Die poetische Familie
Wenn nun die Schmalzhubers trotz ihres dichterischen
Talents bis heute nicht untergegangen find, so kommt das da-
her, daß sie nur im Nebenamt Poeten waren. Lerr Schmalz-
huber war Postsekretär und führte, da bei der deutschen
Post heute einige Lunderttausende zuviel unbeschäftigt find,
das denkbar idyllischste Beamtenleben. Zum Idyll gehört
Muße und Poesie. Muße hatte Lerr Schmalzhuber während
seiner Dienstzeit mehr als genug, daher verfiel er auf den
löblichen Gedanken, die durch besondere Teuerungszulagen
prämiierten Mußestunden den Musen zu weihen. Als ge-
wissenhafter Beamter traf er die richiige Auswahl unter
den neun Musen. Da weder Terpsichore, die Muse des
Tanzes, noch Euterpe, die des Flötenspiels, dem Ernst seines
Dienstes noch überhaupt der Würde eines höheren Staats-
beamten enlsprochen hätten, so wählte er die stille, unauf-
fällige Kalliope, die Muse der epischen Dichtkunst. Auf
Grund dieser gewissenhaften, standesbewußten Auslese wurde
also Postsekretär Schmalzhuber epischer Dichter. Aber auch
als praklischer Mensch konnte Schmalzhuber zu keiner anderen
Auswahl unter den Musen kommen; denn sür die Dichlkunst
lieferte ihm die Postverwaltung billigen Rohstoff in Gestalt
aller möglichen Formulare, deren Rückseiten in weitblickender
Voraussicht für allenfalsige unter dem Postpersonal vorkom-
mende Dichtungsfälle unbedruckt geblieben waren. Da nun
am Postamt 65, wo Lerr Schmalzhuber als Sekrelär wirkte,
sonst kein Dichter vorhanden war, standen alle unbedruckten
Rückseiten seinem Talent allein zur Verfügung. Was zur
Folge hatte, daß das Postamt 65 stets den größten Bedarf
an Formularen anforderte, was hinwiederum zur Folge
hatte, daß die Oberpostdirektion dorthin zwei neue Sekretäre
beorderte in der richtigen Erkenntnis, daß bei solchem For-
mularbedarf der Schalterdienst nicht von der etatsmäßigen
Beamtenzahl bewältigt werden lönnte. Diese Mehranfor-
derung an Papier beförderte nur Äerrn Schmalzhubers Dicht-
kunst. Der Postsekretär war, wie gesagt, Epiker, nicht nur
wegen der Standesgemäßheit der hiefür zuständigen Muse,
er war Epiker auch aus beruflichen Gründen. Die lange dienst-
liche Mußezeitzwang geradezu zu epischer Breite, mit ein paar
Gedankensplittern hätte sich die Dienstzeit nicht ausfüllen laffen.
Außerdem war ihm als Bürokraten Amständlichkeit ohnehin
der wesentlichste Wesenszug. Er Pflegte die Novelle, in-
sonderheit die Briefnovelle, was für einen Postbeamten
an und sür sich die nächstliegende Dichtungsform ist. Ieden
Tag ftthrte er bis Schallerschluß eine Novelle zu Ende; denn
als gewissenhafter Beamter konnte er nicht leiden, daß etwas
bis zum nächsten Tag unerledigt liegen blieb. Da Dichtkunst
hungrig macht, brachte er jeden Abend einen sehr gesunden
Appetit mit nach Äause, und machte dann auf Grund seiner
literarischen Produktion Anspruch auf eine doppelte Portion
Nudeln oder Knödeln. Das ist auch einer der Gründe, der
später die ganze Familie zum Dichten veranlaßte; denn jedes
Familienmitglied wollte natürlich eine doppelte Portion be-
kommen. Nachdem der Dichterpreis von zwei Knödelpor-
tionen verschlungen war, las Schmalzhuber regelmäßig seine
Novelle vor, wobei ebenso regelmäßig Mutter und Tochter
über dem Strickstrumpf, der Sohn über der Ovid-Präparation
einschlief. Schmalzhubers Dichtungen schienen also an ein-
schläfernder Wirkung die Ovids zu übertreffen. Daher sind
sie allen Literaturfreunden wärmstens zu empfehlen, die an
