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— „Schäiidlich, das Publikum jetzt iu diesen Spielklubsl Da pokert
die sogenannte Gräfin Salvatella stakt auf dem Tisch i» de» Zähnen!"

Das Enten-Hendl

Eine LcbenSgeschichte vo» Wilhelin kerbcrt

Gacherl war das Pflichthuhn, wie es im Buch stcht.
Sie lebte und starb für die Erfüllung des 5iühnerberufes
und wurde deshalb dazu bestimmt, füuf Enteneier anszu-
brüten. denen man noch zur Aufmunterung für sie — deren
sie allerdings nicht erst bedurst hätte — eines ihrer eigenen
Eier beigab.

Pünktlich, wie von ihr nicht anders zu erwarten war,
kam sie der ihr gesetzten Aufgabe nach — und pünktlich
schlüpften fünf wunderhübsche, flaumige, mollige, wackelnde,
schreiende Entlein und ein kle nes schüchternes blauäugiges
piepsendes Äühnchen aus.

Liuter der besorgten Mutker her betraten die sechs
jungen Erdenbürger den Lof, der ihre Welt bedeutete —
unv das Ällhnchen lief hinter den größeren fünf Mit-
schwestern drein und machte ihnen alles nach. Denn es
hatte von seiner Mutter das peinliche strenge Pflichtgefühl
geerbt und hielt es für seine Lebensaufgabe, alles so zu tun,
wie es die fünf Enten taten, in denen es als das Schwächere
die leuchtenden Vorbilder vo» Kraft, Mut, Erhabenheit und
sonstigen Tugenden erblickte.

Allerdings fiel dem kleincn L>uh» zuweilen auf, daß

seine fünf Gefährten sich beim Laufen anders benahmen und
watschelten, während es selber gerade und ohne Schwanken
vor fich hin ging. Llber es sah darin nur ein Zeichen der
größeren Lt'raft und Beweglichkeit seiner stärkeren Geschwister
und verzichtete nach einigen vergeblichen Versuchen darauf, es
ihnen auch hierin nachzutun, in der bescheidenen Meinung dar-
auf, daß es eben nicht so viel leisten könne, wie die tüchtigeren
Vorbilder. Mit dem Freffen ging es ja gerade so. Die
Enten schlangen und schluckten stnmafsen der größten Brocken
hinunter, während das Lllhnchen nur kleine seine Körner
und Brosamen aufpicken konute. „Für mich genügt es,"
dachte es. „Ich verdiene ja auch nicht so viel."

Ein ernster Widerstreit aber kam in sein junges glück-
liches Leben, als die Entlein plötzlich an den kleinen Teich
gerieten, der am Nande des Gcflügelhofes angelegt war.
Mit einem Mal saßen die alle fünf auf dem Wasser, ruderten
darin herum, steckten die Köpfe hinein, so daß nur d?r kleine
gelbe Schwanz in die Löhe ragte, und gebärdeten sich ganz
toll vor Vergnügen.

Die Lenne — ihre Mutter — rannte ängstlich am
Ufer hin und her und suchte durch lautes und leises Zureden
ihre fünf ausgearteten Pflegekinder von dem gefährlichen
Streich noch rechtzeilig, ehe es ein stnglück gab, zurück-

Covvriglrl 1921 dy I. F. Schreiber
 
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