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130 Meggendorfer-Blätter, München


— „Geschichtszahlen kann man fich einsagen lassen — aber seine
politische rleberzeugung muß jeder selbst auswendig lernenl"

Die Verlobungszeitnug

Mein Freund Theodor muß immer etwas gründen.
Ist es keine Gesellschaft zur Verwertung von Fischgeräten,
so ist es ein Konservatorium für altchinefische Musik (dessen
Direktor er dann natürlich ist). Er stolpert förmlich von
einer Gründung in die andere. Wo ein gewöhnlicher
Mensch an nichts böses denkt, da steht er Probleme und
muß irgend etwas gründen.

Seine letzte Schöpfung war die „Pnafog" gewesen,
(Paraffin - Nasen - Form-
Gesellschaft), eine Gesell-
schaft, die es sich zur Auf-
gabe gemacht hatte, korri-
gierte Nasen, die durch
irgend einen Fehler in
der Zusammensetzung des
Paraffins zu weich und
jeden Morgen deformiert
waren, täglich vermittels
bestimmter Instrumente
in eine individuelle Form
zu bringen. Das Anter-
nehmen ging übrigens
ein, weil es — begreif-
licherweise — an Kunden
mangelte.

Ietzt hatte er mich
breitgeschlagen, mich an
seiner neuesten Gründung
zu beteiligen. Ich hatte
einmal ja gesagt und
wollte nicht wieder zurück-
treten. So gründeten
wir also die Verlobungs-
zeitung, eine Zeitschrift,

die wöchentlich erschien und ein Verzeichnis aller im Deutschen
Reiche stattgehabten Verlobungen brachte, hauptsächlich
aber die löbliche Absicht verfolgte, möglichst viele Leute zu
diesem „Schritt" zu bewegen.

Theodor hatte sich mit dem Reichsamt des Innern in
Verbindung geseht und stand mit der Abteilung „Bevölke-
rungsvorgänge und Nachwuchs" in regem Briefwechsel.
Er hoffte, durch Vermittlung des Geheimrats Süßkind
staatliche Llnterstützung zu erlangen, weil, wie er sagte, die Ver-

lobungszeitung eine emi-
nent patriotische Tat sei.

Wir mieteten also eine
Riesenwohnung, hatten
eine Anzahl von Ange-
stellten, ein Privatkontor
für Theodor usw., aber
die Verlobungszeitung
gtng schlecht, sehr schlecht.

Alle Reklame, alle
Aufmachung half nichts.
Man durfte fich nicht
täuschen: nach einem ersten
Anlauf, der zu den
schönsten Loffnungen be-
rechtigte und mit einem
Sektfrühstück gefeiert
wurde, war die Zahl
der Abonnenten erheblich
zurückgegangen. Nach 8
Wochen hatten wir noch
15, Elsaß-Lothringen —
wo überhaupt niemand
unser Organ zu kennen
schien — nicht mitge-
rechnet.

— „Daß Sie bei dera Wärm so ei'gwickelt san?"

— „Mir derfa net anders geh', dös is unser Amtstracht!"

Lopyright 1919 by I. F. Schreibrr
 
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