Zeitschrift für Humor und Kunst
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Eine endlose Geschichte
Von Äans Lösche
Jch hatte eben eine Geistes-
Ichulung und Konzentrationslehre
durchgenommen und darin crfahren,
b>ie überaus wertvoll es fllr den
Schriftsteller sei, sich durch vor-
iätzlich forschende Beachtung ein
*"öglichst umfangreiches Affozia
kionsmaterial zu verschaffen. Denn,
io führte der Verfasser aus, jeder-
^"ann könne in seinen eigenen Reden
oder Schriften nur das wiedergeben,
b>as er auf irgend eine Art felbfi
oinmal geschaut, gehört oder erlebt
habe. Man brauche also nicht nur
Tinte, Feder und Papier zum
Schreiben, sondern eben vor allen
ouch einen Kopf voll eigener Be-
vbachtungen.
Das leuchtete mir ein und ich
üeß keinen Augenblick verstreichen,
weine Beobachtungsfähigkeit zu
schulen. Nachdem ich nach kurzem
^>insehen das Muster unserer Ta-
pete wohl schon zwanzig mal (immer
b>ieder anders) gezeichnet hatte, die
Tröße meines Zimmers erst nach
dem Augenmaß festgestellt, und dann
auf den Knien rutschend mit dem
40 Zentimetcrlineal (wer schenkt
wir mal ein größeres?) nachgemessen
hatte, bei welcher Gelegenheit ich
mir eine Stecknadel ins Schienbein
Irieb, eine Säule samt darauf-
stehender Dantebüste (Dante, bitte
"icht Tante) umwarf, meine Lose
^rrriß und beim Aufstehen mit dem
Kopf gegen den Tisch rannte, um
rndlich festzustellen, daß es 4,50 Meter
iang war, während ich auf 3,49
Dleter geschätzt halte, also nach all
diesen recht befriedigenden Ergebnissen hieß mich mein
Forschertrieb ins Weite wirken. Mit dieser Verlegung
Meines Tätigkeitsfeldes entsprach ich merkwürdigerweise
auch einem innigen Wunsch meiner Wirtin, die mit dem
lYPisch beschränkten Lirn dieser Menschenklasse mein Treiben
sär „meschugge" erklärte, mich abends mit Fliedertee trak-
tierte, „Sie müssen mal schwitzen" und wie gesagt immer
wieder empfahl, „doch ä bißchen an de Luft zu gehn, das
werd schon wieder besser, aber mer muß glet was dagegen
dun."'
Ich übte mich also nun an den Darbietungen der
Etraße, indem ich etwa sekundenlang auf ein Laus sah
Und mit geschlossenen Augen nun die Anzahl der Fenster
feststellte, mir die Einzelheiten eines Ornamenls zu ver-
gegenwärtigen suchte oder dergleichen. Bald kannte ich
Nun den ganzen Straßenzug und wußte schon immer im
Voraus, was kam und konnte die einzelnen Firmenschilder
dor- und rückwärts hersagen. Erklärlick, daß mich die
Gegend anzuöden begann und ich mich mit dem Gedanken
eines Wohnungswechsels vertraut machte.
Da, Ironie meiner Gründlichkeit, entdeckte ich an der
Ladentür eines Zigarrengeschäftes ein höchst merkwürdiges
Schild. Wie scll ich daS nun beschreiben? Also in der
Mitte war ein Adler, oberhalb
dieses waren halbkreisförmig die
Worte: „Fürstlich soundsoscher",
und unterhalb ebenfalls halbkreis-
förmig das Wort: „Loflieferant"
angebracht. Natürlich so einfach
war das Schild nicht, wie ich es
hier erkläre. Bei meinen Versuchen,
es aus dcm Kopfe nachzuzeichnen,
enldeckte ich immer neue, nicht
beobachtete Einzelheiten.
Ich war zehn Tage arbeils-
unfähig. Erstens einmal ob des
Schildes selbst, dann aber, und das
nicht minder erschwerend, ob der
Tatsache, daß ich das Schild über-
haupthatteübersehen können. Denn,
so folgerte ich ganz richtig, wer
weiß, wie viel andere Einzelheiten
ich an anderer Stelle ebenfalls
übersehen halte. Was blieb mir
nun anders übrig, als die ganze
Gegend nun noch einmal, diesmal
aber gründlicher, zu bearbeiten.
Da ich aber diese Tätigkeit lediglich
als Vorstufe fllr schriftstellerische
Arbeiten ansah, jedoch schriftstellern
wollke, da mich mein Ehrgeiz dazu
trieb, mich mal gedruckt zu sehen,
ich jedoch ermeffen konnte, daß es
dieser Art noch lange dauern würde,
ehe ich zur eigentlichen Schrift-
stellerei kommen würde, also auch
noch lange, ehe ich mich gedruckt
sehen würde, mich übcrdies Zweisel
ankamen, ob ich je mir die Gründ-
lichkeit erwerben würde, um mit
ruhigem Gewissen diese Vorstudien
als abgeschlossen ansehn zu dürfen,
nach ehrlicher Selbstprüfung aber
zu einem verneinenden Ergebnis
gelangte, nunmehr abcr sich zu der
niederdrückenden Scham, irgendelwas nicht leisten zu können,
auch noch die Reue gesellte, kostbare Zeit und Arbeitskraft
solange vergeblich geopfert zu haben (lesen Sie diesen Satz
nocheinmal, ich habe ihn das erstemal auch nicht gleich ver-
standen), also nach dieser logischen Gedankenkette legte sich
erst einmal ein linder Nebel auf mein Lirn und ich war,
wie schon gesagt, arbeitsunfähig. Ein von keinerlei Sach-
kenntnis angekränktes Gemüt würde nun entscheiden: so
lassen Sie doch in Gottes Namen den ganzen Beobachtungs-
krcmpel fallen und leben Sie ihr oltes Leben. Ich hoffe,
daß Sie sich dieser Erkenntnis nicht anschließen, sonst müßte
ich Ihnen in Psychologie eine 5 geben. Denn Sie müssen
wissen, wenn nicht aus eigener Erfahrung, dann vom Lören-
sagen, — nein Sie müssen das unbedingt wissen, sonst legen
Sie augenblicklich das Blatt weg und überlassen es intel-
ligenteren Lesern, — also Sie müssen wiffen, daß sich der
Stoff an seinen Peinigern, dem Menschen also, stets da-
durch rächt, daß er ihm in dem Augenblick entgleitet, da
der Mensch nach dem Stoff sucht; indem er aber den Menschen
verfolgt, sobald diesem daran gelegen ist, den Stoff nun
! seinerseits los zu werden. Also Verfolgungswahnsinn.
So gescheit wie Sie war ich natürlich auch. Als ich
knach meiner Wiederherfiellung an dem bewußten Schild
Persönliche Auffaffung
— „Der hat's geschafft, — froh kann er sein."
— „Roch nicht, — erst muß er sich gehörig
abkühlen, eh' er was trinken darf."