Kindliche Frage
— „Du, Großvater, warum schimpfft du den ganzen Tag?"
— „Weil die Zeiten so schlecht sind."
— „Werden sie daoon besser?"
Mark ist Mark
machen? Er war ja nun einmal im Dienst geblieben, und
da ging es eben nicht anders. Freilich, gezwungen hatle
ihn kein Mensch; er hätte das Necht gehabt, seinen Bcamten-
rock auszuziehn und den neuen Lerrschasten Adieu zu sagen
oder einen Guten Tag zu wünschen oder „Dzien dobri". Aber
er hatte eine Frau und drei Kinder und weiter nichts als
sein Gehalt, und unter solchen Umständen muß der Mensch
auf die Ausübung mancher Rechte verzichten. Ein Paar der
Kollegen waren freilich davongegangen; einige waren un-
verheiratet, manche hatten ein bißchen Geld, und den An-
spruch hatten sie ja zudem alle, wieder im Reich angestellt
zu werden. Aber man wußte ja, wieviel Scherereien es da
geben, und wie lange man sich wartend würde herumdrücken
müssen. Deshalb waren die meisten geblieben, und nicht nur
bei der Eisenbahn, auch bei der Post, der Steuer, dem Ge-
richt und den iibrigen Bebörden, und so wie die deutschcn
Beamten hatten es in Galizien die österreichischen und in
Kongreßpolen die russischen Beamten gehalten, und nur, weil
so die alte Maschine noch wciter lief, konnten sich die Re-
gierungsspitzen in Warschau einbilden und der Welt vor-
machen, daß jenes Gebilde, über das sie herrschten, einen
Staat vorstellte.
„Na ja, da wären wir also umgetauft!" brummte der
Stationskassenrendant Schütze vor sich hin, als das Schild
auf Bahnsteig Nummer Zwei wieder aufgehängt worden
war, und dabei überlegte er, daß in diesen Tagen in so und
so viel hundert Orten das Gleiche geschähe und überall die
alten deutschen Namen durch neue polnische ersetzt würden.
Wo die Kerle nur all die Namen so mit einem Male ber-
bekommen hatten? Das mochte der Teufel wissen, der ja
wohl überhaupt bei dieser Angelegenheit seine Land sehr
stark im Spiel hatte.-
Dann ging Äerr Schütze wieder an seine Arbeit. Die
war seit einigen Tagen viel verwickelter und mühsamer,
als sie jemals gewesen war. Es waren doch Veränderungen
vorgegangen, und diese Veränderungen waren, wie man zu
sagen pflegt, einschneidend gewesen. Es waren danach viele
neue Dinge aufgetaucht, mit denen man ebenso wenig zu-
frieden sein konnte wie etwa mit dem neuen Namen der
Station. Zu den am meisten unwillkommenen dieser neuen
Dinge gehörte eine Sorte Papiergeld, die es früher nicht
gegeben hatte, die aber nun auf einmal in Lülle und Fülle
da war. Freilich. diese neuen Scheine sahen ganz hübsch
aus, und das Wort „Mark" war auch darauf zu lesen,
aber es waren eben polnische Mark, und sie verursachten
dem Lerrn Stationskassenrendanten allerlei Schwierigkeiten.
Bunt durcheinandcr kamen ste in diesen Tagen des Aeber-
gangs daher, die deutschen und die polnischen Scheine, und
es war ihm anbefohlen worden, vorläufig, bis eine feste
Regelung getroffen sein würde, sollte er sie alle nehmen.
Aber das war eine ganz verdammte Rechnerei! Gestern
hatten die polnischen Noten im Verhältnis zu den deutschen
auf 51 gestanden, und heute standen sie auf 49. Das war
doch eine ausgeiuchte Bosheit und Niedertracht. Warum
konnten sie nicht grade auf 50 stehn? Das wäre dann
doch so glatt und einfach gewesen, — immer zwei polnische
Mark hätte er dann für eine deutsche rechnen können. Aber
jetzt mußte gerechnet werdcn, daß der Schädel brummte!
lFortsetzung auf Seite 2ül)
199
— „Du, Großvater, warum schimpfft du den ganzen Tag?"
