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— „Na, wißt ihr: in eurem elenden Nest ist auch rein gar nichts los! Ietzt bin ich
schon vierzehn Tage hier, und »och keine einzige Protestversammlung hat's gegeben!"

Die okkulte Schule

Ein okkulter Klub will demnächft in Berlin eine okkulte
Volksschule eröffnen. Den Unterricht werden natürlich nur
Verstorbene geben, wir haben ja bekanntlich Mangel an
lebendem Lehrpersonal. Punkt acht morgens wird vom
Schülerrat der Lerr Lehrer aus dem Ienseits zitiert, d. h.
wenn um diese Zeit der Schülerrat schon aufgestanden ist.
Will er mal ausschlafen, dann läßt er den Lerrn Lehrer
erst später aus seiner Abgestorbenheit nach Berlin rüber-
kommen. Am zehn oder elf Ahr, wie es ihm gerade paßt,
das entspricht der modernen Schuldisziplin. Abgestorbene
Lehrer haben ja außerdem immer Zeit. Zitiert werden
natürlich nur solche Lehrer, die sich schon zu Lebzeiten durch
Nachsichtund Austeilung besterZensuren ausgezeichnethaben.
Wer im Leben immer mit dem spanischen Rohr operierte,
darf zur Strafe dafür nach seinem Tode nicht mehr nach
Berlin kommen. Derjenige Lehrer, der mit Erlaubnis des
Schülerrates in das Dieseits hereinspuken darf, klopft natür-
lich zuerst, wie es sich für wohlerzogene Geister gehört, ein
paar Mal an die Schulzimmertür, um die Klaffe nicht bei
Balgereien zu erwischen. Sofort nach seinem Eintritt ma-
terialisiert er sich rückfichtsvoll auf dem Katheder. Dort
bleibt sein Astralkörper während der Dauer des Anterrichts
ruhig sitzen; denn ein Pädagoge, der das Vertrauen des
Schülerrats genießt, geistert nicht zwischen den Bänken
herum. Sonst könnte er trotz seiner Abgestorbenheit noch
was erleben! Die spiritistische Anterrichtsmethode besteht
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darin, daß die Schüler Fragen stellen, nicht der Lehrer. Von
einem Lehrer, der noch dazu reiner Geist ist, wird erwartet,
daß er alles weiß. Äauptsächlich wollen natürlich die Schüler
ihre eigene Zukunft kennen lernen, die interessiert sie be-
deutend mehr als die deutsche oder römische Vergangenheit.
Im Lesen beschränkt man sich auf das Gedankenlesen, da-
durch wird die mühevolle Erlernung des ABC erspart.
Schönschreiben ist natürlich überflüssig, das besorgt hinsort
der magische Griffel. Rechenaufgabcn fertigt der Schüler
ckm einfachslen dadurch an, daß er einen ihm befreundeten
Geist zitiert, der im Leben gut rechnen konnte und sich von
ihm die Lösung eingeben läßt. Dazu eignen sich natürlich
abgestorbene Verwandte aus dem Kaufmannsflande am
besten. Für die Turnstunde werden die Schüler hypnotisiert,
dann könne» sie die schwierigsten Aebungen am Reck oder
Trapez spielend leicht ausführen. Auch an den höheren
Schulen, ja selbst an den Aniversitäten wäre die Einführung
der okkulten Lehrmethode sehr empfehlenswert. Auf diese
Weise wäre es möglich, für unsere Aniversitäten die aller-
ersten Autoritäten aus dem Ienseits zu gewinnen. Auf
den Lehrstuhl der Philosophie könnte Sokrates, Spinoza
oder Schopenhauer zitiert werden. Lomer selbst würde
Vorlesungen über die Odyssee halten, Euklid und Euler
erhielten einen spiritistischen Ruf für Mathematik, und Cicero
würde außer über lateinische Stilistik noch über römisches
Recht lesen. Aeberhaupt würde die Wissenschaft, vor allem
die Altertumssorschung durch den Spiritismus nur Profi-

Cvpyrlght IS2I by I. F. Schreiber
 
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