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Dcr Loh» und Erbe

spekuliert hätte! Aber ich
mußte ihn als unver-
meidlich ansehn, denn sie
hatte Aerzte genommen,
zwei ganz verdammte
Aerzte. Der Teufel soll
die Aerzte holen."

Der wllrdige alte
Mann trank, von Rüh-
rung übermannt, sein
Glas aus. Zetzt füllte es
der Zustizrat Stiefenfoot
von neuem, und Doktor
Bösenberger machte ein
verdrossenes Gesicht dazu.

Aber eigentlich hatte er
doch keinen Grund dazu;
zuerst hatte der würdige
alte Mann die Rechts-
anwälre verdammt und
nun die Aerzte, — es war
also alles in Ordnung.

„Kitty starb, meine
Lerren," erzählte der
wllrdige alte Mann wei-
ter, „und ich blieb mit
Trauer und dem Geschäft
zurück. Dieses letzte, das
Geschäft nämlich, beab-
sichtigte ich jeht aukzu-
geben. Es so ganz allein
zu besorgen, das war mir
doch zu schwer; meine
tüchtige Kitty fehlte mir
an allen Enden. And mit
hunderttausend Dollars
konnte ich ja auch ganz
nett leben. Denn ich
dachte doch, daß ich nun
die fünfzigtausend Dollars von der Kitty kriege» würde.
Das war doch ganz natürlich, das war doch selbstverständ-
lich, — Kitty hatte ja gar keine anderen Angehörigen ge-
habt. Aber da fand stch etwas, meine Lerren! Ein Testa-
ment fand sich. Es war das Allerblödsinnigste, was flch
überhaupt finden konnte. Etwa zwö.f Zeilen höchstens um-
faßte das ganze Testament, aber in diesen zwölf Zeilen
stand eine der gewaltigsten Verrücktheiten, die jemals in
den glorreichen Vereinigten Staaten ausgedacht worden
ist. And das will viel sagen, meine Lerren. Kurz und
gut: ich bekam Kittys Anteil am Geschäst, aber weiter
nichts. Das bare Geld, tatsächlich runde fünfzigtausend
Dollars, erbte Gipsy, — Gipsy bekam cs, das dreimal ver-
dammte Luder!"

Der würdige alte Mann trank schnell zwei Gläser
Wein hintereinander. Er brauchte diese Stärkung, denn
die aufregende Erinnerung hatte ihn sichtlich angegriffen.
„Wer Gipsy war, meine Lerren? Ein Köter oder vielmehr
eine Köterin, nämlich eine Lündin. Eine Foxterrierhündin,
und jemand, der sie nicht so wie ich mit freilich bcgreiflicher
Voreingenommenheit betrachtet hätte, würde vielleicht ge-
funden haben, daß sie ein prachtvolles, ein ganz wunder-
bares Tier war. Kitty, meine selige Schwester, war ein-
fach vernarrt in Gipsy gewesen. Ich hatte dabei nichts
Schlimmes geahnt. So ein altes Mädchen, hatte ich mir

gedacht, muß doch auch
was für's Lerz haben.
Wenn ich das wahn-
sinnige Testament hätte
ahnen können, — ja, dann
hätte ich natürlich der
Gipsy ein Stück vergif-
tcter Wurst gegeben oder
Schweinebraten, — ja
meinetwegen sogar ein
vergiftetes Truthahnkeul-
chen; darauf wäre es mir
nicht angekommen. Aber
ich hatte nichts geahnt,
und nun war Kitty tot,
und Gipsy lebte, und das
Testament bestimmte, daß
Gipsy die fünfzigtausend
Dollars erben und zu
Blenkinsop, demTierarzt,
für Zeit ihres Lebens in
Penüon kommen sollte.
Vlenkinsop hatte Gipsy
früher einmal von einem
Darmkatarrh geheilt, und
deshalb hakte Kitty das
gewaltiaste Vertrauen zu
ihm gefaßt. Da Gipsy
natürlich keine Schccks
schreiben noch sonst ir-
gcnd wclche Versügungen
treffen ko»nte,sollteBlen-
kinsop über das Geld zu
disponieren haben, ge-
wissermaßen als Gipsys
Vormund oder Kurator.
So stand das in dem
Testament, in dem idio-
tischen Testament!"
Justizrat Stiefenfoot
füllte das Glas des würdigen alten Mannes. ^Sie haben
vollkommen recht," sagte er; „das Testament war natürlich
unsinnig. Einen Lund kann man doch nicht so ohne weiteres
zum Erben einsctzen; das ist ja Blöbsinn. Ihre Schwester
hätte das ganz anders machen müffen. Sie hätte zum Bei-
spiel Blenkinsop zum Erben einsetzcn können mit der Auf-
lage, für jenes Tier, die Gipsig oder wie sie hieß, ent-
sprechend zu sorgcn, wofür ja ganz genaue Bestimmungen
hätten getroffen werden können. Oder sie hätte auch
eine-"

Doktor Bösenberger unterbrach Stiefenfoot. „Aber
lassen Sie doch den Lerrn erzählen, bcster Iustizrat. Was
Sie da ausführen wollen, stimmt vielleicht alles nicht. Sie
vergeffen, daß hier nicht das Bürgerliche Gesetzbuch, das
Sie ja vorzüglich beherrschen mögen, sondern das Recht
der Vereinigten Staaten in Frage kommt, und das mag
ja allerhand Seltsamkeiten gestatten. Oder wenn es sie
auch nicht gestattet, so dürfte es jedenfalls schwieriger als
bei uns sein, in solchen Fällen mit berechtigten Ansprüchen
durchzudringen, denn, wie ich gehört habe, ist die ameri-
kanische Rechtspflege sehr verwickelt und kostspielig."

Der würdige alte Mann lrank sein Glas aus und ließ
es wieder füllen. „Verwickeit? Stimmt, — so etwas von
Verwickelung ist überhaupt noch nicht dagewesen. Nehmen
Sie ein Garnknäuel und laffen Sie ein Dutzend kleiner

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Maskenball — „Schöne Burgsrau — ich werde eine

Brieftaube züchten, die Ihnen meine Liebesbotschaften bringt,"
— „Quatsch! Fragen Siedoch lieber nachmeinerTelephonnummer!"
 
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