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Der klrteilssxruch dcr sellgcn Kroßtenle Euphrosyne
die Zudringlichkeit der Großtanle Euphrosyne nicht beklagen
und hat sich auch nicht beklagt; denn wer weiß, ob er es
ohne dic vom Ienseits inszenierte Ausoktroyierung Trud-
chens je zu einer Frau bringen würde. Durch Großtante
Euphrosyne ist ihm die Werbung auf jeden Fall wesentlich
erleichtert worden. Die Großtante hat sür ihn gesprochen,
damit sind alle peinlichen Formalitäten erfüllt.

Er glaubte sich sosort felsenfest verlobt. In seiner sieg-
haften Sicherheit zitierte er für sich: „Ehen wcrden im
Äimmel geschlossen/' eine rein gefühlsmäßige Annahme in
seinem Falle, da er doch den derzeitigen Ausenthaltsort der
Tante Euphrosyne gar nicht kennen konnte.

Augusts wahrhafliges Glück dauerte nur vierundzwanzig
Stunden, ein Schicksal, das vielen wahrhafligen Glücken
zu teil wird. Genau vierundzwanzig Stunden, denn heute
vor dreizehn Tagen drängte Großtante Euphrosyne ihr
Trudchen dem noch entferntercn Vetler Paul auf. Offen-
bar ein Trick von der abgeslorbenen Dame, sie sagt sich sicher:
Bei dcr intensiven Ausdrängung wird sie schließlich schon
einer behalten. Das mag richtig sein, aber schön ist's nicht
von der alten Dame. Denn sie muß doch aus ihrem ehe-
maligen Leben wissen, was man mit derlei Praktiken für
Llnglück anrichtet. Das erste Llnglück war, daß sie Trudchcns
Lerz in zwei Teile spaltete. Der eine Teil neigte zu August
hin, der andere zu Paul. Das ist keine geringe Qual, in
der ganzen Chirurgie gibt's nichts so Schmerzhaftes wie so
eine Lerzensspallung. Wem d.cn Vorzug geben, wo
keiner besondere Vorzüge besaß ? Llnd sollte sie überhaupt
jemanden bevorzugen? Am Ende wollte die Großtante gar,
daß sie beide heiratete! Sie war im Leben immer Autori-
tätsperson gewesen, drum würde sie sicher auch als Ab-
gestorbcne keinen Widerspruch dulden. Das war das erste
Anglück, das die Tante vom Ienseits aus anrichtete, das
zweite war nicht minder groß. Sie machte die Veltern
August und Paul zu unversöhnlichen Rivalen, und mit
ihnen spaltete sie die ganze Verwandtschaft in zwei feind-
liche Lager. August und die Augustisten stützten sich darauf,
daß die Großtante zuerst ihnen das Trudchen zugesprochen,
Paul und seine Paulisten vertraten den Standpunkt, daß
das jüngere Llrkeil das entscheidende sei. Man. berief den
Familienrat. Der sollte durch Stimmenmehrheit entscheiden,
welchem dcr beiden vom Ienseits cmpfohlenen Freier Trud-
chen zugesprochen werden sollte. Da aber im Familienrat
Paulisten und Augustisten in gleicher numerischer Stärke
saßen, ergab sich leider Stimmengleichheit. Man beschloß
daher, die nochmalige Enlscheidung der seligen Großtante
anzurufen. Sie sollte sogar nach ihrem Tode noch einmal
das letzte Wort haben. Durch einen notariell beglaubig-
ten Vertrag verpflichteten stch die beiden Parkeien, sich dem
Nichterspruch der verstorbenen Tante unter allen Llmständen
zu unterwerfen, wie auch immer das Llrteil lauten möge.

Die entscheidende Sitzung wurde sür den kommenden

Abend angesetzt. Tagsüber wurde das Tischchen, durch
dessen Wackelsignale die selige Großtante zur Verwandtschaft
zu sprechen Pflegte, tüchtig eingeölt, damit es in dem hoch-
wichtigen Augenblicke nicht versagte. Der Familienrat be°
schloß darauf, den Vorsitz dem Lerrn Nachbarn Schläule
zu übertrage», der, als nicht der Sippe zugehörig, die besten
Garantien für eine unparteiische Leitung der Sitzung bot.
Lerr Schläule nahm den ehrenvollen Vorsitz dankend an,
sehr dankend sogar; denn das arme Trudchen tat ihm
leid, gleich leid, ob es dem Paul oder dem August in die
Lände fiel. Als guter Nachbar sagte er sich, daß ein Sieg
Pauls die Augustisten verdrießen müsse, ein Sieg Augusts
aber die Paulisten; der Ladcr, den die Großtante in ihrer
Boshafkigkeit hekvorgerufen, würde selbst durch einen no-
kariell beglaubigten Richlerspruch der Verstorbenen nicht

aus der Welt geschafft werden, es sei denn, daß.

!lnd dieses „Es sei denn, daß . . ." ließ er sich sehr ernst-
lich durch den Kopf gehen, zumal er Iunggeselle war.

Der Abend kam. Die ganze Verwandtschaft versam-
melte sich, Lerr Schläule erschien im Frack, um die selige
Tante mit gebührender Feierlichkeit zu empfangen. Er trug
den Frack aber auch noch aus anderen Gründen, bloß wegen
einer toten Tante, mit der er gar nicht verwandt war,
hälte er ihn nicht angezogen. Die ganze Sippe setzte sich
um den Wackeltisch. Ma» legte die Lände auf und ver-
sank in schauriges Schweigen. Tiefster Ernst lag über der
ganzen Familie; denn cs ging um Sein oder Nichtsein des
Ehemannes Paul oder August.

Die Großtante ließ lange auf sich warten, sehr lange;
irgend jemand in der Versammlung hatte sich wohl nicht
ernst genug auf ihr seliges Erscheinen konzentriert. Das
war der Lerr Nachbar Schläule, er überrechnete nämlich
nochmaks rasch Trudchens Mitgift. Als er fertig war und
das Resultat zufriedenstellend fand, siehe da! da wackelte
auch schon der Tisch. Er wackelte vortrefflich infolge der
frischen Oelung. Die ganze Verwandtschaft glaubte, daß
nun die selige Tante da sei. Nachbar Schläule ließ sie bei
dem Glauben. Offiziell tak auch er gläubig. Er sprach
also die Tante an, die er insgeheim für gar nicht anwesend
hielt. !lnd da sie nach seiner Aeberzeugung gar nicht da war,
sah er sich gezwungen, auf seine Anfragen selbst die Ant-
wort zu geben. Was macht der Mensch nicht, wenn er sich
in einer solchen Lage befindet! Er nützt sie aus, wenn er
kann. !knd das konnte Lerr Schläule, da die selige Tante
heute offenbar am Erscheinen verhindert war. Er sprach
also für die Tante, und er sprach sehr gut, so gut, daß es
niemand von der Verwandtschaft merkte, daß nicht die tote
Tante, sondern der lebende Lerr Schläule sprach. Er hielt
zuerst eine Ansprache, i» der er sich selbst beschwor, dem
Lader, der die Familie zerriß, ein Ende zu machen. Dann
sorderte er sich selbst mit bewegenden Worten auf, kurz
und klar zu erklären, wen Fräulein Trude heiraten müsse.
!lnd dann ließ er in Vertretung der abwesenden Tante

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