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Z Meggendorfer-Blätter, München :<

Wertzuwachs

— „So, oa Las is ma heit' übriblieb'n. Von dem
kost' aber morg'n 's Pfund statt vier Mark achte, weil
er daweil scho wieda an bessern Lautgout kriagt."

Der Autogramm-Fabrikant
Lans Struppel kam als Schiffs-
kellner wieder herübergeschwommen
über den Ozean. Von frühester
Iugend an war er Lebenskünstler
gewesen, das heißt, er verstand die
Kunst, auf Kosten anderer zu leben.
Ec wußte nur zu leben, sonst konnte
er nichts; deshalb eignete er stch
auch zu allem. Nach einer kurzen
Gymnasialzeit, die weder ihn noch
seine Lehrer sonderlich befriedtgt,
hatte er drüben in Amerika seine
Lebenskunst in der vielseitigsten
Karriere erprobt, vom Sttefelputzer,
Straßenbahnschaffner, Geldschrank-
spezialtsten, Verficherungsagenten,
BanknotenfSlscher, Ringkämpfer
bis zum Cello-Virtuosen. Sicher
hätten ihm noch die unbegrenzte-
sten Möglichkeiten bevorgestanden,
wenn ihn nicht eines Taqes das
Leimweh gepackt hätte, das un-
gestüme Verlangen, auch einmal
seine eigenen Landsleute zu be-
schwindeln. Als Schiffskellner kam
er also wteder herüber und hatte
das sonderbare Glück, die Leim-
fahrt zusammen mit einer musi-
kali.chen Größe machen zu können,
die eben auch die unbegrenzten
Möglichkeiten des amerikaniichen
Goldsackes erprobt hatte. Als er
einmal müßig an einer Säule des
Teesalons lehnte und gelangweilt
die wenigen Gäste anstarrte, da
winkte ihn der gemähnte Musik-
löwe heran: „Werfen Sie, bitte,
diese Karten in den Briefkasten!-

Aebung — „Wie fabelhaft geschickt der Meier
laviert und fich vom Wind nicht packen läßt."
— „Glauben Sie, der - mit seinem Vermögen -
ifi lediglich aus Zufall noch Iunggeselle?"

Struppel nickte gehorsam und verschwand. Er
wollte sich die Karten doch zuerst einmal an-
sehen. AbschiedsgrüßeanamsrikanischeFreunde,
weiter nichts. Struppel hatte aber den wert-
vollen Grundsatz alles zu behalten, was ihm
in die Lände kam, mochte es noch so unschein-
bar sein. Er ließ also die Karten in seinen
Frackschötzen verschwinden.

Ein paar Tage später schlenderte er auf
dem Iungfernstieg, die Lände in den Losen-
taschen, gaffte, gaffte und überlegte, wie er
stch der Menschheit nunmehr nützlich erweisen
könnte. Schon während der Aeberfahrt hatte
er den festen Grundsatz gefaßt, diesem Aben-
teuererleben zu entsagen und es eivmal mit
einem soliden Berufe zu versuchen. Ehrlich
betrügen währt am längsten, sagte er fich. Eine
gewisse Solidität gehört nun einmal in Europa
zum guten Ton. Iedes Land hat eben seine
besondere Art der Ehrlichkeit, da muß man
sich erst akklimatifieren. Er trieb sich Straß' auf,
Straß' ab, las Ladenschilder, Reklametaseln.
Vor einem Plakate, das in einem Schau-
fenster hing, blieb er stehen: .Auto-
gramme, Anterschriften, Briefe be-
deutender Persönlichkeiten derPoli-
tik, der Literatur, der Künste kaust
zu den höchsten Preisen Iohn Ioel."
Briefe? Er schickte einen langen
überlegenden Blick über das Fen-
ster. Mund und Augen sprangen
ihm zugleich aus. Ia, ganz richtigl
Er hatte doch die Karten von dem
Virtuosen NischnowSkyI Er riß sie
nervös aus der Tasche, drehte sie
zärtlich abschätzend in der Land.
Ia, ja, sein Grundsatz, alles zu be-
behalten, was ihm in die Finger
kam, hatte stch wieder einmal be-
währtl Flugs war er im Laden.
Iohn Ioel, ein zwischen falscben
Rembrandts, blinden Kunstlieb-
habern uud tüchtigen Kopisten er-
grautes Löckermännchen, empfing
ihn mit profitfreundlichem Lächeln.

„Nischnowsky, Karten mit meh-
reren eigenhändigen Zeilen, na
sagen wir zehn Mark das Stück."

„Nein, unter 30 Mark tu' ich's
nicht," feilschte Struppel.

Fünfzehn, siebzehn, zwanzig,
zweiundzwanzig Mark, na, bei fünf-
undzwanzig Mark einigten sie sich.
Ein glänzender Gedanke schoß
Struppel durch den Kopf. Rasch
ließ er eine Karte wieder in die
Tasche gleiten, strich das Geld ein
und wischte zur Türe hinaus. Das
ist entschieden kein schlechtes Ge-
schäft, für etn paar Zeilen fünf-
undzwanzig Markl And, was die
Lauptsache ist, solide sieht 's auch
aus. Das feinste Publikum läßt
sich da anschmieren. Was Iohn
Ioel konnte, konnte er auchl Die
 
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