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Zeitschrift für Humor und Kunfl 39

Ane endlose Geschichte

vvrüberkam, habe ich einfach nicht hin-
gesehen. Beim zweitenmal mußte ich
schon ein Lied Pfeifen, um meinen Geist
gewaltsam abzulenken. Beim dritten-
Mal lutschte ich außerdem noch ein
Bonbon, um gleich zwei Sinne auf ein-
mal zu beschäftigen, hoffend, die restie-
rende Kraft würde nicht ausreichen, die
andereu Sinne zu betätigen. Schließlich
habe ich gepfiffen, ein Bonbon gelutscht,
mir ein Riechfläschchen unter die Nase
gehalten, mich in den Arm gezwickt und
mir außerdem noch die Augen zugehalten.

Amsonst, umsonst, umsooonstl

Können Sie das ermessen? Wo ich
ging und stand, das Schild kam mit, ob
ich mich schweißgebadet in schlaflosen
Nächten im Traume wälzte, oder irren
Auges mein Zimmer durchraste, ob ich
weinend mein Schicksal anflehte, oder
wildaufbäumend mich zur Wehr setzte,
das Schild war da, das Schild war
da, das Schild war da! Es guckte mir
über dte Achseln, es blinzelte mir aus
iedem Schaufenster, jedem Buch, jeder
Zeitung entgegen. Was immer ich in
die Land nahm, und mochte es auch der
harmloseste Gegenstand sein, in Sekunden wandelte es sich
zum Schilde des Loflieferanten. Jch wand mich in Krämpfen,
war am Verenden.

Da sagte mir ein Freund, wenn er frühmorgens ver-
katert mit einem unüberwindlichen Ekel vor allem Alkohol
begabt einherampele, könne er sick leicht dadurch heilen, daß
er ungeachtek allen Ekels, zwei Schoppen Bier trivke. Er
"ehme an, daß das schließlich auch das Beste für mich sei,
dtesen Verfolgungswahnfinn mit dem Objekt der Verfolgung
iu bekämpfen, denn nach meiner eigenen Erkenntnis müffe
doch dann, da ich den Stoff suche, dieser mir zu entfliehen
trachten und ich sei ihn los. Meinen schüchternen Einwand,
daß doch der Erfolg derselbe bleiben werde, da ich doch
dann zweifellos mit der gleichen Verbiffenheit, mit der ich
Ützt dem Stoff zu entfliehen gedenke, diesen nun zu erreichen
streben würde, wies er mit dem lröstlichen Linweis ab,
manche Menschen gingen daran zu Grunde. So wenig

Der Angstmeier

alt is. Nacha is das schlimmste.

— „I lies a Zeitung überhaupts nur
noch, wenn s' scho' vierzehn Tag'
was drin steht, allweil scho' vorbei."

aussichtsreich mir das nun wieder schien, entschloß ich mich
doch den Rat meines Freundes zu befolgen.

Jch begann also wieder das Schild sekundenlang zu
betrachten und suchte dann, aus dem Kopf das Geschaute
möglichst wahrheitsgetreu zu zeichnen. Man glaubt gar
nicht, wie vielgestaltig so ein Schild ist. Der erste Versuch
stand überhaupt außerhalb jeder Kritik. Beim zweiten
halte ich die Umrandung vergessen, dann wieder waren die
Buchstaben falsch und so ging das weiter. Endlich war
ich so weit, daß ich auch bei genauestem Linsehen einen
Unterschied zwischen meiner Zeichnung und dem Vorbild
nicht mehr wahrnehmen konnte. Ein ungeahntes Glücks-
gefühl überkommt mich. Schon will ich mich befriedigt ab-
wenden, endgültig mit dem Problem „Schild" fertig, da
gewahre ich etwas höchst Merkwürdiges. Der Adler auf
dem Schild besteht aus ei^em Bruststück, aus dem die
Federn und der übrige Zierat gewissermaßen herauswachsen.

Das Bruststück selbst trägt nun ebenfalls eine
mystische Zeichnung. Beim sekundenlangen
Linsehen war mir diese als ein unregelmäßig
gezackter Stern erschienen. Nachdem ich jetzt
nochmals eingehend vergleiche, gewahre ich,
daß die Zeichnung in Wirklichkeit gar kein
Stern, sondern eine Miniaturabbildung des
ganzen Wappens an sich ist. Also im Wappen
nocheinmal dasselbe Wappen. Noch ahne ich
Tor nichts von der unendlichen Tragik des
Geschehens. Wohlaemut entferne ich vielmehr
von meinem Reißblock das Blatt mit dem
beinahe vollendeten Schild und gehe in dem
frohen Bewußtsein, nun aber alles erfaßt zu
haben, daran, das Schild nun ganz gewiß zum
letzten Male zu zeichnen. Wahrheitsgetreu
strichle ich nun mit Lupe und Zirkel in das
Bruststück des Wappens nun nocheinmal das-
selbe Wappen, eben nur viel kleiner. Beinahe
bin ich damit zu Ende, da stockt mein Stift.
 
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