— „Weil die Zeiten so schlecht sind."
— „Werden sie daoon besser?"
Mark ist Mark
machen? Er war ja nun einmal im Dienst geblieben, und
da ging es eben nicht anders. Freilich, gezwungen hatle
ihn kein Mensch; er hätte das Necht gehabt, seinen Bcamten-
rock auszuziehn und den neuen Lerrschasten Adieu zu sagen
oder einen Guten Tag zu wünschen oder „Dzien dobri". Aber
er hatte eine Frau und drei Kinder und weiter nichts als
sein Gehalt, und unter solchen Umständen muß der Mensch
auf die Ausübung mancher Rechte verzichten. Ein Paar der
Kollegen waren freilich davongegangen; einige waren un-
verheiratet, manche hatten ein bißchen Geld, und den An-
spruch hatten sie ja zudem alle, wieder im Reich angestellt
zu werden. Aber man wußte ja, wieviel Scherereien es da
geben, und wie lange man sich wartend würde herumdrücken
müssen. Deshalb waren die meisten geblieben, und nicht nur
bei der Eisenbahn, auch bei der Post, der Steuer, dem Ge-
richt und den iibrigen Bebörden, und so wie die deutschcn
Beamten hatten es in Galizien die österreichischen und in
Kongreßpolen die russischen Beamten gehalten, und nur, weil
so die alte Maschine noch wciter lief, konnten sich die Re-
gierungsspitzen in Warschau einbilden und der Welt vor-
machen, daß jenes Gebilde, über das sie herrschten, einen
Staat vorstellte.
„Na ja, da wären wir also umgetauft!" brummte der
Stationskassenrendant Schütze vor sich hin, als das Schild
auf Bahnsteig Nummer Zwei wieder aufgehängt worden
war, und dabei überlegte er, daß in diesen Tagen in so und
so viel hundert Orten das Gleiche geschähe und überall die
alten deutschen Namen durch neue polnische ersetzt würden.
Wo die Kerle nur all die Namen so mit einem Male ber-
bekommen hatten? Das mochte der Teufel wissen, der ja
wohl überhaupt bei dieser Angelegenheit seine Land sehr
stark im Spiel hatte.-
Dann ging Äerr Schütze wieder an seine Arbeit. Die
war seit einigen Tagen viel verwickelter und mühsamer,
als sie jemals gewesen war. Es waren doch Veränderungen
vorgegangen, und diese Veränderungen waren, wie man zu
sagen pflegt, einschneidend gewesen. Es waren danach viele
neue Dinge aufgetaucht, mit denen man ebenso wenig zu-
frieden sein konnte wie etwa mit dem neuen Namen der
Station. Zu den am meisten unwillkommenen dieser neuen
Dinge gehörte eine Sorte Papiergeld, die es früher nicht
gegeben hatte, die aber nun auf einmal in Lülle und Fülle
da war. Freilich. diese neuen Scheine sahen ganz hübsch
aus, und das Wort „Mark" war auch darauf zu lesen,
aber es waren eben polnische Mark, und sie verursachten
dem Lerrn Stationskassenrendanten allerlei Schwierigkeiten.
Bunt durcheinandcr kamen ste in diesen Tagen des Aeber-
gangs daher, die deutschen und die polnischen Scheine, und
es war ihm anbefohlen worden, vorläufig, bis eine feste
Regelung getroffen sein würde, sollte er sie alle nehmen.
Aber das war eine ganz verdammte Rechnerei! Gestern
hatten die polnischen Noten im Verhältnis zu den deutschen
auf 51 gestanden, und heute standen sie auf 49. Das war
doch eine ausgeiuchte Bosheit und Niedertracht. Warum
konnten sie nicht grade auf 50 stehn? Das wäre dann
doch so glatt und einfach gewesen, — immer zwei polnische
Mark hätte er dann für eine deutsche rechnen können. Aber
jetzt mußte gerechnet werdcn, daß der Schädel brummte!
lFortsetzung auf Seite 2ül)
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