164 <SSS<^(ID<II)(^> (IÜ)(II) (II> Meggendorfer-Blätter, München <D
Meine Sommerreise
Ich wollte eine Sommerreise machen. Aber ich möchte
nicht einen Augenblick den Verdacht aufkommen lassen, daß
ich ein Feigling sei. Nein, ich wollte nicht nur, ich habe
das Gefährlichste, Abenteuerlichfie, Verwegenste gewagt,
das heute ein Mensch wagen kann, ich wagte eine Sommer-
reise. Wenn in früheren, sagenhaften Zeiten jemand auS-
zog, einen Drachen oder sonfiiges Angetier zu erlegen, so
meinte er wunder was er da vollbringen würde. Aber so
ein Kamps mtt dem Drachen war die reinste Kinderei. Der
Drache gab, wenn er auch noch so zäh war, einfach ein-
mal nach, weil er nicht der Dümmere sein wollte, und ließ
sich totschlagen. Aber bei den Kämpfen, die heute einer auf
einer Reise zu bestehen hat, zieht er auf jeden Fall den Kür-
zeren. Den Drachen von heute erlegt er nimmermehr. Im
Gegenteil, er darf froh sein, wenn er nicht selbst erlegt wird.
Also, ich machte eine Reise, absolut nicht weit — Sie
würden mich auslachen, wenn ich Jhnen den Ort nennen
würde. Sie haben früher dorthin Ihre Nachmittagsaus-
flüge gemacht — aber man muß hcutzutage ungeheuer vor-
fichtig sein; man weiß nie, ob man selbst von einem solchen
Ort sein Lebtag lang noch zurückkehrt. Zu dieser Reise
brauchte ich selbstverfiändlich eine besondere amtlicke Er-
laubnis. Früher gab es Kinderbillette, damit konnte jedes
Kind obne besondere Erlaubnis um die ganze Welt fahren;
heute kann man noch so erwachsen sein — ich habe es in
dieser Linsicht zum höchstmöglichen Grade gcbracht, wie ich
befiimmt versichern kann — man muß trotzdem erst um Er-
laubnis fragen, ob man überhaupt fahren darf. Der Staat
läßt sich selbstverständlich jede Erlaubnis, die er gibt, be-
zahlen, umsonst tut der Staat bekanntlich nichts. Wenn
ich alles, was sich die Leute mir gegenüber erlaubt haben,
bezahlt bekommen hätte, wäre ich Millionär.
Also, ich ging zu dem Büro, das die Erlaubnis zum
Reisen erteilt. Was man mir da für Fragen stelltel
Ich kam mir vor wie ein
richtiger Schwerverbrecher
beim Kreuzverhör. Das
Verhör dauerte zwei Stun-
den, ich bin aber trotzdem
ohne Verurteilung davon
gekvmmen. Wie durch ein
Wunderl Ich hätte, ob-
wohl ich von jeher rosigster
Optimist war, so etwas
nicht im Traum zu hoffen
gewagt. Auf fünf Iahre
hatte ich gerechnet. Wohl-
verstanden, nicht auf fünf
Iahre Reiseerlaubnis.
Wenn einem zwei Stunden
ununterbrocken Fragen ge-
stellt werden, da kann es
leicht passieren, daß einem
eine Antwort entschlüpft,die
strafbar ist. Ich atmete direkt
auf, als mir der Beamte am
Schluß, endlich am Schluß
erklärte: „Es kostet drei
Mark." Auf eine so gelinde
Geldstrafe halte ich wirklich
nicht mehr gerechnet.
Nun hatte ich die Reisc-
erlaubnis. Wenn man sonst
im Lebenleine Erlaubnis erhält, dann kann man das Er-
laubte tm Allgemeinen tun. Beim Staat ist's aber anders.
Wenn Sie von dem eine Erlaubnis haben, dann können
Sie es zwar auch tun, aber dann stellt sich gewöhnlich erst
heraus, daß es überhaupt nicht möglich^ist. Geben Sie
z. B. mit Ihrem Erlaubnisschein zum Bahnhok, um eine
Fahrkarte zu lösen, so kommen Sie bestimmt zu spät. Be-
ständig finden Sie den Schalter geschlossen, es ist eben
auch da wie überall: Alles ausverkauft. Abcr mit der Zeit
wird man klüger - der einzige Trost, der uns auf dieser
Erde geblieben ist — man kommt immer früher zum Schal-
ter, einen Tag vor Abgang des Zuges, zwei Tage, drei,
eine Woche, vierzehn Tage, einmal, wenn man ganz un-
ermüdlich und hartnäckig ist, hat man doch noch Ausficht,
ein Billett zu bekommen. Ich war am ersten Tag meines
vierwöchigen Arlaubes zum Bahnhof gegangen und am
letzten habe ich es schon bekommen. Ich mußte um Nach-
urlaub bitten, weil.meine Gesundheit durch den vierwöchigen
Aufenthalt an einer solch ungesunden Stätte bedenklich ge-
litten hatte. Ich erhieltiden Nachurlaub, konnte also, wenn's
gut ging, meine Fahrkarte noch in diesem Iahre verwenden.
