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V

Anatomie

Der Dansker >

betrachten. Zmmerhin ist unzweifechaft,
daß auch sie den gemeineren Anforde-
rungen des körperlichen Daseins sich
»icht entziehen konnten. Darum pflegten
sie neben den meisten ihrer Burgen in
ziemlicher Entfernung noch einen beson-
deren Turm — denn auf Material und
Arbeitskräfte kam es damals ja gar nicht
an — zu errichten, zu dem eine oft in
kühner Löhe sich spannende Galerie
fiihrte. Eigentlich war das ein recht
weiter Weg, von den Wohnräumen in
der Burg bis zum Turm, aber man wollte
ja grade diese Entfernung. Sie war
eben das besonders Angenehme an dieser
Anlage; sie ersetzte den Mangel der zu
jener Zeit noch nicht üblichen Kanali-
sation. So, — solch ein Turm ist ein
Dansker. Es gibt noch eine ganze Menge
solcher Dansker, die aber natllrlich alle
nicht mehr gebraucht werden; einer
der größten ist in Thorn zu sehn, woraus

man schließen lönnte,-aber ncin, das

gehört nicht hierher. And in Müskenburg ist auch ein Dansker.

Friedrich Popp war im Schatken dieses Dansker auf
gewachsen. Man finde nichts dabei, — der Dansker war
ja schon seit Iahrhunderten außer Betrieb. In jener Mauer
des Turmes, an die der Gemüsegarten stieß, war schon,
als Popp noch ein ganz kleiner Iunge gewesen war, ein
großes Loch gewesen, so daß er in das Innere hatte hinein-
spazieren können, das einen ansehnlichen, gewölbeartigen
Naum darstellte,gewifsermaßen das!ln ergeschoß des Turms.
Im Laufe der Iahre waren — kaum absichtslos, sondern
zu nützlicher Verwcndung — mehr und mehr Ziegel enlfernt
und der Eingang dadurch beträchtlich erweitert worden.
Niemand hatte sich darum gekümmert; zu sehn war das
auch nur auf dem Poppschen Grundstück, und der alte Knecht,
der damals bei Popp senior bedienstet gewesen war und
wohl am meisten von den Ziegeln herausgeklaubt hatte, —
nun, der hatte jedenfalls angenommen, der Turm gehörte
seinem Lerrn.

Ietzt war Friedrich Popp der Lerr. Er hatte von der
Erbschaft drei Schwestern das ihre auszahlen müffen, was
ihm gar nicht so leicht gefallen war. Nun wollte er Geld
verdienen, sich rühren, alles Möaliche unternehmen. Die
Branntweinbrennerei sollte in Schwung kommen; um aber
auch einer milderen Geschmacksrichtung gerecht zu werden,
wellte er gleichzeitig einen zunächst noch ganz kieinen Milch.
handel betreiben. Deshalb hatte er jetzt die beiden Milch-
kühe von Iohann Daus gekauft. Eigenllich ein bißchen über-
eilt, denn als nun Iohann Daus und sein Knecht gegangen
waren, und Popp die beiden Kühe ansah, die vor dem
Schuppen standen und wohl der durchaus berechtigten Er-
wartung sich hingaben, nun standesgemäß untergebracht zu
werden, va fiel es ihm ein, daß er für die Tiere, die er vor-
läufig im Sckuppen einquartieren wollte, schließlich wohl doch
einen befferen Stall würde bauen müssen. Ein Stall kostet
Geld; Popp hatte sehr wenig Lust, noch mehr Geld aus-
zugeben. Popp kratzte sich den Kops. Kratzen ist immer
gut, — hier hatte es die Folge, daß Friedr'ch Popp einige-
male nachdrücklich nickte, dann seinen Knecht rief und mit
dicsem die Kühe durch den Gemüsegarten und den einst zu-
fällig geschaffenen, aber nun wie zu diesem Zweck vorhan-
denen Eingang in das Antergeschoß des Danslers brachte.

— „Woher merkst denn du — Bader — daß mir bei der letzten
Nauferei a falsches Ohrwaschel ang'naht worn is?"

— „Weil a anders Ohrringel drin is, wia auf der rechten Seit!"

Wirklich, das war doch ein ganz prächtiger Kuhstall!
Ein Kuhstall, wie man ihn sich gar nicht beffer wünschen
konnte, — weder die Kühe noch ihr Besitzer Der Knecht
war auch dieser Meinung; er machte gleich Vorschläge, wo
die Krippe hinkommen sollte, und wie sonst noch die not-
wendigen Kuhbequemlichkeiten einzurichten wären. Ganz
sicher war er des Glaubens, daß sein Lerr über diesen Raum
zu verfügen hätte. Ein guter Knecht soll ja immer alles, was
der Lerr tut, für Recht ansehn. PoPP qab ihm den Auftrag,
Streu für das Vieh zu besorgen und vorläufig die Tür des
Schuppens auszuheben und vor das Mauerloch im Dansker
zu setzen, bis dieses miteiner richtigen Tür versehen sein würde.

Am Ostersonnkag, als Friedrich Popp in der Kirche
saß, dachte er an seine Kühe und an den Dansker. Einen
besseren und bequemer gelegenen Stall konnte er wirklich
nicht finden. Das Einfachste würde also sein, wenn er für
seine Kühe das Antergeschoß des Danskers mietete, — von
dem Eigentümer des Danskers wie der ganzen Burg über-
haupt. Der konnte dann froh sein, einen kleinen Mietszins
zu bekommen; irgendwelchen Rutzen hatte er ja sonst über-
haupt nicht von dem Dansker. Wer aber war der Eigen-
tümer? Ia, das war der Staat, der Fiskus. Popp be-
schloß, einen Brief an die königliche Regierung zu schreiben.

Mit dem Briefschreiben ist das so eine Sache. Manche
Leute freilich bringen viel darin vor sich; Fürsten und
Staatsmänner haben oft unheimlich viele Briefe geschrieben,
mitunter sogar zu viele. Friedrich Popp war kein Fürst
und kein Staatsmann; er schrieb überhaupt nicht gern
Briefe. Ostern 1844 kam heran, und der Brief an die
königliche Regierung war immer noch nicht abgegangen.
Dafür war aber der Kuhstall im Dansker längst ganz vor-
trefflich eingerichtet worden. Ostern 1845 standen bereits
vier Kühe im Stall, aber die Königliche Regierung wußte
noch immer nichts davon. Wer Friedrich Popps Kuh-
stall sah — das waren aber nur wenige Leute — hielt diese
Anlage für sehr zweckmäßig und ganz selbstverständlich.
Das tat auch Popps Frau, die er im Iahre 1846 heimführte.
Er hielt es für überflüssig, sie über das auf den Stall be-
zügliche Eigentumsverhältnis aufzuklären. So eine Frau
redet manchmal leicht ein bißchen zu viel.

(Forlselnmg Seite 183.)

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