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Wenn nun die Schmalzhubers trotz ihres dichterischen
Talents bis heute nicht untergegangen find, so kommt das da-
her, daß sie nur im Nebenamt Poeten waren. Lerr Schmalz-
huber war Postsekretär und führte, da bei der deutschen
Post heute einige Lunderttausende zuviel unbeschäftigt find,
das denkbar idyllischste Beamtenleben. Zum Idyll gehört
Muße und Poesie. Muße hatte Lerr Schmalzhuber während
seiner Dienstzeit mehr als genug, daher verfiel er auf den
löblichen Gedanken, die durch besondere Teuerungszulagen
prämiierten Mußestunden den Musen zu weihen. Als ge-
wissenhafter Beamter traf er die richiige Auswahl unter
den neun Musen. Da weder Terpsichore, die Muse des
Tanzes, noch Euterpe, die des Flötenspiels, dem Ernst seines
Dienstes noch überhaupt der Würde eines höheren Staats-
beamten enlsprochen hätten, so wählte er die stille, unauf-
fällige Kalliope, die Muse der epischen Dichtkunst. Auf
Grund dieser gewissenhaften, standesbewußten Auslese wurde
also Postsekretär Schmalzhuber epischer Dichter. Aber auch
als praklischer Mensch konnte Schmalzhuber zu keiner anderen
Auswahl unter den Musen kommen; denn sür die Dichlkunst
lieferte ihm die Postverwaltung billigen Rohstoff in Gestalt
aller möglichen Formulare, deren Rückseiten in weitblickender
Voraussicht für allenfalsige unter dem Postpersonal vorkom-
mende Dichtungsfälle unbedruckt geblieben waren. Da nun
am Postamt 65, wo Lerr Schmalzhuber als Sekrelär wirkte,
sonst kein Dichter vorhanden war, standen alle unbedruckten
Rückseiten seinem Talent allein zur Verfügung. Was zur
Folge hatte, daß das Postamt 65 stets den größten Bedarf
an Formularen anforderte, was hinwiederum zur Folge
hatte, daß die Oberpostdirektion dorthin zwei neue Sekretäre
beorderte in der richtigen Erkenntnis, daß bei solchem For-
mularbedarf der Schalterdienst nicht von der etatsmäßigen
Beamtenzahl bewältigt werden lönnte. Diese Mehranfor-
derung an Papier beförderte nur Äerrn Schmalzhubers Dicht-
kunst. Der Postsekretär war, wie gesagt, Epiker, nicht nur
wegen der Standesgemäßheit der hiefür zuständigen Muse,
er war Epiker auch aus beruflichen Gründen. Die lange dienst-
liche Mußezeitzwang geradezu zu epischer Breite, mit ein paar
Gedankensplittern hätte sich die Dienstzeit nicht ausfüllen laffen.
Außerdem war ihm als Bürokraten Amständlichkeit ohnehin
der wesentlichste Wesenszug. Er Pflegte die Novelle, in-
sonderheit die Briefnovelle, was für einen Postbeamten
an und sür sich die nächstliegende Dichtungsform ist. Ieden
Tag ftthrte er bis Schallerschluß eine Novelle zu Ende; denn
als gewissenhafter Beamter konnte er nicht leiden, daß etwas
bis zum nächsten Tag unerledigt liegen blieb. Da Dichtkunst
hungrig macht, brachte er jeden Abend einen sehr gesunden
Appetit mit nach Äause, und machte dann auf Grund seiner
literarischen Produktion Anspruch auf eine doppelte Portion
Nudeln oder Knödeln. Das ist auch einer der Gründe, der
später die ganze Familie zum Dichten veranlaßte; denn jedes
Familienmitglied wollte natürlich eine doppelte Portion be-
kommen. Nachdem der Dichterpreis von zwei Knödelpor-
tionen verschlungen war, las Schmalzhuber regelmäßig seine
Novelle vor, wobei ebenso regelmäßig Mutter und Tochter
über dem Strickstrumpf, der Sohn über der Ovid-Präparation
einschlief. Schmalzhubers Dichtungen schienen also an ein-
schläfernder Wirkung die Ovids zu übertreffen. Daher sind
sie allen Literaturfreunden wärmstens zu empfehlen, die an
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