Durch den Kampf um das Billett war ich nun schon ge-
witzigt. Ich hatte mich an den Bahnhofportier gewandt.
der mir einen sehr brauchbaren Rat erteilte: „Wenn Sie
übermorgen früh 6 !lhr 20 reisen, dann kommen Sie mor-
gen früh 6 Uhr 20, gleich wenn der Zug ausgefahren ist,
dann finden Sie auf dem Bahnsteig möglicherweise noch
einen Stehplatz. Aber diesen Platz müffen Sie unbedingt
behauptenl" Ich fand mich also vierundzwanzig Stunden
vor Abgang des Zuges ein. Ick erspähte noch ein Plätz-
chen zwischen den'Lamsterkörben zweier Damen, wo ich
mich zur Behauptung des Platzes regelrecht versckanzte.
Der freundliche Portier half mir dabei, er stellte mir in
AuSstcht, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach zu furchtbaren
Kämpfen kommen würde. Ich erwiderte ibm stolz: „Ich bin
an der Rawa gewesen, vor Tolmein, an der Somme,
in Flandernl* Er meinle
verächtlich: „Das beweist
gar nichts! Lier hat schon
mancher das Feld geräumt,
der sein Leben lang'nichts
als Weltkriege geführt hat."
Die Aussicht auf so schwere
Kämpfe veranlaßte mich,
mich nach Bundesgenossen
umzusehin. Ich suchte'mit
den, hamsternden Damen
eine Koalition einzufädeln.
Die waren gewandte Poli-
likerinnen, sie wollten fich
erst über meine Qualitäten
als Bundesgenosse ver-
gewissern, bevor sie mit mir
eineAllianzschloffen: „La-
ben Sie Brechwerkzeuge
mitgebracht?"
„!lm Gottes willen, ich
bin doch ein friedlicher,
ehrenwerter Bürger, habe
nicht einmal n och im Traum
einen Einbruch verübt!"
„Wie wollen Sie dann
die Wagentür aufsprengen?
Laben Sie wenigstens ei-
nen Eispickel?"
Meine Sommerreise
Ich wollte eine Sommerreise machen. Aber ich möchte
nicht einen Augenblick den Verdacht aufkommen lassen, daß
ich ein Feigling sei. Nein, ich wollte nicht nur, ich habe
das Gefährlichste, Abenteuerlichfie, Verwegenste gewagt,
das heute ein Mensch wagen kann, ich wagte eine Sommer-
reise. Wenn in früheren, sagenhaften Zeiten jemand auS-
zog, einen Drachen oder sonfiiges Angetier zu erlegen, so
meinte er wunder was er da vollbringen würde. Aber so
ein Kamps mtt dem Drachen war die reinste Kinderei. Der
Drache gab, wenn er auch noch so zäh war, einfach ein-
mal nach, weil er nicht der Dümmere sein wollte, und ließ
sich totschlagen. Aber bei den Kämpfen, die heute einer auf
einer Reise zu bestehen hat, zieht er auf jeden Fall den Kür-
zeren. Den Drachen von heute erlegt er nimmermehr. Im
Gegenteil, er darf froh sein, wenn er nicht selbst erlegt wird.
Also, ich machte eine Reise, absolut nicht weit — Sie
würden mich auslachen, wenn ich Jhnen den Ort nennen
würde. Sie haben früher dorthin Ihre Nachmittagsaus-
flüge gemacht — aber man muß hcutzutage ungeheuer vor-
fichtig sein; man weiß nie, ob man selbst von einem solchen
Ort sein Lebtag lang noch zurückkehrt. Zu dieser Reise
brauchte ich selbstverfiändlich eine besondere amtlicke Er-
laubnis. Früher gab es Kinderbillette, damit konnte jedes
Kind obne besondere Erlaubnis um die ganze Welt fahren;
heute kann man noch so erwachsen sein — ich habe es in
dieser Linsicht zum höchstmöglichen Grade gcbracht, wie ich
befiimmt versichern kann — man muß trotzdem erst um Er-
laubnis fragen, ob man überhaupt fahren darf. Der Staat
läßt sich selbstverständlich jede Erlaubnis, die er gibt, be-
zahlen, umsonst tut der Staat bekanntlich nichts. Wenn
ich alles, was sich die Leute mir gegenüber erlaubt haben,
bezahlt bekommen hätte, wäre ich Millionär.
