Der rote Sonnenschirm Vo» P-eer Robinson
Der rote Sonnenschirm ist schuld daran gewesen! Nur
dieser schreckliche und doch so schöne rote Sonnenschirm!
So sprach Fräulein Lermine Rehbinder zu fich, als ihr
das tlngliick geschehen. Später urteilte sie anders und
gab die Schuld jener kleinen Eitelkeit, die sie damals ge-
rade jenen Schirm kaufen ließ, weil sie sich eingebildet hatte,
daß sie darunter vom rötlichen Licht überstrahlt, wie ein
ganz junges Mädchen aussehn würde, ein Mädchen von
achtzehn Iahren. Aber ste zählte doch schon achtundzwanzig,
und häkte sie das bedacht und einen geziemenden grünen
oder grauen Sonnenschirm gewählt, — ja, dann wäre alles
wohl anders gekommen, und sie würde heute nicht das alte
Fräulein Nehbinder, sondern Frau Gelzenleichter sein oder
vielmehr die Witwe Gelzenleichter, denn Lerr Andreas
Gelzenleichter ist nun schon seit zwei Iahren tot. Oder
nein, am Ende würde sie doch noch keine Witwe sein; ver-
heiratete Männer sollen ja länger leben als ledige, und
daß dem guten Lerrn Andreas das Verheiratetsein mit ihr
sehr gut bekommen wäre, — ach Gott, dieses festen Glaubens
ist das alte Fräulein Äermine gewiß nicht mit Unrecht.
Deshalb ist es ja auch so sehr zu bedauern, daß nichts
daraus geworden ist.
Das Anglück mit dem Sonnenschirm aber geschah vor
dreißig Iahren. Fräulein Nehbinder wohnte damals schon seit
zwei Iahren in dem von den Eltern ererbten hübschen kleinen
Lause draußen an der See, eine halbe Stunde Bahnfahrt
von der Stadt, in dem Ort, der zu jener Zeit noch ein
Fischerdorf war und im Sommer von ein paar hundert
Badegästen besucht wurde, die an schönen Sonntagen von
einigen tausend, unruhig am Strande herumwimmelnden
Leuten aus der Stadt gestört wurden. Im zweiten Sommer
wurde Fräulein Rehbinder durch einiges Bauwesen be-
lästigt, das Staub und Lärm mit sich brachte, — auf dem
Nachbargrundstllck wurde ein Laus errichtet, eine schöne
Villa. Im Lerbst stand sie fertig da, aber erst im nächsten
Frühjahr erschien die neue Nachbarschaft, und man sah in
dem schön angelegten Garten einen Lerrn spazieren von
etwa vierzig Iahren mit einem freundlichen runden Gestcht,
das die Welt mit Vergnügen anzuschauen schien, sofern es
eine enge, schön gegen Verdrießlichkeiten umzäunte Welt
war, das sich aber jedenfalls zu einiger Schüchternheit,
wenn nicht gar Ängstlichkeit verziehn würde, wenn sein Be-
sitzer einmal sich über den Zaun hinausbegeben müßte. An
die Gartentllr kam jeht auch ein blankes Messingschild.
„Andreas Gelzenleichter"' stand darauf. Fräulein Rehbinder
entsann sich, den Nachnamen früher schon in der Stadt
gelesen zu haben; Gelzenleichter L Sohn, Kornexpedition
hatte da irgendwo über einem ansehnlichen Kontor gestanden.
Sie nahm an, und es war auch so, daß ihr Nachbar diese
Landlung aufgegeben hatte, und das fand sie vernünftig
von ihm, denn so ganz geeignet für das Korngeschäft schien
er ihr nicht zu sein. Sie traf damit auch das Richtige.
Lerr Gelzenleichter hatte das Geschäft, das schon Argroß-
vater, Großvater und Vater mit sehr gutem Erfolge be-
trieben hatten, nur einige Iahre allein geführt, dann aber
liquidiert in der Erkenntnis, datz die Fähigkeiten der Familie
zum Kornhandel zwar in drei Generationen sich glänzend be-
wiesen, aber auch erschöpft hatten, so daß für die vierte Genera-
tion, nämlich ihn selbst, nichts mehr davon übrig geblieben war.
