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Der Gefangenenwärter
und sein Söhnchen

Ein erst neuerdings hochgekommenes
Ehepaar, das seit kurzem in sich das
Kulturbediirfnis entdeckt hat, Thea-
ter zu besuchen, sitzt in Shaws
Komödie „Laus Lerzenstod." Das
Stück geht seinem Ende zu, soeben
hat der Zeppelin über dem Lause
Lerzenstod gekreist und Bomben ab-
geworfen, ohne jedoch das Laus und
seine Bewohner, die der hochgekom-
menen Ehegattin schon seit Beginn
des Stückes ein Dorn im fettum-
polsterten Auge sind, zu vernichten.
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Sie macht ihrer Mitleidslosigkeit un-
geniert Luft, indem sie ihrem Gatten
zuflüstert: „Scbade, daß dcr Zeppelin
nicht die ganze Gesellschaft erwischt hat!"

„O nein, Alte," meinte ihr Gatte,
„du verstehst halt vom Krieg gar nix!
So a Bomben springt in tausend Fetzen
auseinander. Wenn dös Laus kaput
gangen wär, dann hätten wir da her-
auß'n a sicha a Trümmel davo abkriagt."

L potioki fit ctenokninotio

vvir kislbencies beseLLen.
ist rerLtört unä !st vergeLLSn:

NvLentrsgsr, Lcbub rurn 4'snrsn,
8!tt!!cbke!t Lov!e kunsnrsn.

diicbtL mekr exiLtiert von clieLen.
Kber — SL virci sngeprieLsn.

^lecieL eieckcben ist belclsistert,
iVo msn gebt uncl scbsut, bemeistsrt

Licb cies gsnrsn VVeitsÜL vilc!
KreiLcbencl clss k?e><IsmeLckiIci.

Lsibst clsL Kincl. nocb nickit geboren,
Ist sm Vsucb uncl bintern Obren

lliner ?irms scbon vermietet
bur clsn beim, cler slles kittet.

Im Vsrlsuke cler Oescbickite
>VircI von ciem, vvss icb bericbte,

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Oss ^lsbrbunäert cler kekisms.

n. vv.

Die poetische Familie

Das hat es schon früher gegeben
und gibt es auch heute noch. daß Brü
der dichten. Man denkt an die Brüder
Schlegel, an die Stolberg, Goncourts
und andere. Selten ist der Fall also
nicht. Aber, daß gleich eine ganze Fa-
milie dichtet, das hat sich im Bereich
der deutscben Literatur nur bei den
Schmalzhubers ereignet. In den Lite-
raturgeschichten findet man sie allerdings
nicht. Denn die Schmalzhubers d'chten
nicht so geräuschvoll, daß es der Oeffent-
lichkeit auffallen könnte. Insgeheim,
still für sich mögen ste schon lange ge-
dichtet haben. Sonst könnte ja ihr Talent
nicht so groß sein, wenn es sich nicht in
der Stille gebildet hätte. Die Schmalz-
hubers teilen sich in zwei Gcnerationen,
in eine ältere, die Vater und Mutter
umfaßt, und in eine jüngere, die sich
aus Sohn und Tochter zuiammensetzt.
Das ist, wie jedermann weiß, an sich
»och keine dichterische Eigenart. Sonst
hätten wir auf dieser Erde überhaupt
nichts wie Poeten. Was sehr verhäng-

nisvoll wäre sür die Menschheit; denn
sie müßte bald aussterben, weil sie
sich mit der Lerstellung von Poesie
unmöglich ernähren könnte. Da heute
so viele Seuchen grassieren, ist es
Pflicht, das deulsche Volk zu war-
nen, ja in keine Dichtungsepidemie
zu verfallen, das wäre sicher nach
allen vorausgegangenen Antergängen
sein endgülnger, allerletzter Anter-
gang. Es zeugt schon von unver-
wüstlicher Lcbenskraft, wenn es die
Filmepidemie übersteht, und die über-
steht es vermutlich auch nur, weil
deren Erreger nicht das geringste
mit Dichtlunst zu tun hat.
 
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