Also, ich ging zu dem Büro, das die Erlaubnis zum
Reisen erteilt. Was man mir da für Fragen stelltel
Ich kam mir vor wie ein
richtiger Schwerverbrecher
beim Kreuzverhör. Das
Verhör dauerte zwei Stun-
den, ich bin aber trotzdem
ohne Verurteilung davon
gekvmmen. Wie durch ein
Wunderl Ich hätte, ob-
wohl ich von jeher rosigster
Optimist war, so etwas
nicht im Traum zu hoffen
gewagt. Auf fünf Iahre
hatte ich gerechnet. Wohl-
verstanden, nicht auf fünf
Iahre Reiseerlaubnis.
Wenn einem zwei Stunden
ununterbrocken Fragen ge-
stellt werden, da kann es
leicht passieren, daß einem
eine Antwort entschlüpft,die
strafbar ist. Ich atmete direkt
auf, als mir der Beamte am
Schluß, endlich am Schluß
erklärte: „Es kostet drei
Mark." Auf eine so gelinde
Geldstrafe halte ich wirklich
nicht mehr gerechnet.
Nun hatte ich die Reisc-
erlaubnis. Wenn man sonst
im Lebenleine Erlaubnis erhält, dann kann man das Er-
laubte tm Allgemeinen tun. Beim Staat ist's aber anders.
Wenn Sie von dem eine Erlaubnis haben, dann können
Sie es zwar auch tun, aber dann stellt sich gewöhnlich erst
heraus, daß es überhaupt nicht möglich^ist. Geben Sie
z. B. mit Ihrem Erlaubnisschein zum Bahnhok, um eine
Fahrkarte zu lösen, so kommen Sie bestimmt zu spät. Be-
ständig finden Sie den Schalter geschlossen, es ist eben
auch da wie überall: Alles ausverkauft. Abcr mit der Zeit
wird man klüger - der einzige Trost, der uns auf dieser
Erde geblieben ist — man kommt immer früher zum Schal-
ter, einen Tag vor Abgang des Zuges, zwei Tage, drei,
eine Woche, vierzehn Tage, einmal, wenn man ganz un-
ermüdlich und hartnäckig ist, hat man doch noch Ausficht,
ein Billett zu bekommen. Ich war am ersten Tag meines
vierwöchigen Arlaubes zum Bahnhof gegangen und am
letzten habe ich es schon bekommen. Ich mußte um Nach-
urlaub bitten, weil.meine Gesundheit durch den vierwöchigen
Aufenthalt an einer solch ungesunden Stätte bedenklich ge-
litten hatte. Ich erhieltiden Nachurlaub, konnte also, wenn's
gut ging, meine Fahrkarte noch in diesem Iahre verwenden.
Durch den Kampf um das Billett war ich nun schon ge-
witzigt. Ich hatte mich an den Bahnhofportier gewandt.
der mir einen sehr brauchbaren Rat erteilte: „Wenn Sie
übermorgen früh 6 !lhr 20 reisen, dann kommen Sie mor-
gen früh 6 Uhr 20, gleich wenn der Zug ausgefahren ist,
dann finden Sie auf dem Bahnsteig möglicherweise noch
einen Stehplatz. Aber diesen Platz müffen Sie unbedingt
behauptenl" Ich fand mich also vierundzwanzig Stunden
vor Abgang des Zuges ein. Ick erspähte noch ein Plätz-
chen zwischen den'Lamsterkörben zweier Damen, wo ich
mich zur Behauptung des Platzes regelrecht versckanzte.
Der freundliche Portier half mir dabei, er stellte mir in
AuSstcht, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach zu furchtbaren
Kämpfen kommen würde. Ich erwiderte ibm stolz: „Ich bin
an der Rawa gewesen, vor Tolmein, an der Somme,
in Flandernl* Er meinle
verächtlich: „Das beweist
gar nichts! Lier hat schon
mancher das Feld geräumt,
der sein Leben lang'nichts
als Weltkriege geführt hat."
Die Aussicht auf so schwere
Kämpfe veranlaßte mich,
mich nach Bundesgenossen
umzusehin. Ich suchte'mit
den, hamsternden Damen
eine Koalition einzufädeln.
Die waren gewandte Poli-
likerinnen, sie wollten fich
erst über meine Qualitäten
als Bundesgenosse ver-
gewissern, bevor sie mit mir
eineAllianzschloffen: „La-
ben Sie Brechwerkzeuge
mitgebracht?"
„!lm Gottes willen, ich
bin doch ein friedlicher,
ehrenwerter Bürger, habe
nicht einmal n och im Traum
einen Einbruch verübt!"
„Wie wollen Sie dann
die Wagentür aufsprengen?
Laben Sie wenigstens ei-
nen Eispickel?"