— „Stampf net so fest, Girgl, nacha tean ma uns hart mit'm Barrikadenbau.^
132
Der rote Sonnenschirm ist schuld daran gewesen! Nur
dieser schreckliche und doch so schöne rote Sonnenschirm!
So sprach Fräulein Lermine Rehbinder zu fich, als ihr
das tlngliick geschehen. Später urteilte sie anders und
gab die Schuld jener kleinen Eitelkeit, die sie damals ge-
rade jenen Schirm kaufen ließ, weil sie sich eingebildet hatte,
daß sie darunter vom rötlichen Licht überstrahlt, wie ein
ganz junges Mädchen aussehn würde, ein Mädchen von
achtzehn Iahren. Aber ste zählte doch schon achtundzwanzig,
und häkte sie das bedacht und einen geziemenden grünen
oder grauen Sonnenschirm gewählt, — ja, dann wäre alles
wohl anders gekommen, und sie würde heute nicht das alte
Fräulein Nehbinder, sondern Frau Gelzenleichter sein oder
vielmehr die Witwe Gelzenleichter, denn Lerr Andreas
Gelzenleichter ist nun schon seit zwei Iahren tot. Oder
nein, am Ende würde sie doch noch keine Witwe sein; ver-
heiratete Männer sollen ja länger leben als ledige, und
daß dem guten Lerrn Andreas das Verheiratetsein mit ihr
sehr gut bekommen wäre, — ach Gott, dieses festen Glaubens
ist das alte Fräulein Äermine gewiß nicht mit Unrecht.
Deshalb ist es ja auch so sehr zu bedauern, daß nichts
daraus geworden ist.
Das Anglück mit dem Sonnenschirm aber geschah vor
dreißig Iahren. Fräulein Nehbinder wohnte damals schon seit
zwei Iahren in dem von den Eltern ererbten hübschen kleinen
Lause draußen an der See, eine halbe Stunde Bahnfahrt
von der Stadt, in dem Ort, der zu jener Zeit noch ein
Fischerdorf war und im Sommer von ein paar hundert
Badegästen besucht wurde, die an schönen Sonntagen von
einigen tausend, unruhig am Strande herumwimmelnden
Leuten aus der Stadt gestört wurden. Im zweiten Sommer
wurde Fräulein Rehbinder durch einiges Bauwesen be-
lästigt, das Staub und Lärm mit sich brachte, — auf dem
Nachbargrundstllck wurde ein Laus errichtet, eine schöne
Villa. Im Lerbst stand sie fertig da, aber erst im nächsten
Frühjahr erschien die neue Nachbarschaft, und man sah in
dem schön angelegten Garten einen Lerrn spazieren von
etwa vierzig Iahren mit einem freundlichen runden Gestcht,
das die Welt mit Vergnügen anzuschauen schien, sofern es
eine enge, schön gegen Verdrießlichkeiten umzäunte Welt
war, das sich aber jedenfalls zu einiger Schüchternheit,
wenn nicht gar Ängstlichkeit verziehn würde, wenn sein Be-
sitzer einmal sich über den Zaun hinausbegeben müßte. An
die Gartentllr kam jeht auch ein blankes Messingschild.
„Andreas Gelzenleichter"' stand darauf. Fräulein Rehbinder
entsann sich, den Nachnamen früher schon in der Stadt
gelesen zu haben; Gelzenleichter L Sohn, Kornexpedition
hatte da irgendwo über einem ansehnlichen Kontor gestanden.
Sie nahm an, und es war auch so, daß ihr Nachbar diese
Landlung aufgegeben hatte, und das fand sie vernünftig
von ihm, denn so ganz geeignet für das Korngeschäft schien
er ihr nicht zu sein. Sie traf damit auch das Richtige.
Lerr Gelzenleichter hatte das Geschäft, das schon Argroß-
vater, Großvater und Vater mit sehr gutem Erfolge be-
trieben hatten, nur einige Iahre allein geführt, dann aber
liquidiert in der Erkenntnis, datz die Fähigkeiten der Familie
zum Kornhandel zwar in drei Generationen sich glänzend be-
wiesen, aber auch erschöpft hatten, so daß für die vierte Genera-
tion, nämlich ihn selbst, nichts mehr davon übrig geblieben war.
— „Stampf net so fest, Girgl, nacha tean ma uns hart mit'm Barrikadenbau.^
132