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— „Au weh! Mein Schienbein ist entzwei!"

— „Macht nichts! Jch hab' schon gefürchtet, dir sei der Schläger zerbrochen!"

Aus dem Neisetagebuch einer
PyUosophin

(Auszeichnungen des zeitgenössischen Backfisches
Genovcva Lehmpuhl).

Gott sei Dank! Dieses Iahr sind
wir endlich an der See gelandet! Ich
hatte viele Äindernisse zu iiberwinden,
bis ich hier landen konnte. Namentlich
Lindernisse geistiger Art, die in der
Weltanschauung meines Valers be-
griindet liegen. Papa ist nämlich der
Ansicht, daß sür das Reinlichkeitsbe-
dürfnis einer Familie die Bädewanne
zu Lause vollauf genügt. Als ob über-
haupt jemand an die See reisen würde
ausReinlichkeitsgründen! DieSommer-
ferien sind nun einmal zum Reisen da.
Man kann doch nicht die schönen Wochen
in der Badewanne verbringen! Die
Leute, die hierher kommen, haben alle
vorher zu Äause gebadet. Vielleicht sogar
öfter als Papa. Es wäre wirklich
ungerecht, aus dem Aufenthalt eines
Menschen im Seebad schließen zu wollen,
daßerzuLauseeinSchmutzfinkist. Papa
begreift eben nicht, daß das Baden eine
gesellschaftliche Veianstaltung ist wie
Ball, Theater und derlei Sachen. Im
Winter tanzt die menschliche Gesellschaft
und im Sommer badet sie. Nur aus
Gründen der Abwechslung, man kann
eben nun einmal nicht ewig tanzen, noch
ewig baden. Ein Vergnügen, das ewig
dauert, ist bekannllich gar nicht schön.
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Das Nodewort

Es kam ;u mächtiger Derbreitung.
Man liest es täglich in Ler Zeitung,
Zumeist bezüglich der Nationen,

Und immer neu ist;u betonen,

Daß alles Unheil meist entsteht
Aus anderer LNentalität.

Wenn sich zwei Dölker nicht begreifen
Und schließlich auf den Irieüen pfeifen
Und alles schlagen kur; und klein,

So liegt's daran nur gan; allein,
Daß, ach, das eine nicht versteht
Des anüeren Mentalität.

Wenn ich mit dem §inan;amt streite
Unü forsch -en Einspruchsweg beschreite,—
Warum der Zank und die Beschwerde?
2e nun, der Nensch und die Behörüe,
Sind, wenn es sich um Steuern üreht,
Derschieüener Nentalität.

2ch mag nach meinem Dackel pfeifen,
Doch will's üas Dieh oft nicht begreifen
Und schlängelt seiner Wege sich.

Soll ich da etwa ärgern mich?

Es tst üoch klar: der Hunü verrät
Abweichenüe Nentalität.

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Db sich das Her; ;um Herzen findet!"
So hat ;war Schiller einst gesungen,
Heut' aber sei üarauf gedrungen:

Es seh', wer in die Ehe geht,

Db gleich auch die Mentalitätl

Außerdem haben die Leute nun mal
ihre Badekostüme, die sie doch nicht auf
Bällen tragen können. Da müffen sie
doch an die See kommen; denn heut-
zutage kann man nichts unbenützt im
Schrankliegen lassen. Neuerdings machen
sich zwar die Witzblätter darüber lustig,
daß sich die modernen Valltoiletten zum
Baden eher eignen als die Badekostüme.

Was das eigentlich heißen soll, darf
ich noch nicht verstehen, weil's Papa
nicht haben will. Deshalb habe ich mein
Ballkleid auch nicht einpacken dürfen.
Ich hatte mir gedacht, wenn man auf
Bällen Badekostüme trägt, kann man
ebenso gut beim Baden Balltoiletten
tragen. Außerdem wär's billiger, wenn
die Sachen vomMeer gewaschen würden.
Aber nein, Mama wollte wieder mal
anders wie ich und hat mein Ballkleid
in die chemische Neinigungsanstalt ge-
schickt, obwohl 's dort bedeutend teuerer
ist. Merkwürdig, sie ist doch sonst so
fürs Billige! Ia, manchmal kann man
seine Ettern beim besten Willen nicht
verstehen.

Nun sind wir also glücklich hier ge-
landet! Den ganzen Tag liegen wir am
Strande. Man liegl hier überhaupt sehr
viel; nun, das gehört eben einmal zur
menschlichen Erholung. Selbst Papa,
der sonst nicht für die liegende Lebens-
weise ist, hat sich schon angepaßt. Er
liegt im Sande und liest Lomer. Aus
beruflichen Gründcn einmal und dann

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