Bedingungsweise
— „Aber wir sind ja erst seit gestern hier."
„Wie lange fährt man denn nach dem Altertumsmuseum, Kutscher?"
„Kennen Sie sich denn gar nicht aus, Lerr?"
„Na, — alsdann werden wir wohl so gegen eine Stunde brauchen."
Anamnese
In meine Sprechstunde kommt ein Mann. Er trägt keinen
Kragen, dafür aber ein schmutziges Chemiiett, das mit einer
Sicherheitsnadel an einem sozusagengelblichen Lemd nicht ganz
in der Mittellinie verlötet
ist. SeinLosenlatzhatsechs
Knöpfe, wie ich ohne wei-
teres wahrnehme. Vondie-
sen sechs sind allerdings
nur vier anwesend. Der
Mann sieht bekümmert aus
wie eine verschrumpelte
Rübe. Er sagt guten Mor-
gen und versucht, seine
Zigarre auf die Tastatur
meines Flügels zu legen,
an dem ich ihn vorbeiführe,
um mit ihm ins Sprech-
zimmer zu gelangen. Dann
sagt er nichts mehr, staunt
nur die blanken Instru-
mente an, den Operations-
tisch, den Spucknapf. Aber
er ze'gt keine Spur von Be-
sorgnis vor diesen Dingen
wie andere Patienten.
Ich fitze ihm gegenüber
und beobachte ihn eine
ganze Weile, vielleicht drei,
fünf Minuten lang. Er hat
seine Tatzen auf die Knie
gelegt. Dort liegen sie ruhig
wie ein paar rauhhaarige
Dackel. Seine Augen, aus
einem Gitter von Runzeln
heraus, mustern alles, dessen
sie habhaft werden können,
und rollen in Ellipsen wie
blaue Bonbons herum. Ich
warte. Nein, er sagtnichts,
er wird auch nichts sagen.
„Nun, mein Lieber," breche ich dies muntere Schweigen,
und die Bonbons stehen plötzlich still, „was fehlt Ihnen?"
Ein Leuchten geht über sein Gesicht, die Nunzeln setzen
sich in Bewegung, grupp-eren sich, ordnen sich in Kolonnen.
Am Mund fängt es an und verbreitet sicb strichweise, wieRinge
im Wasser, bis zu den Laar-
wurzeln und den Ohren,
vieileicht sogar noch weiter,
aber ich kann nicht sehen,
was hinter diesen Ohren,
wahren Trichtern, vorgeht.
Mein Palient lächelt, aus-
giebig und Skück für Stück,
aber er sagt nichts, bloß die
Bonbons zwinkern listig.
„Sie sind doch wohl
krank?" frage ich.
DieRunzelkolonnen mar-
schieren in ihre frühere Ord-
nung zurllck. Gleichzeitig
vollziehen sick aber noch an-
dere Manöver: die Kopf-
haut bewegt sich nach hinten
und langsam wieder nach
vorn, dabeigeraten die Ohr-
trichter in rhythmische Zuk-
kungen. Ein Dackel begibt
sich mitten insGestcht, fährt
unterhalb der Nase vorbei,
wälzt sich ein wenig aufdem
Nücken oberhalb derRockta-
schengegend und legtsich be-
friedigt wieder auf seinKnie.
Die Beilchenbonbons
wachsen und werden so rund
und glänzend wie Billard-
kugeln. Sie wälzen eirie
Kreistour und bleiben dann
an mir haften. Kurz, mein
Patient bietet das Bild
eines angestrengt aufmer-
kenden Menschen.
— „Da hast du gesagt, Felix, wenn ich dir zehntausend Mark
gebe, dann machst du ein feines Geschäft. Na, ich hab' dir das
Geld gegeben,aberwie ist's mitdem Geschäft?" —„Ia, Tantchen,
die zehntausend Mark, die waren eben das feine Geschäft."
— „Aber wir sind ja erst seit gestern hier."
„Wie lange fährt man denn nach dem Altertumsmuseum, Kutscher?"
„Kennen Sie sich denn gar nicht aus, Lerr?"
„Na, — alsdann werden wir wohl so gegen eine Stunde brauchen."
Anamnese
In meine Sprechstunde kommt ein Mann. Er trägt keinen
Kragen, dafür aber ein schmutziges Chemiiett, das mit einer
Sicherheitsnadel an einem sozusagengelblichen Lemd nicht ganz
in der Mittellinie verlötet
ist. SeinLosenlatzhatsechs
Knöpfe, wie ich ohne wei-
teres wahrnehme. Vondie-
sen sechs sind allerdings
nur vier anwesend. Der
Mann sieht bekümmert aus
wie eine verschrumpelte
Rübe. Er sagt guten Mor-
gen und versucht, seine
Zigarre auf die Tastatur
meines Flügels zu legen,
an dem ich ihn vorbeiführe,
um mit ihm ins Sprech-
zimmer zu gelangen. Dann
sagt er nichts mehr, staunt
nur die blanken Instru-
mente an, den Operations-
tisch, den Spucknapf. Aber
er ze'gt keine Spur von Be-
sorgnis vor diesen Dingen
wie andere Patienten.
Ich fitze ihm gegenüber
und beobachte ihn eine
ganze Weile, vielleicht drei,
fünf Minuten lang. Er hat
seine Tatzen auf die Knie
gelegt. Dort liegen sie ruhig
wie ein paar rauhhaarige
Dackel. Seine Augen, aus
einem Gitter von Runzeln
heraus, mustern alles, dessen
sie habhaft werden können,
und rollen in Ellipsen wie
blaue Bonbons herum. Ich
warte. Nein, er sagtnichts,
er wird auch nichts sagen.
„Nun, mein Lieber," breche ich dies muntere Schweigen,
und die Bonbons stehen plötzlich still, „was fehlt Ihnen?"
Ein Leuchten geht über sein Gesicht, die Nunzeln setzen
sich in Bewegung, grupp-eren sich, ordnen sich in Kolonnen.
Am Mund fängt es an und verbreitet sicb strichweise, wieRinge
im Wasser, bis zu den Laar-
wurzeln und den Ohren,
vieileicht sogar noch weiter,
aber ich kann nicht sehen,
was hinter diesen Ohren,
wahren Trichtern, vorgeht.
Mein Palient lächelt, aus-
giebig und Skück für Stück,
aber er sagt nichts, bloß die
Bonbons zwinkern listig.
„Sie sind doch wohl
krank?" frage ich.
DieRunzelkolonnen mar-
schieren in ihre frühere Ord-
nung zurllck. Gleichzeitig
vollziehen sick aber noch an-
dere Manöver: die Kopf-
haut bewegt sich nach hinten
und langsam wieder nach
vorn, dabeigeraten die Ohr-
trichter in rhythmische Zuk-
kungen. Ein Dackel begibt
sich mitten insGestcht, fährt
unterhalb der Nase vorbei,
wälzt sich ein wenig aufdem
Nücken oberhalb derRockta-
schengegend und legtsich be-
friedigt wieder auf seinKnie.
Die Beilchenbonbons
wachsen und werden so rund
und glänzend wie Billard-
kugeln. Sie wälzen eirie
Kreistour und bleiben dann
an mir haften. Kurz, mein
Patient bietet das Bild
eines angestrengt aufmer-
kenden Menschen.
— „Da hast du gesagt, Felix, wenn ich dir zehntausend Mark
gebe, dann machst du ein feines Geschäft. Na, ich hab' dir das
Geld gegeben,aberwie ist's mitdem Geschäft?" —„Ia, Tantchen,
die zehntausend Mark, die waren eben das feine Geschäft."