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52 Meggendorfer-Blätter, München

— „Wie ein die Fremden anschau'n — die
prüsen einen — auf SlaÜ und Lühnerhof."

Auf Herz und Nieren

Mein Lleberdrama ^

In Mailand ist unlängst cin futuristisches Drama von
Marinetti aufgeführt worden, das der Gipfel aller Zukunfts-
kunst sein soll. Es ist ein Zusammensetz-Drama, weil es
aus dreizehn verschiedenen Stücken befteht, die alle gleich-
zeilig gespiell werden. Das Wesen des neuen Dramas ist
die Verlebendigung der Metapher, die Dramatifierung der
sprichwörtlichen Redensart. So ist eines der Glanzstücke
des dramatischen Mailänder Allerleis die Dramatifierung
des AuSdruckes: Sie verschlingt den Liebhaber mit den
Augen. Marinetti hat es sich nicht entgehen lassen, diese
amüsante Art des Verschlingens in allen Einzelheiten auf
der Bühne zur Darstellung zu bringen.

Der Ruhm Marinettis hat mich selbstverständlich nicht
schlafen lassen. Jch wollte der erste sein, der die deutschen
Redensarten dramatisierte. Ich habe es erreicht, niemand
ist mir zuvorgekommen. Das fertige Drama sandte ich an
die Theater in Berlin, München, Dresden, Lamburg, usw.
usw. und zuletzt auch nach Neupomuckl. Es kam auch von
Neupomuckl zurück. Die deutschen Theater sind noch nicht
reis für meine Kunst. Aber da ich nicht möchte, daß das
deulsche Volk um den Genuß meincs Dramas käme — das
deutsche Volk, deß bin ich gewiß, möchte das selbst nicht —
so veröffentliche ich nachstehend eine kurze Inhaltsangabe,
die hoffentlich lang genug ist, die Schönheiten meines Meister-
werkes wenigstens schwach ahnen zu lassen.

Sie möchten vielleicht, liebcr Leser, den Titel meines
Dramas wissen. Es ist auch in dieser Linficht ganz modern:
es hat keinen.

Die Titel find doch bekanntlich abgeschafft. Die Personen
meines Dramas stnd: „Ich" — Bescheidenheit ist in der
neuen Kunst durchaus nicht angebracht — also „ich", „er"
und „sie".

Das Drama beginnt damit, daß „ste" auf einer Bank
sitzt und „er" vor ihr schwer arbeitet, Grund aushebt, Stall-
gebäude aufführt, im Schweiße seines Angestchts einen Mist-
platz anlegt, kurz „er" macht ihr den Lof. „Sie" scheint
seiner Werbung nicht abgeneigt zu sein, was man daraus
schließen kann, daß „sie" sich eine Mütze aufsetzt, „ste" will
also unter die Laube kommen. „Ich" sehe vom Lintergrund
aus zu. Man hat mir Kohlen hereingebracht, auf denen
„ich" sitze um anzudeuten, daß mir die Sache sehr peinlich
ist. „Ich" klappe andauernd meinen Mund hungrig auf
und zu. „Sie" soll daran erkennen, daß „ich" sie vor Liebe
fceffen möchte. „Er" ist ein ganz widerlicher Geselle, auf
dem Kopf trägt er allerlei Grllnkram: „er" ist nämlich ein
bemoostes Laupt; aus dem Mund steht ihm ein Stück Eisen
heraus: „er" hat einen Ladestock verschluckt. Wie blödstnnig
spielt „er" beständig an den Fingern der einen Land, damit
gibt „er" selbst zu, daß „er" bloß bis fünf zählen kann.
Außerdem siht etwas Menschenähnliches auf seinem Rücken;

Fortseyung auf Seite 54
 
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