die mintsterielle Einladung in mir erweckte, trösteten
mich: Sie hat was mit dir vor, Fräulein Säuerling,
was Großes, natürlich. Man hat endlich deine Be-
amtentceue erkannt. Deine Gewissenhastigkeit richtig
gewürdigt. Es war Fräulein Säuerling vorbehalten,
dich zu entdecken, nach vierzig Iahren. Du wirst für
deinen Pflichteifer endlich gebührend belohnt, von
Fräulein Säuerling. Du wirst sicher Generalinspektor
über sämtliche Steuerlisten der Republik. Aeber sämt-
liche Steuerlistenl Das höchste Lebensziel, von dem ich kaum
zu träumen wagte, war erreicht! O, du guteS, du liebes,
du süßes Fräulein Säuerlingl Ich ertappte mich alten Lage-
stolz auf Irrwegen. Ich wurde fast meinen Iunggesellen-
prinzipien untreu, aus Liebe zu sämtlichen Steuerlisten.

Ich machte mich auf die Neise nach der Lauptstadt.
In einem der feinsten Lotels fiieg ich ab; als künftiger
Generalinspektor über sämtliche Steuerlisten hat man gewiffe
RepräsentationSpflichten.

Am nächsten Morgen stand ich, klopfenden Lerzens,
im Vorzimmer von Fräulein Säuerling. Punkt 9 Ahr
wurde ich zur Audienz vorgelassen. In einem Rokoko-
Salon, auf einem Rokoko-Seffel, an einem Rokoko-Schreit
tisch, in Rokoko-Perücke thronte eine Dame, selbst Rokokv:
Fräulein Säuerling. Ich machte, dem Milieu angemessen,
einen Rokoko-Kratzfuß. Die Rokoko-Prästdenlin öffnete thr
Mündchen und was herauskam, war — barock:

„So, da bist du also, schöner Tobiasl"

Fräulein Ministerprästdentin schien glänzend über di«
Personalien ihrer Beamten unterrichtet zu sein, sogar
meinen Vornamen wußte fie! And sie sagte: du und schöner
TobiaS! Ich schien ihr engstes Verlrauen zu genießen!
 
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