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Der tausendste Zahn

mit Besitzgier behaftrten Seele, noch etwas zu vergrößern,
setzte «r ein bißchen hämisch hinzu: „Ja, der tausendste
wird sich freuen l"

Das ärgerte Lerrn Dotschke natürlich, und was er
sonst vielleicht gar nicht gemerkt hätte, das sah er jetzt in
seinem Aerger, nämlich eine Lücke in der von dem Dentisten
geplanten Prämienveranstaltung „Der tausendste? Es
kann ja auch die tausendste sein. Was soll eine Dame mit
einer Krawattennadel?"

Ewald August Knaus lächelte überlegen, legte die Kra-
wattennadel wieder zurück und holte dafür ein dünnes,
goldenes Kettenarmband hervor. „Bitte — auch dieser Fall
ist vorgesehen."

„Wenn's aber ein Kind ist?" fragte Lerr Dotschke,
der sich noch ntcht crgeben wollte.

„O, das ändert doch gar nichts," erklärte der Zahn-
künstler. „Ein Kind kann doch auch nur männlichen oder
weiblichen Geschlechts sein; es wird heranwachsen und später
einmal eive Krawattennadel oder ein Armband sehr gut ge-
brauchen können."

Lerr Dotschte war geschlagen. Freilich wäre ihm noch
ein Einwand geblieben, der nämlich, daß am Ende der Pa-
tient mit dem tausendsten, von Knaus «»trahierten Zahn
ein Mensch seia könnte, der sich auf solche Schenkereien gar
nicht einlassen und das Präsent kühl zurückweisen, wie auch
seine Schuldigkeit für die geleistete Arbeit würde bezahlen
wollen. Aber auf diesen Gedanken kam Dotschke nicht, solch
einen Menschen hätte er sich überhaupt gar nicht vorstellen
können, und eben deshalb verließ er nun die Stätte der
Beseitigung wie auch des Schaffens von Schmerzen — denn
wenn Lerr Knaus einmal die Bohrmaschine benutzan mußte,
war er sehr forsch — im furchtbarsten Aerger. Aeber wen
oder worüber er sich eigentlich ärgerte, hätte er gar nicht
genau sagen können; es kam so viel zusammen. ErstenS

einmal: der verdammte Zahn I Lätte der nicht etwas später
anfangen können, weh zu tun? Dann er selber! Warum
hatte er den Schmerz nicht etwas länger ertragen? And
Knaus, der Dentist und amerikanische Zahnkünstler I Lätte
der Kerl seine Praxis nicht um einen Tag oder um zwei
früher eröffaen können? Dann wäre doch wohl der tau-
sendste Zahn der gewesen, den er, Dotschke, eben bei dem
Zahnreißer hatte liegen laffen, — was das erste Mal ge-
wesen war, daß er etwas ihm Gehörendes hatte liegen
lassen. Ia, und dann hätte er jetzt nicht nur nicht fünf
Mark bezahlen müssen. nein, er hätte obendrein noch eine
ganz hübsche Krawattennadel geschenkt gekriegt, die er ent-
weder hätte tragen oder, was er wohl vorgezogen HStte,
so gut wie möglich hälte verkaufen können. Wer die nun
wohl kriegen würde? Ia, der Glückliche hatte noch gar
keine Ahnung davon.

Lalt! Lerr Dotschke blieb einen Augenblick auf der
Straße fiehn, als wenn er festgehalten worden wäre, waS
auch gewissermaßen der Fall war, denn ein Gedanke hatte
ihn gepackt. Wie lag denn die Sache eigentlich? Wer sich
jetzt einen Zahn ziehen lassen mußte, der konnte es umsonst
haben und außerdem einen Wertgegenstand geschenkt be-
kommen, — und das beides zusammen bedeutete einen Ver-
dienst, ein Geschäft. Er selbst, Dotschke, konnte das Geschäft
zwar nicht machen, aber er wußte um seine Möglichkeit,
und wenn jemand von solch einer Möglichkeit weiß, dann
kann er, falls er nichk gerade ein Lornochse ist, dieses
Wissen gewinnbringend verwerten. Der Gewinn wtrd dann
Provifion genannt.

Lerr Dotschke nickte: er wußte, was er zu tun hatte.
And da hier Aufschub nicht angezeigt war, ging er sofort
zu Schulz L Krause, die aber nur eine Person waren näm-
lich Albert Meuselmann, denn der war der Inhaber der
Firma Schulz L Krause. Meuselmann war ein Geschäfts-
freund Dolschkes und verdiente gerade so gern wie dieser.
 
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