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— „Geh, Vata, geh! Wann d' Muatta hoam kimmt und seahgt, daß ma no
»öt vom Lolzstehl'n da san, sagt s' wieda, du sorgst »et richti für d' Familie."

Die Vombe

da, wie cr sagt, jetzt jeder Schafskopf scine Memoiren
schreibt, werde ich es ja wohl auch fertig bringcn. Zch
will es also im folgenden versuchen, so gut ich es kann.

Ich heiße Rechtsanwalt ^ldolf Meier ll u»d bin ziemlich
gebildet. Ich bin evangelisch. 74 Kilo schwer, 168 cm groß,
unterscyt, blond, ohne bcsondere Kennzeichen. Politisch bin
ich Demokrat, beruflich jetzt schwcr geschädigt, mcnschlich
zu bedauern. Außerdem habe ich 1,25"/» Zucker. Infolge-
dessen hatte mich meine Partei als Abgeordneten aufge-
stellt. Ich bin auch der Einwohnerwehr bcigetreten, da ich
keinen Grund sah. am ^lusbau der bcstehendcn Mißver-
hältnisse nicht tätig mitzuwirken. Ich bin Rottenstihrer.
Ein anderer Grund, weshalb ich mich am Aufbau bcteiligte,
isl der, daß ich jede Woche vom Wehrmann Grvssisten Zucker-
kandl (auch Rottenführer) ein halbes Pfund Zucker be-
komme. Ich selbst brauche ihn nicht, da ich ja schon 1,25"/°
habe, abcr meine Frau kann ihn gut gebrauchen.

Ich muß mich einen Augenblick bestnnen, ich glaube, ich
bin abgeschwiffen. Ia richtig, ich bin auch bei der Technischen
Nothilfc. Das ist eine wirklich segensreiche Organisation!
Schon siinfmal habe ich den Rucksack, den mir mcine Frau
mitgegeben hat, voll Koks mit zurückgebracht.

Außerdem bin ich aus Versehen zum Vertrauensmann
der revolutionären Betriebsräte gewählt worden. Sie
haben eigentlich den Rechtsanwalt Meier !1s gemeint.

Bis hierher habe ich alles wahrhcitsgetreu berichtet, ob ich
das aber weiterhin auch tue, weiß ich nicht. Möglich, daß
mir da einiges durcheinander geraten wird.

Also cs war Streik, eine ganz große Sache. Dic
Volksseelc war siedendhciß, und die Straßcnbahnschiencn
schon ganz verrostet. Morgcns um 10 !lhr kam der Partei-
leiter zu mir und nahm mich mit in ein Versammlungs-
lokal, ich sollte eine Rede halten. Gut, ich hielt einc Rede.
Ich sagte, es sei eine Schande, wie mit dem Volk umge-
sprungen würde. Das Volk wolle Arbeit und Weißwürste,
Ruhe und ausreichende Fettportion, statt dessen laffc man
die Straßenbahn stille stehcn. Ob das ein ncnnenswerter
Ersatz sei! Ia, nun habe das Volk ja sein Fett! Ich per-
sönlich müsse das Stillstehen der Straßenbahn auf jeden
Fall vcrdammcn, gleichgültig, ob es von rechts oder links
käme. Ich jedenfalls würdc politischen Selbstmord nicht
mitmachen.

Der Beifall war enorm, und ich unterzeichnete den Auf
ruf zu einem Bürgerstreik zum Schutze der Demokratie.

Auf dem Nachhauseweg traf ich dcn stellvertretenden
Vertrauensmann der Betriebsräte. „Genosse," sagte er
schr ernfi, „wo sind Sie? Das revolutionäre Proletariat
schreit sich die Kehle wund nach seinen Führern. Wir er-
warten Sie zu einer direktcn Aktion in der Maschinen-
fabrik Laffert um 12 !lhr; am besten gehen Sie gleich mit,
ich habe dcnsclben Weg."

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